Mavi Phoenix über 20 Jahre Auto-Tune "Mach dich auf Hate gefasst, wenn du Auto-Tune benutzt"
Vor 20 Jahren hat Cher "Believe" veröffentlicht – und damit den ersten Track mit Auto-Tune. Jahrelang war der Effekt verpönt, heute ist er aus der Musiklandschaft nicht mehr wegzudenken. Wir haben mit Mavi Phoenix über ihre Liebe zu verzerrten Stimmen gesprochen.
Was ist Auto-Tune?
Auto-Tune ist ein Effekt für die Stimme, der in der Musikproduktion zum Einsatz kommt. Er korrigiert schiefe Töne, indem er die Tonhöhen angleicht. Das kann auf zwei Arten erfolgen:
Korrektur nach Tonart: Die gesungenen Töne werden an die entsprechenden, in der Tonart vorkommenden Tönen angeglichen. Das Singen außerhalb der Tonart ist also nicht möglich. Man ist zwar auf einen vorgegebenen Tonvorrat beschränkt, kann aber nicht schief singen.
Chromatische Korrektur: Die gesungenen Töne werden an die Töne angeglichen, die am nächsten liegen. Das heißt im Klartext: Rudimentäre Gesangs-Skills sind von Vorteil, da sonst das Gesungene an die falschen Töne angeglichen wird. Trotz Auto-Tune kann der Gesang also schief klingen.
PULS: Mavi, warum benutzt du bei deinen Songs Auto-Tune?
Mavi Phoenix: Es hat alles damit begonnen, dass ich selbst Musik produziert hab. Ich hab damit schon relativ früh angefangen, da war ich 13. Ich hab dafür "Garage Band" benutzt – das ist ein kostenloses Musikprogramm – und hab immer über mein Laptop-Mikro aufgenommen. Da ich also nicht mal ein richtiges Mikrophon hatte, war ich auf der Suche nach einem Weg, meine Vocals zu produzieren. Dabei bin ich auf diese Pitch-Korrektur gestoßen. Das war so ein easy way, dass meine Vocals gut produziert klingen.
Irgendwas zwischen Stützräder und Stilmittel also…
Ja, genau! Der Song "Trends" ist das perfekte Beispiel dafür. Ohne technische Hilfe würde ich die Töne nicht gut treffen – das schaff ich nicht. Ich schreib meine Songs aber immer gerne so, dass ich mir keine Grenzen setze, mich also nicht frage, was meine Range ist oder ob ich die Töne treffe. Sondern ich denke mir: Wie schreibe ich auf den Beat eine Melodie? Das hilft mir dann dabei.
Ist das so der große Vorteil von Auto-Tune?
Man muss einfach ehrlich zugeben, dass du damit auf schnelle Art und Weise jeden Ton triffst. Das braucht man auch nicht verstecken. Von vielen Rappern wird es auch genau deswegen benutzt. Die wenigsten verwenden es als reines Stilmittel. Zum Beispiel Kanye: Der trifft ja auch nicht jeden Ton. Wenn man Fan ist, weiß man das auch. Aber vielleicht ist das auch echt Generationen-bedingt. Für mich ist es nicht das wichtigste Kriterium, dass ein Künstler jeden Ton trifft. Die Einstellung finde ich ein bisschen lehrerhaft. Für mich geht es bei Musik um Kunst – und Auto-Tune macht es nicht weniger emotional.
Das lustige ist ja, dass auf jeder Aufnahme im Radio "Melodyne" liegt – es sei denn, es ist irgendwas Underground mäßiges. Und das ist das gleiche wie Auto-Tune, nur hört man es nicht raus. Das könnte ich natürlich auch machen, dass die Leute denken: Ah, da ist kein Auto-Tune drauf. Aber natürlich ist da immer irgendwas drauf, halt nur besser kaschiert. Ich finde es schon ehrlicher, wenn man es auf die Spitze treibt. Das ist mein Ansatz. Aber das Ding ist, ich arbeite ja noch immer bis zu diesem Tag mit dem Auto-Tune aus "Garage Band". Ich habe mir keinen gekauft oder so. Bei "Garage Band" legst du Auto-Tune einfach drüber und dann ist die Sache fertig.
