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Plattenkritik Hiob - Drama Konkret

Heimorgel-Beats und Berliner Kneipenphilosophie. Der freiberufliche Handwerker aus dem Prenzlauer Berg schafft mit seinem ersten Solo-Album ein Meisterstück.

Von: Franz Liebl

Stand: 04.11.2011 | Archiv

Hiob | Bild: Max Winter

Man nennt sie die "Generation Shuffle". Kids haben heute die gesamte Musikgeschichte auf ihrem MP3-Player und bereits mit 16 alles gehört, was es je gab. Für ihre eigene Musik nehmen sie hier ein wenig Dubstep, da ein bischen Dark Wave, hier ein wenig Bob Dylan, da ein bisschen Rap. Das sei das Qualitätsrezept der Zukunft, meinen viele Schreiberlinge neuerdings. Je mehr Zutaten desto besser. Dass da oft Eintopf mit Geschmacksverstärker aus der Dose als Feinschmecker-Delikatesse verkauft wird, übersehen sie in ihrer, manchmal fast blinden, Suche nach dem neuen Superhype. Echte Meisterstücke einer bestimmten musikalischen Form – sowas gilt als altmodisch und wird wenig beachtet. Aber warum steht dann ein Re-Release von Nirvanas "Nevermind" wieder in den Top Ten der Album-Charts?

In dieser verrückten Zeit erscheint Hiobs erstes Solo-Album "Drama Konkret". Er schert sich einen Dreck um den neuen heißen Scheiß aus der Instant-Küche. Dafür lässt er uns die Essenz der musikalischen Kunstform Rap kosten: Samplebeats und Straßenpoesie. Und diese Essenz schmeckt einfach besser als jeder Eintopf.

Einer der besten Rapper Deutschlands

Einen Namen im deutschen Rap hat sich der Berliner Hiob vor allem im Doppelpack mit dem Leipziger Morlockk Dilemma gemacht. Neben Dilemma, dem kompromisslosen Punchline-Spitter, stand Hiob, der Geschichtenerzähler, der Sprachbilder malt, wie sie Rap-Deutschland noch nicht gehört hatte. Dass Hiob deswegen zu den besten deutschen Rappern zählt, unterstreicht er auf "Drama Konkret" mit dickstem Edding. Sein außergewöhnlicher Rapstyle, mit seiner hohen Stimme und der unkopierbar abgehackten Form, lässt die deutsche Sprache fließen wie bei keinem Anderen. Zugegeben, das klingt manchmal sehr eigenwillig. Aber über seine einzigartige poetische Sprache lässt sich nicht streiten. Man sitzt direkt neben ihm in der Berliner Kneipe, wenn er gerade seinen Monatslohn verprasst. Man spürt fast das Wasser, in dem Hiob knietief in seiner Küche steht, weil seine Ex-Freundin einfach nicht aufhört zu weinen. Man schmeißt auf der Straße Steine mit ihm und steckt nachher die Prügel der Polizei ein.

Samples im Loop – von wegen altbacken!

Albumcover Hiob - Drama Konkret

HipHop hat sich musikalisch seit seinen Anfängen bei allen anderen bedient. Bei Jazz, Rock, Electro, Funk, Techno, Indie, Soul, Weltmusik. Wenn eine Musik- richtung die vielbeschworene Genre-Vermischung bereits durchexerziert hat, dann HipHop. Seit jeher entscheidet man sich im HipHop bewusst für das Material, mit dem man arbeiten will, und für die Form, die man dann herausholt. Wie in der bildenden Kunst. Nehme ich Holz, Marmor oder Sandstein? Mache ich daraus eine kitschige Marienfigur, eine griechische Statue oder eine abstrakte Quaderskulptur. Hiob macht Samplebeats aus den Soundtracks alter deutscher Fernsehserien, aus Horrorfilmmusik und Heimorgelplatten. Er verarbeitet sie mit einem immensen Gespür für noch nie gehörte Loops, für ungewohnte Klänge und besonders knallende Drumsounds. Um wieder zurück in die Küche zu gehen: Das sind wenige Zutaten, aber die stimmen.

So 2011 wie nur was

Solch gute Rapmusik zu machen, das können nicht viele. Nicht mal in den USA. "Das klingt trotzdem nur wie HipHop aus den 1990ern!" mag da der eine oder andere Hipster-Journalist aufheulen. Da haben sie ihre eigenen Argumente nicht verstanden. In einer Zeit, in der tatsächlich der Stilverlust von Musik als neuer Hype beschworen wird, sollte es doch keine Kategorisierung mehr wie "HipHop aus den 90ern" geben, oder? Dann wäre nur noch die Qualität entscheidend. "Drama Konkret" zeugt von einer hohen sprachlichen und musikalischen Kunstfertigkeit.

Die "Generation Shuffle" wird so eine Platte nicht erschaffen können. Weil es dafür eine jahrelange Erfahrung in ein und derselben Materie braucht. Fakt ist: "Drama Konkret" wäre 1996 nicht möglich gewesen und ist so 2011 wie nur was. Punkt. Bitte mehr Aufmerksamkeit für dieses Rap-Meisterstück!


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