Influencer im Namen Gottes Wie Christfluencer gegen Sex vor der Ehe predigen
Sie sehen gut aus, geben sich lässig und predigen gegen Sex vor der Ehe und Pornos. Christfluencer wollen wie alle anderen Influencer auch vor allem eines machen: Werbung. Und zwar für Gott. Doch ihr Glaubensverständnis ist sehr konservativ.
Auf den ersten Blick wirken Lisa aka LiMarie und ihr Freund Lukas wie ganz normale Youtuber, die gerade Möbelberatung machen. Sie: perfekt geschminkt, er: lässiger Dreitagebart. Das Zimmer ganz in trendigem Grau-Weiß gehalten. Das Klischee von eher oberflächlichen Youtubern erfüllen die beiden ziemlich gut. Nur ihre Message ist ziemlich untypisch.
"Heute werden wir ein Video machen, warum wir keinen Sex vor der Ehe haben – bämmm!"
Lukas in LiMarie: Kein Sex vor der Ehe 1
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KEIN SEX VOR DER EHE 1 | Warum wir warten
LiMarie nennt ihre Videos "Predigten"
LiMaries Channel ist der wahrscheinlich meistgeklickte deutschsprachige Kanal von christlichen Influencern. Die 23 Jahre alte Grafikdesignerin aus Bingen bei Mainz nennt ihre ziemlich professionell gemachten Videos "Predigten". Sie will ihre Follower zu einem bibeltreuen Leben motivieren. Zum Beispiel mit Enthaltsamkeit. Dafür kassiert sie viel Kritik – auch aus dem christlichen Lager.
"Ich spreche gerne von einem modernen Antimodernismus – und das ist so bezeichnend für diese Szene. Das meint: Man nutzt Phänomene der Popkultur und hat aber doch eine sehr konservative Botschaft."
Matthias Pöhlmann, Weltanschauungsbeauftragter der evangelischen Landeskirche Bayern
Matthias Pöhlmann arbeitet für die evangelische Kirche – ist also alles andere als ein Atheist. Als Weltanschauungsbeauftragter beobachtet er, was sich im christlichen Spektrum so tut – und berät Leute, die zweifeln, wie radikal die Gemeinden sind, in die sie so reingeraten sind. Denn neben den beiden großen Kirchen gibt es viele so genannte evangelikale Freikirchen. Und bei vielen von ihnen ist kein Sex vor der Ehe die Bewährungsprobe schlechthin – LiMarie gibt in ihren Videos dabei den Coach...
"Und wenn es wirklich nur noch zwei Wochen sind bis ihr heiratet, dann könnt ihr diese zwei Wochen grade noch warten und dieses Geschenk auspacken, wenn es an der Zeit ist."
Lisa Stowasser aka LiMarie, Christfluencerin
... und hat noch dazu praktische Tipps auf Lager:
"Und natürlich, das gilt auch im Urlaub oder so, dann bucht man halt zwei Hotelzimmer. Wir haben auch zwei Hotelzimmer gebucht..."
Lisa Stowasser aka LiMarie, Christfluencerin
In der Bibel steht: Gott mag keine Homosexuellen
Doch warum das alles? LiMarie erklärt es mit den youtube-üblichen persönlichen Erfahrungen – und mit der Bibel. Alles Leben ist von Gott geschaffen, steht da. Also argumentiert Lukas damit in einer Folge gegen Abtreibungen. Und auch zur Homosexualität findet sich was in der Heiligen Schrift. Ein eigenes Video dazu gibt es bei LiMarie nicht. Ihre Haltung wird aber im Interview mit PULS klar.
"Also ich persönlich finde einfach, Mann und Frau passen super zusammen, fertig. Und ja klar, die Bibel sagt halt schon, dass Homosexuelle – dass Gott das nicht mag, und dass er Mann und Frau geschaffen hat. Also das vertrete ich schon auch."
