Ungeziefer in der Wohnung Warum Bettwanzen kein Grund sind, sich zu schämen
"Ich hab‘ Bettwanzen." Das klingt erst mal eklig. Kein Wunder also, dass man dieses Problem lieber verschweigt. Doch nicht darüber sprechen, das macht es nur schlimmer. Unsere Autorin erzählt euch deswegen ihre Bettwanzen-Story.
Stiche und Pusteln, die saumäßig jucken und wehtun – damit bin ich eine Woche nach meiner Rückkehr aus Südamerika aufgewacht. Erst hab‘ ich mich nicht besonders gewundert, schließlich bin ich sechs Monate lang durch die Gegend getingelt, von Hostel zu Hostel, von einem Land zum Nächsten… Aber dann wurden es immer mehr Stiche, ganz komisch aneinandergereiht. Und langsam ist mir klargeworden, dass es wahrscheinlich nicht einfach nur irgendwelche harmlosen Stiche sind. Also hab‘ ich meine Wohnung nach Insekten abgesucht. Alle Ecken, Wände, die Decke, den Boden. Nichts. Schließlich hab‘ ich unter mein Sofa geschaut – und da waren sie: drei rotbraune, apfelkernförmige Viecher. Ich hab‘ Gänsehaut bekommen. Bei meiner ersten Internetrecherche hab' ich keine Schädlinge gefunden, die so stechen oder beißen – weder Ameisen noch Kakerlaken. Dann hab‘ ich meine Schwester um Rat gefragt und ihr ein Foto von den Stichen geschickt. Kurz drauf hat sie mich angerufen: "Scheiße Camille, ich glaube, du hast Bettwanzen, du musst dringend einen Kammerjäger anrufen, all deine Sachen in Plastiktüten…". Ab da hab‘ ich gar nicht mehr zugehört, vor lauter Ekel. Und dann hat mich alles noch viel mehr gejuckt.
Bettwanzen – keine Frage der Hygiene
Als erste Übersprunghandlung bin ich in den Baumarkt gegangen und hab‘ mir ein Spray gegen die Bettwanzen gekauft, aber eigentlich wollte ich nur eins: losheulen und ausziehen – aber wohin? Ich war gerade erst alleine nach Montpellier gezogen, kannte kaum Leute und hatte diese Wohnung ohnehin schon wochenlang gesucht. Also bin ich wieder nach Hause gegangen, den Kopf voll mit Input von den Baumarktmitarbeiter*innen und hochmotiviert, all diese Tipps zu befolgen, damit diese Viecher schnellstmöglich wieder weggehen. Die wichtigste Info war für mich: Es ist ganz egal, wie sauber oder dreckig WG-Zimmer, Wohnung oder Klamotten sind – Bettwanzen haben nichts mit Hygiene zu tun. Man ist also weder unhygienisch noch eklig, wenn man Bettwanzen bekommt. Fälschlicherweise glauben das aber viele Leute – und deswegen wird nicht darüber geredet. Die Folge: Man weiß viel zu wenig über Bettwanzen und steht erst mal, genau wie ich, ziemlich ratlos und vor allem beschämt da.
Eigentlich waren Bettwanzen nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa nahezu ausgerottet, aber heute vermehren sich die Insekten wieder. In Frankreich hat es 2016 und 2017 etwa 200.000 gemeldete Fälle gegeben, allein in 2018 waren es mit 400.000 doppelt so viele. Und auch in Deutschland werden es immer mehr: In Berlin ist die Zahl der Fälle zwischen 2007 und 2017 von 500 auf 2500 angestiegen plus hoher Dunkelziffer, da man Bettwanzen in Deutschland nicht melden muss.
Dass wir wieder mehr Bettwanzen haben, hat mehrere Gründe. Sie sind mit der Zeit resistent gegen viele Gifte geworden. Außerdem hat die Globalisierung einen großen Beitrag geleistet, da durch Import und Export von Waren Bettwanzen mittransportiert werden. Und: Sie verstecken sich auch oft in gebrauchten Möbeln oder Second-Hand-Klamotten und kommen so zu uns nach Hause. Ein weiterer Grund ist das Reisen, denn egal ob Luxushotel oder Jugendherberge: Bettwanzen schleichen sich oftmals in unseren Koffer oder Rucksack. So war's auch bei mir: Ich hatte die Wanzen aus irgendeinem Hostel aus Südamerika mitgebracht.
Klamotten heiß waschen – oder einfrieren
Bei meiner Wanzenbekämpfung ist es so weitergegangen: Bett abziehen und alles bei 60 Grad waschen. Wanzen überleben nämlich nicht unter minus 18 und über 55 Grad Celsius. Einige der Klamotten hab‘ ich in die Gefriertruhe gepackt – aus Angst, dass sie bei der 60-Grad-Wäsche kaputtgehen. Aber das war lange nicht alles: Denn nur ein Kammerjäger kann die Viecher dauerhaft aus der Wohnung bekommen. Und der hat mir geraten, für ein paar Tage aus meiner Wohnung auszuziehen, da er viele giftige Stoffe im Zimmer versprühen würde. Also hab‘ ich meinen Koffer gepackt, dem Kammerjäger meinen Schlüssel gegeben und die nächsten Tage bei drei Kommilitoninnen übernachtet.
Nach einer Woche konnte ich endlich in meine Wohnung zurück. Aber ein paar Tage später hab‘ ich bemerkt: Die Wanzen waren noch immer da! Denn Bettwanzen können wochenlang ohne frisches Blut überleben. Und: Es reicht schon, wenn nur ein einziges Weibchen überlebt, Eier legt und dann die nächste Wanzengeneration schlüpft. Also ist das Prozedere wieder von vorne losgegangen: Sachen waschen, einfrieren, Kammerjäger – und wieder ausziehen. Den Mut, dann wieder einzuziehen, hatte ich danach kaum mehr. Ich brauchte ihn aber im Endeffekt auch gar nicht, da ich mit den drei Kommilitoninnen eine WG gründete. Bis jetzt hab‘ ich keine Ahnung, ob die Wanzen nach dem zweiten Kammerjägereinsatz wirklich weg waren. Aber noch Wochen später hab ich immer mal wieder gedacht, ich hätte die Wanzen in die neue Wohnung gebracht und hatte gleich Angst, wenn es mich gejuckt hat. Zum Glück waren keine Bettwanzen in der neuen WG. Und auch wenn ich mich heute nicht mehr dafür schämen würde, Bettwanzen zu haben, träume ich manchmal noch vor lauter Ekel davon, dass sie zurückkommen...
Sendung: Hochfahren am 10.09.2019 – ab 7 Uhr.