Kommentar zum dänischen Gemütlichkeitshype Hört auf, "hygge" so zu hypen!
Seit einiger Zeit taucht bei uns immer wieder das dänische Wort "hygge" auf. Der Begriff wird uns als Trend für eine neue Form der Gemütlichkeit verkauft. Unser Autor findet den Hype um Hygge aber verlogen.
Es ist einer der ersten klirrend kalten Wintermorgende, an denen man das Rad lieber angekettet lässt und auf die U-Bahn umsteigt. Dementsprechend viele zwängen sich um 8:30 Uhr mit mir in den Waggon und hoffen darauf, möglichst schnell wieder rauszukommen. Was an diesem Morgen auch mitfährt: ein flauschig-graues Sofa mit drei großen Sitzpolstern - auf einem Plakat mit der Aufschrift "mach’s dir hygge!". Da ist es wieder! Kaum wird es draußen ungemütlich taucht das Wort "hygge" auf: auf Instagram als einer von knapp vier Millionen Einträgen unter #hygge, in Stories von Freunden oder eben als Sofawerbung in der U-Bahn. Wieso zur Hölle muss ich es mir jetzt hyggelig machen? Warum reicht gemütlich nicht mehr?
Im Herbst startet der Hygge-Wahn
Hygge, das bedeutet überspitzt, sich zu Hause einzumummeln, heimelige Abende mit Freunden bei flackernden Kerzen, gutem Essen, selbst gemachten Marmeladen und Rotwein zu verbringen. Seit rund zwei Jahren startet in Deutschland pünktlich zur dunkeln Jahreszeit der Hygge-Hype. Ein Auslöser dafür sind zwei Bücher über das Lebensgefühl, die 2016 erschienen sind. Darin beschreiben die Autoren, wie glücklich dieses Lebensgefühl die Dänen macht. Wie viel glücklicher im Vergleich zu uns Deutschen. Was – andere sind glücklicher als wir? Also springen wir blind auf den Hygge-Zug auf und fahren mit. Wie dämlich.
Hygge ist nur Verkaufsmasche
Denn wer es sich hyggelig machen will, der muss vor allem erst einmal seine Bude danach einrichten. Am besten massenweise Kerzen kaufen, einmal alles in Pastellfarben streichen und dann das Sofa mit Decken und Kissen fluten. Wer es ernst meint, der darf sich nur die richtigen Produkte kaufen. Das will uns auch die Sofawerbung aus der U-Bahn klar machen. Das perfide: Hygge ist vor allem mit ganz vielen Designerprodukten verknüpft. Im Wikipedia-Eintrag zu einem der Hygge-Bücher ist beispielsweise das Bild einer dänischen Designer-Leuchte eingebunden, die angeblich perfekt ein hyggeliges Gefühl beschreibt. Kostenpunkt dafür: rund 650 Euro. Die dänische Gemütlichkeit wird so schnell zur Abgrenzung: Die einen können sich das Glück leisten, die anderen nicht. Denn wahre Hygge-Jünger, das wollen uns Blogs und Einrichtungsseiten klar machen, der muss ordentlich Kohle für das Glücksgefühl ausgeben.
Alles nichts Neues
Was mich aber noch viel mehr ärgert, dass uns Hygge als Trend verkauft wird. Als wüssten wir erst seit kurzem, wie man es sich wirklich kuschelig zu Hause macht. Von wegen! Wir machen es uns schon immer "hygge" im Herbst. Wenn Oma uns früher eine Tasse heiße Schokolade gemacht und eine Decke gebracht hat, dann war das nichts anderes. Sie hat es nur weniger hip genannt. Omi fand es einfach gemütlich mit uns. Ihr war auch egal, ob ihre Sitzecke durchgestylt genug für Instagram war. Denn spätestens auf der Plattform wird der entspannte Lifestyle zum knallharten Contest. Hygge sorgt dafür, dass selbst unsere Rückzugsorte und Entspannungsoasen optimiert und vorzeigbar gemacht werden müssen.
Entspannter Lifestlye wird knallharter Contest auf Insta
Kritiker würden mir jetzt sagen: Hygge lässt sich aber nicht nur mit "Gemütlichkeit" übersetzen oder mit Inneneinrichtung gleichsetzen. Hinter der Idee steckt in Wirklichkeit viel mehr - und sie greift in ganz andere Lebensbereiche ein. Politische Gespräche sind zum Beispiel unhyggelig. Keine aufreibenden Diskussionen und keine kontroversen Themen sollen die heimelige Stimmung zerstören, der Rückzug ins Private wird gefordert. Das kommt mir schwer bekannt vor: im 19. Jahrhundert lief es im Biedermeier schon einmal so ähnlich ab. Das eigene Heim und Glück im Mittelpunkt. So trendy ist Hygge also.
Inhaltsleerer Konsumtrend
Auch wenn es das Wort inzwischen sogar in den Duden geschafft hat, bin ich mir nicht sicher, ob dieses Marketing-Lebensgefühl uns wirklich glücklicher macht oder nur etwas vorgaukeln will. Ich glaube nicht, dass ein paar Designprodukte und oberflächliche Gespräche wirklich für Ausgeglichenheit sorgen. Ich halte Hygge, so wie es in Deutschland meistens praktiziert wird, für einen inhaltsleeren Konsumtrend.
Ein echtes Sofa in der U-Bahn fände ich seit der Werbeanzeige trotzdem eine gute Idee. Es würde die Fahrt jeden Morgen für mich und die anderen müden Gesichter gemütlicher machen - nicht "hygge".
Sendung: Filter, 06.12.2018 - ab 15 Uhr