Meinung Warum Gitarren-Soli das nächste Ding im Hip-Hop werden sollten
Reggaeton-Beats und Trap beherrschen seit Jahren den internationalen Hip-Hop-Mainstream. Aber auch diese Phase wird irgendwann enden. Unser Autor findet, dass das Gitarrensolo ein würdiger Trend-Nachfolger wäre.
Post Malone zieht sich ein Kleidchen an und schnallt sich eine E-Gitarre um, ein Tribut an Nirvana. Bausa covert beim Red-Bull-Soundclash vor zigtausenden Fans "99 Luftballons" - mit Gitarre. Und RIN holt sich für den Titel-Track seines Albums "Nimmerland2 mit dem Featuregast Bilderbuch einen der Top-Gitarristen im deutschsprachigen Raum ins Studio. Gitarren werden von Rappern in letzter Zeit also gerne mal genutzt, um zu posen, aber auch um soundtechnisch zu experimentieren. Und genau das könnte der erste Schritt Richtung Etablierung eines neuen Trends im HipHop werden: dem Gitarrensolo.
Gitarren haben im Hip-Hop Tradition
Denkt man an HipHop, denkt man sicher nicht sofort an Gitarren. Die assoziiert man wohl eher mit Rock, Indie, Metal, Alternative und Singer-Songwriter*innen. Dabei haben sie auch im HipHop durchaus Tradition: Schon RUN DMC haben E-Gitarren in ihre Tracks eingebaut. "Walk This Way" sampelte nicht nur ein Riff der Altrocker Aerosmith, sondern ging auch in die Geschichtsbücher als DAS Rock-Rap-Feature schlechthin ein.
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RUN DMC - Walk This Way (Video) ft. Aerosmith
Rückblickend hätte aber ein anderer Song von RUN DMC die größere Anerkennung in punkto Gitarre verdient, nämlich "Rock Box". Der Song kam 1984 heraus, also zwei Jahre vor "Walk This Way", und hatte neben rockigen Riffs auch eines der ersten Gitarren-Soli der HipHop-Geschichte am Start. Und das Solo wurde - anders als bei "Walk This Way" - nicht von einer Rockband geliehen, sondern von Eddie Martinez, einem befreundeten Gitarristen, extra eingespielt.
Seitdem findet man immer wieder Hip-Hop-Hits mit ikonischen Gitarrenriffs. 1992 setzt Ice Cube in "It Was A Good Day" eine leicht verzerrte Gitarre ein. 2002 lieferte Eminems "Lose Yourself" ein Riff für die Geschichtsbücher: Zwei Akkorde brauchte es, um die Massen mitzureißen. 2011 kamen Dr. Dre, Snoop Dogg, Kurupt & Nate Dogg auf "The Next Episode" mit einem gezupften Riff auf der unverzerrten E-Gitarre um die Ecke und 2018 samplete dann JUICE WRLD's auf "Lucid Dreams (Forget Me)" Stings 90er-Hit "Shape of My Heart".
Die Riffs sind also da. Die Begeisterung für die Gitarre in jeder Form auch. Nachholbedarf besteht dagegen bei den Soli, wo die Gitarre mal so richtig abgehen und den Rap-Tracks einen einzigartigen Vibe geben könnte.
Mehr Solo per me, bitte!
Irgendwie scheinen dieses Potenzial - bis auf wenige Ausnahmen wie Childish Gambinos und Chance The Rapper oder natürlich ein Travis Scott - nicht viele Rapper*innen zu erkennen. Jetzt, wo Reggaeton-Beats und Trap das Game dominieren und sich aber klanglich etwas festgefahren haben, wäre doch der perfekte Zeitpunkt, um das Gitarrensolo zurückzuholen. Wie geil wäre es bitte, wenn es Rapper*innen mal wieder gelingen würde mit Gitarrensoli Gänsehautmomente zu kreieren wie damals Eminem mit "Sing For The Moment"?
Also woran hakt’s? Vielleicht daran, dass Gitarrensoli im HipHop seit RUN DMC immer noch auf zwei Kerneigenschaften setzen: verzerrt und aus der Rock-Schublade. Anstatt sich auf das Rock-Klischee zu fokussieren, wäre es aber mal angebracht, Soli aus anderen Genres auszuchecken, wie Latin, Jazz oder Funk. Aus genau diesen Stilrichtungen hat Hip-Hop bereits Grooves und Samples herausgenommen. Die logische Konsequenz wäre dann doch, sich auch in Sachen Gitarrensoli mal von verschiedenen Stilrichtungen beeinflussen zu lassen.
Am Sound zu schrauben, heißt ja auch nicht, dass auf die Markenzeichen, wie Trap-Drums oder 808s verzichtet werden muss. Wie geil sich das vereinen lässt, zeigen Hobby-Gitarristen auf Youtube.
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Trap Guitar Solo? (Beat - "Nothing" by Juanko Beats x Tower Beatz)
Chance für Newcomer
Für Newcomer könnte es sich auch lohnen, genau jetzt mit Gitarrensoli zu experimentieren. Denn damit könnten Rookies soundtechnisch definitiv aus der breiten Masse herausstechen. Gitarristen zu finden, sollte dabei kein allzu großes Problem sein - die Hochschulen, Jam-Sessions und auch Youtube sind voll von talentierten Gitarrist*innen. Man braucht also keinen John Mayer, um so etwas gut hinzubekommen.
Klar, Hip-Hop kann auch weiter auf der Trap- und Reggaeton-Welle reiten. Aber: ohne eine neue Inspiration, klingen die Songs halt immer gleich und werden damit in erster Linie eins: egal. Es muss also eine zündende Idee her. Und da wirkt es einfach absurd, dass das Gitarrensolo ungenutzt in der Schublade liegt. Da geht mir der komplette Spirit von Hip-Hop abhanden, der davon lebt, mal gegen Erwartungen zu schießen und Genrekonventionen zu ignorieren. Lustigerweise war das Gitarrensolo in den 60ern und 70ern ja genau das: ein Symbol für Individualität, Kreativität und Virtuosität. Und genau da sollte Hip-Hop wieder ansetzen und sich das zu eigen machen. Dann kann da ein neuer, richtig spannender Trend entstehen.
Sendung: PULS am 08.05.2020 - ab 15.00 Uhr