Lektüreschlüssel: POP Britney Spears´“Hit Me Baby One More Time“ als zeitgenössische Gedichtinterpretation
Ist Britney Spears´ "Hit Me Baby One More Time" die verblödete Sado-Maso-Hymne eines einsamen Teenagers oder doch der jämmerliche Hilferuf einer Gottverlassenen auf Sinnsuche? Unsere Rubrik für Lyrik-Luder nimmt sich der Sache an!
Fehldeutungen lyrischer Werke sorgen schon seit Anbeginn der Zeit für epochale Katastrophen: Wurde der Heiland in der Bibel tatsächlich von einer Jungfrau geboren oder doch nur etwa von einer jungen Frau? Wer jetzt denkt, dass das Debakel um die heilige Mutter Maria das schwerwiegendste Beispiel der christlichen Kirchengeschichte ist, der irrt aber. Es gibt noch eine Jungfrau, eine vergessene Leidensfrau in katholischer Schulmädchenuniform, die ihre Pein in einem der bekanntesten Popsongs der Welt besungen hat: Britney Spears.
Im von vielen bitterlich unterschätzten Jahrhundertwerk "Hit Me Baby One More Time" sah gerade die Literaturwissenschaft der letzten Jahrzehnte vor allem eines: eine junge Frau, die sich Haue wünscht – das heute so aktuelle Hausfrauen-Sado-Maso-Motiv. Diese gängige Interpretation der Spears‘schen Poesie mag auf den ersten Blick naheliegend sein, hält – wie wir beweisen werden – einer genaueren Analyse aber nicht stand. Zwar lassen zeitgenössische Werke wie "50 Shades of Grey" eine Kausalität zwischen dem Roman und dem Gedicht von Britney Spears erahnen – all jene Analysen beziehen sich aber lediglich auf eine einzige Zeile: "Hit Me Baby One More Time." Der Ausruf "Hit" wird in diesem Zusammenhang üblicherweise als "schlagen" übersetzt. Bei näherer Betrachtung fällt aber auf, dass mit "Hit" im vorliegenden Gedicht vielleicht auch eine Metapher für ein göttliches Zeichen stecken könnte.
Ein verzweifelter Ruf um göttlichen Beistand?
Vergleicht man beispielsweise die Zeilen der Spears mit dem biblischen Psalm 86 "Der Hilferuf eines Armen zu Gott", so ergeben sich hier verblüffende Parallelen. So steht dem Ausruf: "Hit Me Baby One More Time" plötzlich der biblische Vers "Gib mir ein Zeichen deiner Güte (Tue ein Zeichen an mir)" gegenüber. Die immer wiederkehrende Ansprache Britneys: "Oh baby, baby" findet sich in den göttlichen Versen "Höre mich, oh Gott" wieder, ebenso wie der verzweifelte Ausruf "Show me how you want it to be, tell me baby cause I need to know", der seine Entsprechung in den Zeilen "HERR, zeige mir den Weg. Ich will dir treu sein und tun, was du sagst" hat. Vor diesem biblischen Motiv erscheint "Hit Me Baby One More Time" plötzlich mehr als ein verzweifelter Ruf um göttlichen Beistand, als ein belangloser Popsong. Das lyrische Ich wendet sich in tiefer Sinnkrise an eine höhere Macht, um mit Bitten wie "Give me a Sign, hit me Baby one more time" um Gnade zu bitten, um ein erlösendes Zeichen, nicht zu den Verdammten zu gehören.
Betrachtet man die Biographie der Autorin, so erhärtet sich dieser Verdacht enorm. Während Spears in ihrer frühen Schaffensphase immer wieder ihre Nähe zu Gott beteuerte mit Äußerungen wie: "My relationship with God and myself is all what matters to me", so scheint sie ihren persönlichen Bruch mit dem Schöpfer in "Hit Me Baby One More Time" zu verarbeiten. Wie Jesus am Kreuz im Todeskampf "Mein Gott, warum hast du mich verlassen" schreit , hat auch Spears ihren Gott verloren. Der große Fall dieser noch größeren Poetin lag also all die Jahre vor den Augen der Welt in 02:42 Minuten langer himmlischer Pop-Poesie. Sie wurde nur die ganze Zeit nur falsch verstanden.
Sendung: Filter, 10.07.2017 - ab 15.00 Uhr