Ruhmeshalle Paul Simon - Graceland
Nach Jahren des Misserfolgs findet Paul Simon in Südafrika neue Inspiration. Mit "Graceland" schafft er eines der besten Alben der 80er Jahre - und die Blaupause für den Global Pop von Bands wie Vampire Weekend und Foals.
1986 befindet sich Paul Simon im 15. Jahr seiner Solokarriere nach Simon & Garfunkel. Sein Album "Hearts & Bones" ist drei Jahre alt und lässt sich bei allem Wohlwollen nicht anders als der kommerzielle und künstlerische Tiefpunkt seiner Karriere bezeichnen. Simon wiederholt sich, klingt leer und uninspiriert. Da fällt ihm eine Kassette mit afrikanischem Mbaqanga in die Hände.
Wenn man Mbaqanga aus dem Zulu ins Deutsche übersetzt, dann lautet der Name des Reggae-Soul-Jazz-Gemischs ganz unprätentiös: Brei. Als sich Simon erkundigt, woher denn der Brei stammt, der ihm nicht mehr aus dem Kopf geht, soll er geseufzt haben: Wieso nicht Simbabwe oder Nigeria – das Leben könnte so schön einfach sein. Denn der Township-Jive kommt aus Soweto. Seit Mitte der Siebziger ist Südafrika für seine Apartheid-Politik offiziell international geächtet. "I Ain't Gonna Play Sun City", schwören Superstars wie Bruce Springsteen oder U2: Sie boykottieren den südafrikanischen Vergnügungspark. Der Legende nach fragt Paul Simon Produzentenlegende Quincy Jones um Rat, ob er den internationalen Boykott ignorieren und nach Südafrika reisen soll. Wenn man fair mit den Musikern vor Ort umgeht, warum nicht, so Quincys Antwort.
Hinwegsetzen über den Common Sense
1985 macht sich Simon also mit einem Dutzend Kompositionen auf nach Johannesburg, um mit Ladysmith Black Mambazo, Miriam Makeba und Youssou N'Dour ins Studio zu gehen. Zurück in Amerika holt er auch noch Los Lobos und die Everly Brothers ins Boot – heraus kommt ein so noch nie dagewesener Mix aus Folk, Calypso, Zydeco, Soul, Rock und natürlich Mbaqanga. Und Simons Plan geht auf: "Graceland" erhält fünf Mal Platin, zwei Grammys und einen festen Platz in jedem "Die besten Alben aller Zeiten"- Ranking.
Kehrtwende der Vernunft
Sofort nach Erscheinen setzen die Vereinten Nationen "Graceland" auf den Index. Erst nach eingehender Prüfung nimmt das Anti-Apartheids-Komitee der UNO die Abmahnung zurück, da "Graceland" das Talent der schwarzen Künstler vortrefflich repräsentiere. Zurück bleibt jedoch der fahle Beigeschmack: Den intellektuellen weißen Popstar kickt nichts mehr, er hat es sogar mit Zwölftonmusik versucht – da bedient er sich doch einfach bei der schwarzafrikanischen Kultur. Ausbeutung ist das nicht, aber hier treffen zwei Welten aufeinander, die nichts miteinander zu tun haben. Vampire Weekend singen: "This feels so unnatural, Peter Gabriel too". Doch unnatürlich würde vor allem eine aufgesetzte Authentizität wirken. Und weder Paul Simon noch seine Erben Vampire Weekend tun so als ob.
Simon wurde vorgeworfen, dass seine Kritik am Apartheidsregime nur zwischen den Zeilen herauszulesen wäre. Aber: "Graceland" ist weniger ein politisches Album als die vielleicht schönste Realitätsflucht der Popgeschichte. Kein Lied verdeutlicht dies mehr als der blindoptimistische Titeltrack: Die Geschichte eines Mannes mit gebrochenem Herzen, der der fixen Idee nachhängt, seinen Frieden genau da zu finden, wo der King sein würdeloses, einsamfettes Ende fand: in Graceland, Memphis, Tennessee.