Und was sind die Nachteile von Auto-Tune?
Ein Nachteil von Auto-Tune ist auf jeden Fall: Mach dich auf Hate gefasst, wenn du Auto-Tune benutzt! Ich hab ein paar Demos ohne Auto-Tune rumliegen, weil ich gemerkt habe, dass durch Auto-Tune einige Eigenheiten meiner Stimme nicht zum Vorschein kommen. Je mehr du den Effekt benutzt, desto mehr klingt es nach Computer. Wenn die Leute Connections mit dir als Artist aufbauen, finde ich es wichtig, nicht immer Auto-Tune zu verwenden. In Rap-Parts versuche ich keinen zu verwenden, weil da eh nicht gesungen wird. Ich hab gemerkt, dass das wichtig ist. Denn das sind die Momente, in denen die Leute das Gefühl haben, du sprichst zu ihnen. Sonst ist vielleicht irgendwann keine Connection mehr mit dem Publikum vorhanden.
Auto-Tune hat in 20 Jahren einen Image-Wechsel hingelegt. Wie erklärst du dir, dass der Effekt jetzt viel beliebter ist?
Viele kennen die Anfänge, wie Cher mit "Believe", gar nicht mehr. Mein kleiner Bruder ist 13 und mit Cloudrap eigentlich groß geworden. Das ist die Musik, die er gerade hört – riesen Travis Scott Fan und so. Er verbindet Auto-Tune mit Rap-Musik und guter Musik. Nicht, dass Cher schlecht war, aber damals gab es bestimmt Leute, die Cher auf Popmusik reduziert haben. Jetzt wird es in den "coolen" Genres verwendet. Ich glaube, dass man dadurch eine andere Assoziation mit Auto-Tune hat. Kanye hat trotz der Sachen, die er gerade abzieht, ja hoch gelobte Musik veröffentlicht. Deshalb ist es ein Stilmittel, das mittlerweile sogar Kunst suggeriert.
Gibt es für dich ein Auto-Tune Vorbild?
Travis Scott macht das schon richtig gut, weil trotzdem das Menschliche rauskommt. Lustig ist aber, dass ich Auto-Tune einfach schon immer verwendet hab, um zu produzieren und zu kaschieren. Es ist nicht so, dass ich aufgesprungen bin und das benutzt habe, weil es alle gemacht haben. Seit ich 13 bin, habe ich Auto-Tune verwendet. Deshalb hab ich auch kein Vorbild. Ich bin gewohnt, meine Sachen so zu produzieren.
Kannst du dir vorstellen Tracks ohne Auto-Tune zu machen?
Wie gesagt, habe ich ein paar Demos ohne Auto-Tune rumliegen und die sind auf jeden Fall cool, wie sie sind. Was mich am meisten an der Tatsache stört, dass ich mit Auto-Tune assoziiert werde, ist, dass viele Leute glauben, ich könne nicht singen. Ich habe das Gefühl, dass es Zeit ist, eine andere Seite von mir auszukehren. Da ich seit einem Jahrzehnt mit Auto-Tune arbeite, hat man als Künstler das Gefühl, einfach abzuswitchen, etwas Neues zu probieren und sich neu herausfordern zu müssen. Das ist extrem wichtig. Deshalb versuche ich bei den neuen Sachen immer weniger Auto-Tune zu verwenden. Aber nicht, weil ich mir denke, ich werde zu viel gehatet – das ist mir egal. Sondern weil ich mich neu definieren, neu herausfordern will.
Sendung: Plattenbau, 18.10.2018 - ab 19.00 Uhr