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Studie zur Studierfähigkeit "Jemanden mit einem IQ von 70 bekommt man nicht studierfähig."

Abi in der Tasche, aber trotzdem zu dumm für die Uni? Laut einer Studie von Prof. Gerhard Wolf gilt das für zwei Drittel aller Studienanfänger. Uns hat er erzählt, warum er so vielen Studierenden die "Studierfähigkeit" abspricht.

Von: Nina Lenz

Stand: 28.09.2016 | Archiv

Studium mit Behinderung | Bild: picture-alliance/dpa

Das Gefühl, dass der Kommilitone, der im Seminar neben einem sitzt, nicht die hellste Birne im Leuchter ist, hatten wohl die meisten Studenten schon mal. Aber muss das gleich heißen, dass derjenige nicht geeignet für ein Studium ist? Gerhard Wolf, Professor für Ältere Deutsche Philologie an der Uni Bayreuth, hat zum Thema "Studierfähigkeit" an einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung mitgewirkt. Das Ergebnis der Studie: Nur ein Drittel der Studienanfänger ist überhaupt für das Studium an einer Hochschule geeignet.

PULS: Herr Wolf, warum sind Ihrer Meinung nach 60 bis 70 Prozent der Studienanfänger nicht für ein Universitätsstudium geeignet?

Gerhard Wolf: Das hängt vor allem mit den Veränderungen zusammen, die das Schulsystem in den letzten 20 Jahren durchgemacht hat. Diese Veränderungen sind an sich nicht tragisch, sondern einfach der Lauf der Zeit. Aber dadurch entstehen auch Probleme, die sich vor allem an zwei essenziellen Fächern festmachen lassen: Deutsch und Mathematik. Wir als Lehrende stellen fest, dass die Sprach- und Ausdrucksfähigkeit sehr nachgelassen hat. Deswegen gibt es mittlerweile auch an fast allen deutschen Universitäten Schreibberatung oder ähnliche Angebote. In Mathematik waren Kenntnisse in Differenzial- und Integralrechnung für den Hochschulzugang Standard, heute müssen Kollegen in den Naturwissenschaften Kurse anbieten, um alle Studenten auf Abiturniveau zu bringen. Wie die Studenten dann überhaupt durchs Abitur gekommen sind, weiß ich nicht.

Kann man "Studierfähigkeit" erlernen?

Porträt von Professor Wolf | Bild: Sekretariat Prof. Wolf

Prof. Gerhard Wolf

Bis zu einem gewissen Grad ist das erlernbar, davon bin ich überzeugt. Immerhin haben sich die meisten Studenten über die Oberstufe, die eigentlich die relevanten Techniken vermittelt, für das Studium qualifiziert. Dort gibt es aber Nachholbedarf seitens der Schulen. Allerdings findet die Erlernbarkeit von Studierfähigkeit ihre Grenze an der Intelligenz. Ich formulier es jetzt mal etwas krass: Sie werden jemanden mit einem IQ von 70 nicht studierfähig bekommen.

Spielt auch die Eigenständigkeit der zukünftigen Studenten eine Rolle?

Ja, auf jeden Fall. Es ist leider so, dass an vielen Gymnasien die Lehrer mit der Einstellung unterrichten, die Schüler bei der Hand nehmen und durchs Abitur führen zu müssen. Viele Schüler denken dann, dass das an der Universität auch so ablaufen würde. Es ist aber nicht die Aufgabe von uns Hochschullehrern, dafür zu sorgen, dass jemand einen Universitätsabschluss erlangt – darum müssen sich die Studenten schon selbst kümmern.

Deckt sich das, was in der Studie gesagt wird, auch mit Ihren Erfahrungen als Professor an der Uni Bayreuth?

Ja, meine Erfahrungen in Bayreuth bestätigen die Ergebnisse der bundesweiten Studie. Wir haben in den Germanistik-Einführungsveranstaltungen Durchfallquoten von 70 bis 80 Prozent. Das ist an anderen Universitäten nicht viel anders. Meine Kollegen von anderen Unis berichten mir im mathematischen Bereich von Durchfallquoten von 90 Prozent.

Was wäre Ihr Lösungsvorschlag für das Problem?

Die Gesellschaft und in der Bildungspolitik müssen sich darüber klar werden, ob wirklich so hohe Abiturquoten gebraucht werden. Die Lehrer an den Schulen sehen ja, ob ein Schüler für eine Hochschule geeignet ist oder nicht. Es ist die Aufgabe der Lehrer, den betreffenden Schülern dann auch nahe zu legen, vielleicht doch den Weg einer dualen Ausbildung einzuschlagen, anstatt studieren zu gehen. Nur weil der OECD [Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung] diese "Kultur des Durchwinkens" von uns fordert, müssen wir dem noch lange nicht nachgeben. Darüber hinaus könnten die Hochschulen darüber nachdenken, wieder Zwischenprüfungen einzuführen. Diese könnten den Studierenden deutlich zu machen, ob sie für ein bestimmtes Fach geeignet sind oder nicht.


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