Ruhmeshalle The Jimi Hendrix Experience - Electric Ladyland
Wunderheilung auf sechs Saiten: Mag schon sein, dass Jimi Hendrix in Woodstock die US-Nationalhymne zerfetzte und damit in den Rock-Olymp aufstieg. Für unseren Autor Matthias Leitner tat er Größeres - er rettete ihm das Leben.
Dezember 1999, zweiter Advent, kurz vor Mitternacht. Ich bin 16 Jahre alt, es ist saukalt, und ich torkle aus dem Bräustüberl in Tegernsee. Nichts wie heim. Kaum hängt mein gefrorener Daumen im Polarwind, hält schon ein rostroter, erbärmlich verbeulter Karren klappernd im Schneematsch. Die Tür fliegt auf, eine Basedrum klatscht mir ins Gesicht. Der Typ am Steuer - wirrer Bart, glänzende Augen - schreit mich durch eine meterdicke Gitarrenwand an: "Servas. I bin da Patty. I hoff du magst an Jimi."
Ohne Jimi kein Überleben
Ich denke: "Jimi? Mir egal dein Jimi. Heim will ich." Im Auto werde ich von kreischenden Rückkopplungen und krächzenden Verzerrungen empfangen, die mich direkt durch die zitternde Membran der Boxen am Kragen packen und zentnerschwer in den Sitz drücken. Der Betonfuß meines Fahrers tut sein übriges. Bei Tempo 120 beginnt sich mein Magen umzustülpen, während die Synapsen SOS ans Kleinhirn funken. Schneewehen peitschen an die Scheiben, das Auto schlittert über Eisplatten, Patty stampft passend zum Beat auf die Bremse. Heute weiß ich: Ohne Jimi Hendrix hätten wir diese Fahrt niemals überlebt.
Das perfekte Utopia: Electric Ladyland
Dafür zünde ich regelmäßig eine Kerze an: Das Album "Electric Ladyland" der Jimi Hendrix Experience hat mir und Patty das Leben gerettet. Immer wenn Jimis sprechende Gitarre die Spur des Wagens in den Graben ziehen wollte, stieg die Rhythm Section in die Eisen, knallte Mitch Mitchell zur Warnung auf die Becken oder rupfte Bassist Noel Redding uns wieder zurück auf den Asphalt. Immer wenn ein Reh oder sein Häscher, der brünftige Tegernseer Todeshirsch, im Scheinwerferkegel unseres Blechsarges stand, ließ uns ein Hendrix-Solo einfach darüber hinweg schweben.
Bild ich mir das alles nur ein? Oder hat The Jimi Hendrix Experience damals wirklich ihre geballte Voodoo-Zauberei auf eine bayerische Landstraße geworfen. Jedenfalls stand ich am Ende verschwitzt, ausgelaugt und zitternd, aber für den Bruchteil einer Sekunde auch erleuchtet, vor meiner Haustür. In der 20-minütigen Autofahrt hatte ich mich ein Dutzend Mal mutig vom Leben verabschiedet, hatte mich feige ans Armaturenbrett geklammert, hatte zum ersten Mal seit Jahren gebetet. Am Ende stand ein Schwur: Herr, wer auch immer du bist, wenn ich diese Fahrt überlebe, dann wandere ich aus: ins "Electric Ladyland" - versprochen.