Beats und Texte aus der Community Wie Musiker*innen Sound mit ihren Fans machen

Immer mehr Künstler*innen machen ihre neuen Songs jetzt in Livestreams - aber nicht alleine. Sie beziehen ihre Fans beim Songwriting oder der Beat-Produktion mit ein. Und das ist eine Win-Win-Situation.

Von: Nina Lenz

Stand: 20.05.2020 | Archiv

Instagram Kommentar Symbole mit Musiknoten | Bild: BR

"Ich hab so nen leichten Schweißfilm in der Innenseite der Hand" sagt Henning May, während er vor dem Bildschirm in seiner Wohnung sitzt. Er ist in Yassins Twitch-Stream zugeschaltet, genauso wie Döll. Der Grad seiner Aufregung ist vermutlich eher milde ausgedrückt, gemessen an der Aufgabe, die vor ihm liegt: Er und Döll haben eine Stunde Zeit, um einen Text auf einen 90-sekündigen Beat zu schreiben. Das Publikum aka "der Mob" votet, welcher Text am Ende gewinnt. Wer das am Ende war, wird hier natürlich nicht verraten. Nur so viel: Am Ende singen/rappen zwei Top-Künstler aus Deutschland auf einen Beat, der komplett aus Yassins Community entstanden ist. Es war bereits die zweite Beat-Challenge, die er auf der Gaming-Plattform Twitch gestartet hat.

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Writing Battle: HENNING MAY vs. DÖLL - Best Of (Live @ Twitch) | Bild: Yassin (via YouTube)

Writing Battle: HENNING MAY vs. DÖLL - Best Of (Live @ Twitch)

"Ich war ganz früher schon im MZEE-Forum aktiv, da gab’s auch schon ein eigenes Producer-Forum, und da hab ich bei Beat-Battles mitgemacht. Das war schon ein ähnliches Prinzip, wie ich es jetzt mache. Dann hab ich das bei Kenny Beats auf Twitch wiederentdeckt und auch gleich selbst bei so einer Challenge mitgemacht. Ich hab gleich gemerkt: Das ist geil, das sollte es wieder geben."

Yassin im PULS Interview

Jeder, der mitmachen wollte, hat ein paar Wochen zuvor ein Sample-Paket bekommen und durfte daraus einen Beat bauen. Yassin hat sich dann mit der Community alle 70 Einsendungen angehört und sie über den Gewinner entscheiden lassen.

"Das klingt jetzt vielleicht kitschig, aber: Das ist HipHop. Das hat was von den Jams, die es früher gab. Jeder konnte da theoretisch der nächste Champion des Abends werden, auch wenn er Anfänger war. Ich mach das natürlich auch, um Nachwuchs und neue Produzenten zu finden und es ist natürlich auch ein Auftritt für mich in der Öffentlichkeit. Bevor ich eine Story auf Instagram poste, streame ich ehrlich gesagt lieber auf Twitch."

Yassin im PULS Interview

Musik mit der Community zu machen - das ist in den letzten Monaten immer beliebter geworden. Und Fakt ist: Es ist eine Win-Win Situation.

Fans werden in einen Prozess mit einbezogen, der bis dato für sie unsichtbar war

Auch wenn es die technischen Möglichkeiten schon vor Corona gab, hat einfach die Notwendigkeit gefehlt, sich auf diese Art und Weise mit seiner Community zu vernetzen - dafür waren ja Konzerte da. Aber mittlerweile streamt nicht nur Yassin zwei mal pro Woche auf Twitch, auch Ahzumjot startet regelmäßig Livestreams auf der Plattform, chattet mit seinen Fans, hört sich Beats an und zieht daraus einen Mehrwert. Durch diese Art Musik zu machen, lernen die Künstler*innen ihr Publikum besser kennen. Was gefällt, was nicht? Die Reaktionen sind sofort im Chat sichtbar. Außerdem ist Twitch eine dringend benötigte Einnahmequelle für Musiker*innen, denn Zuschauer*innen spenden entweder Geld oder abonnieren den Kanal, was fünf Euro im Monat kostet.

