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Ruhmeshalle The Who - Who's Next

Ende der 60er Jahre hatten The Who gerade den Megaerfolg ihres Albums "Tommy" und einen legendären Auftritt beim Woodstock-Festival hinter sich, das die Band leidenschaftlich verabscheute. Dass dann ausgerechnet "Who's Next" 1971 zu ihrem wahren Meisterwerk wurde, war Ergebnis eines großen Scheiterns.

Von: Michael Wopperer

Stand: 05.08.2011 | Archiv

The Who: Keith Moon, Pete Townshend, Roger Daltrey und John Entwistle, 1978. | Bild: UPI

Wie jeder vernünftige Teenager war ich mit 14 großer Fan der 60er Jahre. Zum ersten Mal den berühmten Woodstock-Film zu sehen, war damals wie eine Offenbarung. So viel Freiheit, so viel Chaos - wunderbar. Und mittendrin eine Band, die mir vorher nicht viel gesagt hatte - und die jetzt plötzlich aussah wie der Inbegriff von Rock'n'Roll: The Who. Ein paar eher unfreiwillig zu Hippies gewordene englische Mods, die 1969 gerade eine der größten Bands der Welt waren. Sie waren laut, sie waren wild, und sie haben am Ende ihre Instrumente zerstört. Wahnsinn.

Schon ein paar Jahre später fand ich diesen Woodstock-Auftritt von The Who schrecklich albern. Die pathetischen Posen von Roger Daltrey, das auf Wolkenkratzergröße angeschwollene Ego von Pete Townshend, die Böse-Buben-Inszenierung der Bühnenzerstörungsroutine - und dann diese aufgeblasene Rockoper, die The Who damals aufgeführt haben: "Tommy". Ein Haufen tolle Songs, in ein prätentiöses Storykonzept gezwängt, das Rock'n'Roll endlich zu E-Musik machen sollte. Furchtbar.

Teenage Wasteland

Was für ein Segen war es da, "Who's Next" zu entdecken, das erste Album, das The Who nach Woodstock aufgenommen haben: das wahre Meisterwerk der Band, keine Möchtegernoper, einfach neun unfassbar großartige Songs, die vom "Teenage Wasteland" handeln.

Der Witz ist, dass auch "Who's Next" ursprünglich als Konzeptwerk gedacht war - noch größer, noch überwältigender, noch magischer als "Tommy". Pete Townshend, der Mastermind von The Who, wollte "totale Musik" erschaffen, eine Art "Brave New World" in Popform.

"Lifehouse" sollte das ganze Projekt heißen, eine Art Happening, aus dem ein Film und ein Doppelalbum entstehen sollten - und am Ende ein "universaler Akkord", der sich aus digitalisierten biographischen Daten des Publikums speist. Dass aus solch megalomanischen Science-Fiction-Träumen nichts wurde, erscheint im Rückblick wenig verwunderlich. Für The Who war es eine Katastrophe. Aus den "Lifehouse"-Bruchstücken nach all den hochtrabenden Ideen nur eine weitgehend story- und konzeptfreie Songsammlung zu kompilieren, war für Pete Townshend das größtmögliche künstlerische Scheitern. Für alle anderen war es die unbezahlbare Chance, The Who am absoluten Gipfel ihrer Möglichkeiten zu erleben, ohne von überfrachtetem esoterischem Bullshit erdrückt zu werden.

Das Ende der Hippie-Träume

Mit "Who's Next" waren die 60er Jahre endgültig Vergangenheit. Es war das erste Album, auf dem Sequenzer und Synthesizer sinnvoll eingesetzt wurden, es war das erste Album, das die virtuose Genialität von Roger Daltrey, Pete Townshend, John Entwistle und Keith Moon kristallklar auf den Punkt bringen konnte - und es war das Album, das die Teenager-Träume der Hippie-Ära genauso stil- wie würdevoll zu Grabe getragen hat.

Um das zu kapieren, reicht eigentlich ein Blick auf das Cover von "Who's Next": Da sieht man einen Beton-Monolithen, der erstmal furchtbar bedeutsam wirkt. Aber dann entdeckt man vier Pisseflecken auf dem Beton und die vier Bandmitglieder, die sich gerade die Hosen zumachen. Und plötzlich hat der Titel "Who's Next" eine ganz banale Bedeutung - für die man The Who fast noch dankbarer ist als für das ganze unsterbliche Album, das sie da gerade in die Musikgeschichte gepisst haben.


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