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Beyoncé & Co. Wieso Mainstream-Pop sich endlich wieder was traut

Liebeslieder und Club-Banger? Mainstream-Pop kann längst wieder mehr: Beyoncé, Miley Cyrus oder Kanye West sorgen gerade dafür, dass er so aggressiv, politisch und aufregend klingt wie lange nicht mehr.

Von: Hardy Funk

Stand: 15.02.2016 | Archiv

Beyonce Formation | Bild: Vimeo / Michael Wells

Die schwarze Aktivistin: Beyoncé

Beyoncé provoziert beim Super Bowl mit Tänzerinnen im Black-Panther-Outfit. Ein smarter PR-Move? Sicher! Aber auch eine Herzensangelegenheit: Denn in ihrem neuen Song "Formation" zeigt sie dem Rassismus der amerikanischen Gesellschaft den Stinkefinger. Sie feiert ihre eigene Blackness - und die ihrer Sisters.


Dabei bringt Beyoncé auch eindeutige feministische Statements in dem Song unter. Das ist nicht unbedingt neu - ihr Rolle als schwarze Aktivistin umso mehr. Ihr neues Video ist voller Anspielungen auf die #BlackLivesMatter-Bewegung und spart nicht mit Kritik an der amerikanischen Polizei. Den Gegenwind dafür nimmt sie in Kauf. Und auch musikalisch wagt sich Beyoncé weit raus: sparsam, aber effektvoll eingesetzte aggressive Synthies tragen den Song, außerdem kramt sie das schon fast tot gesagte Genre Bounce wieder hervor. Darüber legt Beyoncé ein Sample von Messy Mya, einem auf offener Straße erschossenen Underground-Rapper und Comedian aus New Orleans. Auch die Bounce-Musikerin Big Freedia darf ein paar Zeilen droppen. Der Underground in den Charts.

Die Hedonistin: Miley Cyrus

Vom Image der blonden, braven, immer perfekten Hannah Montana befreit sich Miley Cyrus schon vor gefühlten Jahrzehnten: Sie posiert halbnackt für Vanity Fair, twerkt im Einhorn-Kostüm oder raucht einen Joint auf der MTV Stage. Provokationen wie diese gehören heute natürlich zu jedem besseren Celebrity-Dasein. Aber bei Miley merkt man: Das sind nicht die Ideen ihrer Manager. Sie folgt einfach ihrem eigenen Kopf. Und sie macht das bewusst: Aus einer freizügigen Teenagerin im Rampenlicht ist längst eine Fürsprecherin von Feminismus, Bisexualität und Marihuana geworden.

Musikalisch wird es richtig spannend, als sie auf Wayne Coyne von den Flaming Lips trifft. Die beiden werden Best Buddies und produzieren gemeinsam das Album "Miley Cyrus & Her Dead Petz". Heraus kommt ein Hybrid aus psychedelischen Synthies, HipHop-Beats, spacigen Gitarren und oft verzerrtem Gesang. Radiotauglich geht anders.

Das selbst ernannte Musik-Genie: Kanye West

Kanye war schon immer vorne dran, was frische Sounds angeht. Und ein bisschen was ist da sogar dran: Als HipHop-Produzent bringt er zu Beginn seiner Karriere Sampling auf ein neues Level. Als Rapper verfremdet er seine Stimme mit Auto-Tune, zu einer Zeit, als das für die meisten noch ein absolutes No-Go ist. Auf seinem neuen Album "The Life of Pablo" versammelt er alles, was seine bisherige Karriere ausmacht: Samples aus fast jedem Genre. Klaustrophobische Synthies. Auto-Tune. Und jede Menge neue Experimente.

Auf dem Album hält sich Kanye diesmal mit gesellschaftskritischen Statements größtenteils zurück. Egal ist ihm die Politik aber nicht: Teil der weltweit übertragenen Präsentation seines neuen Meisterwerks ist eine politische Performance der Künstlerin Vanessa Beecroft: Auch, wenn das nicht ganz mit Kanyes Luxusvilla oder seinem Designer-Sneaker "Yeezy Air" zusammengeht: Aufregender und gewagter als die immer gleichen Wer-datet-wen-Stories der anderen Stars ist es allemal.

Und wieso traut sich Popmusik wieder mehr?

Die Popstars von heute sind finanziell so unabhängig wie selten zuvor: Beyoncé verwaltet über 500 Millionen US-Dollar, mit ihrem Ehemann Jay Z macht sie die Milliarde voll. Miley Cyrus war schon 2011 der reichste Teenager der Welt. Kanye scheint sich zwar momentan etwas verkalkuliert zu haben - aber sicher hat er seine 53 Millionen US-Dollar Schulden bald wieder drin. Sie können machen, was sie wollen - ohne Angst vor Verlusten.

Auch auf Label und Promoter können sie so gut wie verzichten: Dank Facebook, Instagram und Twitter erreichen sie Millionen Menschen in Sekunden. Neue Songs können sie auf Soundcloud, Youtube und Co. veröffentlichen, sobald der finale Mix da ist. Beyoncé veröffentlicht ihr Album komplett ohne Vorankündigung. Miley stellt ihres genauso überraschend als Stream ins Netz. Und Kanye nutzt einfach den Streamingdienst Tidal von seinem Homie Jay Z, um seine neue Platte unter die Leute zu bringen.

Aber vielleicht sind auch die Fans etwas offener geworden für neue Klänge und politische Statements. Immerhin hat fast jeder ein bisschen Rock, ein bisschen HipHop und ein bisschen Elektro auf seinem Smartphone. Und die Probleme der Welt kann niemand mehr ausblenden.


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