Die Musiker*innen und Rapper*innen bauen sich allerdings durch regelmäßiges Streamen nicht nur eine wirklich treue Community auf, sie geben auch mehr von sich und ihrer Arbeitsweise preis. Und das baut Vertrauen auf. Wenn man sich davor einigermaßen sicher war, dass sowohl Henning May als auch Döll ihr Handwerk als Texter gut beherrschen, gibt es nach dem Stream mit Yassin keinen Zweifel mehr. Die Verletzlichkeit, die dort gezeigt wird, macht die Akteure menschlicher. Hoher Einsatz, aber auch großer Gewinn.

Mehr Wertschätzung für die Kunst

Auch Charli XCX hat ihre Fans am Entstehungsprozess ihres neuen Album "how i’m feeling now" teilhaben lassen. Unter anderem konnte man in ZOOM-Konferenzen live dabei sein, wie sie textet, sich verzweifelt die Haare rauft und dann am Ende doch noch einen Song fertig schreibt. Diese Verbindung, die als Fan dort entsteht - praktisch als würde man als Einzige*r mit Charli XCX im Zimmer sitzen - verfliegt so schnell nicht.

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Charli XCX - "how i'm feeling now" announcement | Bild: Charli XCX (via YouTube)

Charli XCX - "how i'm feeling now" announcement

"So 'ne Challenge kann für die Leute auch neuer Input sein. Außerdem kann man, wenn man bei so einer Challenge mitmacht - oder auch wenn man sie nur anschaut - sich selbst und seine Fähigkeiten einordnen. Und es vernetzt natürlich. Wer keine Musik macht, kriegt einen Einblick, wie andere Menschen Musik machen. Das ist so ähnlich, wie Bob Ross beim Malen zuzuschauen."

Yassin im PULS Interview

An sich wird eine Fan-Künstler*innen-Beziehung ja nicht auf Augenhöhe geführt. Durch eine Zusammenarbeit verschieben sich aber die Ebenen. Hier bekommt die Community die Chance mit den Musiker*innen zu kommunizieren, ihre Ideen zu teilen und dann etwas mit ihnen zusammen zu kreieren. Das ist besser als jedes Merchandise: Künstler*innen, die man bewundert, rappen auf meinen Beat oder nehmen eine meiner vorgeschlagenen Textzeilen. Das schafft einen Anreiz für Leute, die eventuell schon seit Jahren Musik machen, aber nie die Chance auf einen größeren Erfolg bekommen haben.

AnnenMayKantereit zum Beispiel haben vor ein paar Wochen in einem Livestream die Zuschauer*innen nach einem Titelvorschlag für einen neuen Song gefragt, den sie Minuten zuvor vorgestellt haben. "Farsi Heart" kam und "Farsi Heart" blieb. Ein Ritterschlag für den Fan, der den Vorschlag geschrieben hatte. Im besten Fall haben die Menschen, die bei solchen Streams etwas beitragen oder auch nur zuschauen, danach eine andere Wertschätzung für die Musik.

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Farsi Heart - AnnenMayKantereit | Bild: Sarah Müller (via YouTube)

Farsi Heart - AnnenMayKantereit

Bitte mehr davon

Auch wenn man denken könnte, dass es die Musik entzaubert, wenn man die unsexy technischen Seiten der Entstehung kennen lernt oder sieht, wie schwierig es manchmal ist, Musik zu machen - das alles passiert nicht.

"Das ist für mich eine neue Art Musik zu machen - und ich will da gerne was draus entstehen lassen. Vielleicht mach ich in Zukunft eine EP nur mit Songs, die so entstanden sind. Ich glaub, da liegt ein Stück weit die Zukunft drin. Sprich: Nicht nur die Musik mitzubekommen, sondern auch den Prozess dahinter."

Yassin im PULS Interview

Im besten Fall machen nicht nur Yassin, Ahmzumjot und AnnenMayKantereit damit weiter, sondern es kommen auch immer mehr andere Musiker*innen auf den Geschmack. Wie realistisch das nach Corona-Zeiten ist, bleibt abzuwarten. Aber klar ist: Instagram hat Künstler*innen nahbarer gemacht - in Livestreams mit Fans zusammen Musik zu machen, ist Next-Level-Shit.

Sendung: PULS am 22.05.2020 - ab 15.00 Uhr