Lisa Stowasser aka LiMarie, Christfluencerin
Evangelikale Christen nehmen die Bibel meistens wörtlich, das unterscheidet sie von den beiden großen Kirchen in Deutschland. Für sie ist die Bibel vor allem ein historischer Text, den Theologen immer wieder neu interpretieren müssen. LiMaries Youtube-Theologie bezeichnet Axel Seegers, der Weltanschauungsbeauftragte der katholischen Kirche, deshalb als "christlichen Populismus".
"Ich finde, dieser Umgang mit der Bibel ist absolut fragwürdig. Es ist letztendlich auch ein Missbrauch der Bibel, weil sie eben nicht so ein Rezeptbuch ist. Die Bibel ist nicht eine Bedienungsanleitung, aus der wir uns einfach unsere konkreten Hinweise nehmen und das eins zu eins umsetzen."
Axel Seegers, Weltanschauungsbeauftragter des katholischen Erzbistums München-Freising
Pornos sollen pädophil machen
Zum Pornoschauen steht natürlich so explizit nichts in der Heiligen Schrift. Also muss eine angeblich wissenschaftliche Studie herhalten, von der ein Kumpel aus LiMaries Predigerseminar namens Michi in einem Antiporno-Seminar gehört hat. Laut dieser Studie soll durch Pornoschauen das Risiko, pädophil zu werden, um das sechsfache steigen. Komisch nur, dass davon in der Wissenschaft nichts zu lesen ist.
Aber auch hier greift eine fragwürdige Logik, die bei Influencern öfter mal vorkommt: Zum "Experten" macht Michi offenbar allein die Tatsache, dass er, wie er sagt, in seinem vorkirchlichen Leben schon mal Pornos geschaut hat – und jetzt, nach eigenen Angaben, nicht mehr. Und auch bei LiMarie zählen Klickzahlen.
Coca Cola und Mc Donald‘s als Vorbild
Lisa ist Mitgründerin der Global Video Church, kurz Givici. Sie will damit Christen im zeitgemäßen Look ansprechen – und arbeitet dabei wie Marketingabteilungen in großen Unternehmen, sagt sie in einem ihrer Videos.
"Und zwar haben wir Coca Cola, Mc Donald’s, Audi – all diese Firmen uns zum Vorbild genommen. Warum? Weil jeder sie kennt."
Lisa Stowasser aka LiMarie, Christfluencerin
Die Global Video Church hat Großes vor. Noch sind ihre Follower- und Abozahlen bescheiden. In den USA, wo es mehr evangelikale Christen als in Deutschland gibt, sind die christlichen Influencer erfolgreicher. Und die wirken auf den ersten Blick auch überhaupt nicht konservativ. Die Rapperin Jacky Hill Parry aus Atlanta zum Beispiel könnte man auf ihrem Profil für eine Black Lives Matter-Aktivistin halten – würde sie nicht stolz davon erzählen, wie Jesus Christus sie von einer Lesbe zur frommen Familienmutter gemacht hat.
"I used to be a lesbian."
Jacky Hill Parry, christliche Rapperin, USA
Seriöse Sexualwissenschaftler halten so etwas für Bullshit, Theologen finden solche Influencer-Botschaften problematisch. Denn sie würden gerade Jugendliche auf der Suche nach Orientierung unter psychischen Druck setzen. Sogar in der katholischen Kirche sehen das einige so. Der katholische Weltanschauungsbeauftragte Axel Seegers gibt zwar zu, dass es auch hier ein klares Regelwerk gibt, das Sex vor der Ehe verbietet, nämlich den Katechismus. Aber darüber gibt es heftige theologische Diskussionen, findet er. Die meisten Leute der Influencer-Generation dürften sich in Fragen der Sexualität weder von der katholischen Kirche noch von den neuen Christfluencern reinreden lassen.
Sendung: Filter, 19. Februar 2019, ab 15 Uhr