Vorwürfe gegen PWR BTTM Das Ende einer Karriere?
Erst kamen die Vorwürfe des sexuellen Übergriffs gegen ein Mitglied von PWR BTTM. Dann wurde die gehypte Punkband von ihrem Label und Management gedroppt und von ihren Fans geschasst. Nur: Warum ging das alles so verdammt schnell?
Am 12. Mai ist "PAGEANT" erschienen, das neue Album der queeren New Yorker Punkband PWR BTTM. Die Platte wurde von der Musikpresse durch die Bank gefeiert, aber bereits einen Tag vor dem Release ging es im Internet schon gar nicht mehr um die Musik der Band, sondern um die Vorwürfe gegen Ben Hopkins, Sänger und Gitarrist der Band.
Die Anschuldigung
"Ben von PWR BTTM ist ein bekannter Sexualstraftäter", heißt es in einem Facebook-Post von Kitty Cordero-Kolin, einem Mitglied der DIY-Szene in Chicago. "Ich habe gesehen, wie er unangemessenen sexuellen Kontakt mit Menschen gesucht hat, obwohl diese "Nein" gesagt hatten. Fast jedes seiner Opfer ist queer." Der Blog Jezebel veröffentlichte ein Interview mit einer anonymen Quelle, die einen sexuellen Übergriff von Ben Hopkins gegen sie beschrieb. Einen Tag nachdem diese Vorwürfe von Indierock-Blogs aufgegriffen wurden, posteten PWR BTTM ein erstes Statement:
"Ben wurde nie von einem Opfer sexueller Gewalt kontaktiert", heißt es in diesem Statement vom 11. Mai, "Dieses angebliche Verhalten ist nicht repräsentativ für Bens Person." Zwei Tage später verkündete das Plattenlabel Polyvinyl, dass sie ab sofort aufhören würden, PWR BTTM-Alben zu verkaufen und zu vertreiben.
"In der Welt ist kein Platz für Hass, Gewalt, Missbrauch, Diskriminierung und rücksichtsloses Verhalten jeglicher Art. Wenn du PWR BTTM-Produkte von Polyvinyl bestellt hast und dein Geld zurück willst, bitte schreibe an mailorder@polyvinylrecords.com. Wir bitten um Geduld, während wir alle Anfragen bearbeiten."
– Statement von Polyvinyl bei Facebook
Die Reaktion der Streaming-Dienste
Wiederum drei Tage später wurden PWR BTTMs Alben von diversen Streaming-Diensten (z.B. Apple Music) entfernt und mehrere Konzerte der anstehenden Tour wurden abgesagt. Die Band selber postete gleich drei neue Statements – eines unter Hopkins' Namen, eins unter Bruces Namen und ein gemeinsames. Darin schreibt Hopkins, dass er die Person, die im Jezebel-Interview Vorwürfe gegen ihn erhoben hatte, identifiziert habe:
"Wir trafen uns vor einem Konzert im März 2016. Nach der Show lud sie mich zu sich nach Hause ein und wir hatten Sex. Aufgrund unserer Interaktionen hatte ich den Eindruck, dass dieser Geschlechtsverkehr mit ihrem Einverständnis stattfand. Wir blieben in Kontakt […]. Sie besuchte mich bei mir zuhause und wir hatten mehrmals Sex miteinander […]. Vor letzter Woche hatte ich keinerlei Ahnung, dass sie ein Problem mit unseren Begegnungen hatte."
– Ben Hopkins (PWR BTTM) bei Facebook
Hopkins Bandkollegin Liv Bruce schien das erste Band-Statement – in dem stand, dass niemand die Band wegen der angeblichen Übergriffe kontaktiert hatte – zu widerlegen:
"Im Februar kontaktierte ich die Person, die von Jezebel interviewt wurde, nachdem ich hörte, dass sie in einem Onlineforum hetzerische Vorwürfe gegen Ben erhoben hatte. Unsere Unterhaltung war freundlich, aber sie endete ohne einen Plan dafür, wie es weitergehen sollte."
– Liv Bruce (PWR BTTM) bei Facebook
Die Reaktionen der Fans
Im Internet reagieren viele Fans wütend: Wenn die Band von den Anschuldigungen wusste, warum dauerte es so lange, bis sie sich dazu äußerte? Andere sind aufs Bitterste enttäuscht – wie kann eine Band, die so offen für Akzeptanz und gegen sexuelle Diskriminierung eingetreten ist, sich so etwas zuschulden kommen lassen?
Und wieder andere fragen sich: Wieso wird eine queere Punkband derartig rapide von Label und Management gedroppt, während andere Künstler, denen ähnliche Vorwürfe gemacht wurden (Swans-Sänger Michael Gira, Surfer Blood-Sänger John Paul Pitts, Chris Brown) relativ unbehelligt weiter Musik machen dürfen?
Es besteht der Eindruck, als hätten PWR BTTMs enge Verbindungen zur DIY-Punk- und LGBQT-Community dazu geführt, dass für sie ein anderer Maßstab angelegt wird als bei Mainstream-Acts, die eventuell bei Majorlabels unter Vertrag sind und bei denen weniger Überschneidung besteht zwischen ihrem menschlichen Verhalten und ihren Texten. Bei einer Band, die Tausenden von queeren Fans Mut zugesungen hat, fällt es umso schwerer ins Gewicht, sobald nur der Verdacht von sexueller Gewalt besteht – ob das fair ist, ist eine andere Frage.
Und nun?
Fakt ist: Man muss Opfern sexueller Gewalt glauben und sie unterstützen. Fakt ist auch: Innerhalb von nicht einmal zwei Wochen ist die Karriere einer Band, die viele als die nächste große Rockband gesehen hatten, gefühlt am Ende. Dabei spielten weniger bewiesene Fakten eine Rolle, als ein akutes und reales Gefühl des Verrats: Wie konnten sie nur? Und wenn sie es nicht getan haben: Wie konnten sie in die Situation geraten, dass wir dachten, sie hätten es getan?
Die rein rechtliche Basis dafür, PWR BTTMs Musik von Streaming-Plattformen zu entfernen, ist wacklig – theoretisch könnte die Band ihr ehemaliges Label sogar wegen Vertragsbruchs verklagen. Die wichtigere Frage für eine Band wie PWR BTTM ist aber: Wie gewinne ich das Vertrauen meiner Fans wieder? Der Verdacht besteht, dass der Zug abgefahren ist.