Ruhmeshalle The Libertines - Up The Bracket
Im Jahr 2002 braucht es keinen Tratsch und keine Skandale, um Pete Doherty und Carl Barat über Nacht zum Traumpaar des Indierock zu machen. Dafür reichen die genial verschluderten 36 Minuten des Libertines-Debüts "Up The Bracket".
Das letzte, was die Welt im Jahr 2002 braucht, ist eine weitere "The"-Band. Seit dem Debüt der Strokes ein Jahr zuvor sind The Hives, The Vines, The White Stripes und wie sie alle heißen in den Himmel gelobt worden, und allenthalben ist von einem "Garagenrock-Revival" die Rede. Die Plattenfirmen hecheln gierig jeder popligen Jungband hinterher, die halbwegs nach 1977 klingt. Gemeinsam ist all den Newcomern, neben einer ausgeprägten Punk- und New Wave-Affinität, eigentlich nur ein Bandname mit bestimmtem Artikel - was uns den wahrscheinlich dümmsten Trendbegriff des Jahrzehnts einbrockt. 2002 ist der Trubel um die sogenannten "The"-Bands auf seinem Höhepunkt, und jeder wartet auf die britische Antwort auf den in New York geborenen Hype. Als die dann aber kommt, wischt sie mit einem Schlag alle Retro-Debatten und Trend-Strategien weg - The Libertines sind reine, exzessive Gegenwart.
Romantisches Traumpaar der Träumer
Pete Doherty und Carl Barat sind das spektakuläre Frontduo der Libertines, ein Traumpaar wie aus dem Rock'n'Roll-Bilderbuch: Echte Blutsbrüder, die in ihrer gemeinsamen Wohnung Guerilla-Gigs spielen, bis die Polizei kommt, sich zusammen das Wort "Libertine" auf den Arm tätowieren lassen und gemeinsam von einem romantischeren England träumen, das auf den alten Namen "Albion" hört. Die Energie, die zwischen den beiden mit der Wucht einer Explosion entfacht wird, ist unfassbar und mit kaum einer musikalischen Partnerschaft der Popgeschichte zu vergleichen.
Als Songwriter stehen Pete Doherty und Carl Barat in der Tradition britischer Bands wie The Kinks, The Clash und The Jam. Unter der ungestümen Punkrock-Attitüde und der kaputten Aura des Albums "Up The Bracket" stecken Songs von zeitloser Größe. Aber statt an vergeistigten Arrangements herumzutüfteln, stürzen die Libertines sich ungebremst mitten hinein in den Wahnsinn, der Rock'n'Roll schon immer sein soll. Sie schreien, pöbeln, rotzen und rempeln sich durch die Songs, als ob es kein Morgen gäbe. Die halsbrecherische Performance, die Doherty, Barat, Bassist John Hassal und Schlagzeuger Gary Powell für ihr Debütalbum abliefern, wird vollkommen ungefiltert auf Platte gebannt, live im Studio aufgenommen, schludrig, unkontrolliert und ohne Rücksicht auf Verluste.
Libertine for life
Dass die Dinge kompliziert wurden für die Libertines nach "Up The Bracket", ist längst Teil der Rock'n'Roll-Geschichtsschreibung. Es folgte ein noch zerschosseneres, aber nicht minder geniales zweites Album, es folgten die Drogen, die Skandale, die Supermodels und die Gefängnisaufenthalte. Es folgten die Babyshambles und die Dirty Pretty Things, halbe und ganze Reunionen, Soloalben und viele, viele Titelseiten in der Klatschpresse. Aber eins war die ganze Zeit über klar, und Carl Barat und Pete Doherty wurden nie müde, es zu betonen: Ein Libertine bleibt man ein Leben lang.
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