Interview mit dem ersten offen schwulen Imam Deutschlands "Ich mache ihnen klar, dass sie weder alleine, noch sündhaft sind"
Christian Awhan Hermann ist Imam und offen schwul. Damit ist er in Deutschland der erste. Jetzt hat er eine Organisation gegründet, die Seelsorge für diskriminierte Muslime anbietet. Im Interview erklärt er, was er verändern will und wieso der Islam keine homophobe Religion ist.
Mit 19 Jahren ist Christian Awhan Hermann aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Heute ist der 48-Jährige Imam, ein Glaubensführer im islamischen Glauben. Seine Ausbildung zum Imam machte er beim ersten als schwul geouteten Imam Europas. Im Interview erklärt er, wieso der Islam an sich keine homophobe Religion ist und was sich ändern muss, damit mehr Menschen diese Ansicht vertreten.
PULS: In weltweit sieben Ländern steht auf Homosexualität die Todesstrafe, alle sieben Länder sind stark muslimisch geprägt. Trotzdem entscheidest du dich als schwuler Mann für den Islam?
Christian Awhan Hermann: Das ist genau die Diskussion, die wir blöderweise in Deutschland führen: Die Religion ist ja so homophob, dann gibt es auch noch die Todesstrafe - wie kann man sich nur dafür entscheiden? Gerade aus der queeren Community höre ich das. Diese Entscheidung hat nichts damit zu tun, ob irgendwelche Staatsoberhäupter eine Rechtsprechung einsetzen, die Homosexuelle, Bisexuelle und Transgender verfolgt. Sondern es ist die Entscheidung für den Islam. Das religiöse Empfinden eines einzelnen Muslims ist etwas anderes als die Rechtsprechung eines Landes.
Du findest also Homosexualität und der Islam gehen zusammen?
Das geht wunderbar zusammen. Der Islam an sich ist gar keine homophobe, sondern eine hoch humanistische Religion. Es sind Menschen, die die islamischen Inhalte missbrauchen, um ihre eigenen Ansichten zu vertreten.
Um für eine offenere Auslegung des Islams zu sorgen, hast du in Berlin den Verein Kalima gegründet. Was macht Kalima?
Kalima bekennt sich zur deutschen Grundordnung und unterstützt diskriminierte Personengruppen innerhalb der islamischen Community. Darunter sind natürlich LGBT-Leute, aber auch Frauen und religiöse Minderheiten. Wir wollen Koranunterricht anbieten. Es soll eine Einrichtung sein, in der gebetet und beraten wird. Ich werde dort auch als Seelsorger beraten.
Du arbeitest ja bereits als Seelsorger und berätst zum Beispiel schwule Muslime. Mit welchen Sorgen kommen sie zu dir?
Für viele ist ein Coming-Out gegenüber den Eltern unmöglich, weil die homophobe Grundstimmung sehr stark ist. Die Leute müssen oft damit rechnen, von der Familie verstoßen zu werden. Teilweise werden sie sogar bedroht, umgebracht zu werden. Ein Muslim, der in einem islamischen Land geboren ist, wächst damit auf, dass Homosexualität etwas Sündhaftes ist. Das ist ein innerer Konflikt. Das ist eine Problematik, die Leute, die aus anderen Ländern herkommen, mitbringen.
Was rätst du den Männern, die zu dir kommen?
Ich mache ihnen klar, dass sie weder alleine, noch sündhaft sind. Dazu steigen wir tief in den Koran ein. Das braucht natürlich seine Zeit. Man kann das nicht innerhalb von 45 Minuten einfach verändern. Das braucht dauerhafte Begleitung.
Was sagt der Koran eigentlich über Homosexualität?
Im Koran finden sich an zwei, drei Stellen Hinweise auf Homosexualität und Bisexualität. Der Koran verdammt Homosexualität aber nicht explizit. Über zwölf Jahrhunderte lang wurde Homosexualität im Islam nicht einmal kriminalisiert und verfolgt. Das kam erst mit der Kolonialisierung durch die Briten und Franzosen, weil da die homophobe Rechtsprechung übernommen werden musste. Davor hat die Sharia, das ist die Rechtslehre in der islamischen Welt, nur Analverkehr kriminalisiert.
Analverkehr gehört für einige schwule Männer aber vermutlich zu einer ausgelebten Sexualität dazu.
Natürlich wissen wir, dass es sehr viele schwule Männer gibt, die Analverkehr praktizieren. Relativ aktuelle Erhebung sagen aber auch, dass sehr viele schwule Männer in Deutschland Analverkehr gar nicht gut finden. Man könnte natürlich sagen: Analverkehr gehört zur Homosexualität dazu. Aber ich muss sagen, das ist eine sehr sexuelle Ansicht. So ist auch die aktuelle Ansicht im Islam. Man betrachtet Homosexualität nur als sexuelle Praktik, was es aber nicht ist. Es geht da erst einmal gar nicht um Sex, sondern darum, wer verliebt sich in wen.
Sex spielt bei der Liebe aber schon eine Rolle – egal ob anal oder nicht. Muss ein gläubiger Muslim auf Analverkehr verzichten?
Ich empfinde mich nicht in der Lage, Entscheidungen für andere Leute zu treffen. Aus meiner Sicht ist das Verbot von Analverkehr eine problematische Interpretation eines Verses. Wir müssen es schaffen, dass wir Verse unterschiedlich deuten können. Aktuell hängt die islamische Welt einer sehr konservativen, salafistischen Auslegung an. Und das müssen wir aufbrechen. Das ist auch der Grund, warum wir Kalima gegründet haben.
Schon lange gehst du offen mit deiner Sexualität um, du warst vor einigen Jahren sogar mal "German Mr. Leather". Hast du als Imam Anfeindung wegen deiner Sexualität erlebt?
Gerade in den sozialen Medien wird man gerne mal als Schwuchtel bezeichnet. Ab und zu bekomme ich auch Nachrichten von Leuten, die mich bekehren wollen. Ich solle doch bitte heiraten und Kinder bekommen, dann würde schon alles gut werden. Ich habe aber noch keine Gewalt erfahren, geschweige denn Todesdrohungen bekommen.
Was denkst du: Wie wird sich der Islam in Deutschland weiterentwickeln?
Der Islam in Deutschland hat noch eine Menge Potenzial. Er muss letztendlich von den deutschen Muslimen gestaltet werden, da sind wir am Anfang. Das liegt unter anderem daran, dass die verschiedenen muslimischen Gemeinden und die verschiedenen islamischen Strömungen in der Vergangenheit sehr stark aneinander vorbei gelebt haben. Momentan wächst die islamische Community aber ein ganzes Stück zusammen. Und da sehe ich auch eine Chance für Kalima.
Sendung: Filter vom 18.12.2018 – ab 15 Uhr