Logopädin für Transpersonen "Die Stimme ist super wichtig für die eigene Identität"
Tiefe Stimme ist gleich männlich, hohe Stimme ist gleich weiblich? Das stimmt nicht immer: Juliana Franke ist Transfrau und musste die passende Stimme erst finden. Als Logopädin hilft sie heute anderen Transpersonen dabei.
Mann oder Frau, jung oder alt, oberbayerischer Dialekt oder Fränkisch – die Stimme verrät mehr über eine Person, als man auf den ersten Blick meint. Was aber, wenn man sein Geschlecht ändert und aus der ursprünglich tiefen Männerstimme eine tendenziell eher höhere Frauenstimme werden soll? Dann kommt Juliana Franke ins Spiel. Sie hat mit 24 selbst eine Transition von Mann zu Frau vollzogen und dabei auch eine neue Stimme angenommen. Heute ist sie Stimmtrainerin und Logopädin für transidente Menschen, therapiert vor allem Transfrauen und prägt damit die neue Identität ihrer Patient*innen. Wir haben mit Juliana über ihre Arbeit gesprochen.
PULS: Warum ist die Stimme so wichtig für unsere Identität?
Juliana Franke: Die Stimme, speziell bezogen auf das Geschlecht, hat einen großen Einfluss darauf, wie man von anderen wahrgenommen und eingeordnet wird. Denn jeder hat unterbewusst ja eine Vorstellung davon, wie eine Männerstimme und wie eine Frauenstimme klingt. Deswegen ist das ein super wichtiger Bestandteil für die eigene Identität.
Was macht die Stimme gerade bei Transpersonen mit dem eigenen Körpergefühl?
Das Körpergefühl kommt durch das Zusammenspiel aus Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung zustande. Es geht dabei um innere Sicherheit, ausgelöst durch Feedback von außen. An der Stimme kann man sich als Transperson sehr stören. Es kann psychisch sehr belastend sein, wenn man eine Diskrepanz zwischen sich selbst und der Stimme verspürt.
Bei Transmännern ist häufig eine Stimmtherapie gar nicht nötig. Wenn diese Testosteron nehmen, können sie noch in einen Stimmbruch kommen, weil der Kehlkopf noch wachsen kann. Davon hängt die Höhe der Stimme in erster Linie ab. Bei einer Transfrau, deren Körper weiblich aussieht und die Stimme sich aber männlich anhört, führt das zu Irritation in sich selbst, weil man sich nicht mit der Stimme identifiziert, die man hat und das selbst nicht wirklich ändern kann. Und natürlich kommen auch Reaktionen von außen: Wenn da eine weibliche Person kommt, die sich männlich anhört, tun sich direkt Fragen in den Köpfen der anwesenden Leute auf. Da kann man in dieser Gesellschaft auch mit Anfeindungen rechnen. Das erzeugt dann viel Leid.
Wie hat sich dein Körpergefühl durch deine "neue Stimme" verändert?
Das klingt so, als wäre ich an einem Morgen plötzlich mit einer anderen Stimme aufgewacht. So ist das nicht. Man kommt über eine ganz lange Zeit in diese Stimme rein, bis die natürlich wird. Ich kann von mir sagen, dass ich seit ungefähr einem Jahr mit einer Stimme spreche, mit der ich mich wohlfühle. Vorher waren noch Unsicherheiten da. Es ist super, wenn die Stimme übereinstimmt mit der Person, die du bist. Was für die meisten Leute, die nicht trans* sind, selbstverständlich ist. In der Stimme steckt ja ganz viel Persönlichkeit, ob ich eher monoton spreche oder viele Betonungen drin habe. Das ist super wichtig, um als souverän oder freundlich wahrgenommen zu werden, dass ich mich ausdrücken kann wie ich will und selbst damit identifizieren kann.
Kannst du dich noch an deine "alte Stimme" erinnern?
Ich konnte mich ab dem Zeitpunkt nicht mehr erinnern, ab dem sich meine neue Sprechweise automatisiert hat. Etwa ein halbes Jahr nach Beginn der Hormontherapie für meine Transition, das war mit 24. Stell dir mal vor, du müsstest dich daran erinnern wie deine Stimme mit 14 geklungen hat. Kannst du das irgendwie abrufen? Ich glaube nicht. So genau speichert man seinen eigenen Klang nicht ab.
Wie hilfst du Menschen dabei, zu ihrer neuen, eigenen Stimme zu finden?
Das erste, was ich meistens mache, ist ganz sanft zu summen. Mit aufeinandergelegten Lippen, als würde man so verträumt vor sich her summen. Dadurch verändert sich die Tonlage in der Regel schon, man wird automatisch etwas höher. Über diesen Klang kann ich andere Töne anhängen und anfangen, Wörter zu sprechen, erstmal monoton und dann mit Betonungen. Ganz ohne den Druck: Du musst jetzt hoch klingen. Das überrascht viele positiv am Anfang.
Du rätst du von einer "Do it yourself"-Veränderung der Stimme im Schnelldurchlauf ab. Was kann da schieflaufen?
Auf keinen Fall sollte man versuchen so aggressiv schnell in die Höhe zu gehen. Ich habe eine Patientin, die das lange gemacht hat. Ihre Stimme ist jetzt zu hoch, um noch richtig zu funktionieren. Die Stimme bricht oft komplett weg. Viele Leute haben ja keine wirkliche Vorstellung davon, wie sie überhaupt sprechen – ganz abgesehen von diesen Kriterien weiblich oder männlich. Es gibt Leute, die sprechen mehr in der Kehle, dann muss man den Klang erstmal wieder durch Lippenbewegungen nach vorne holen. Sowas wird nicht richtig bedacht, wenn man das selber trainiert. Anstatt "Ich will von der männlichen zur weiblichen Stimme" sollte man denken: "Ich will von meiner jetzigen Stimme, mit der ich mich leider nicht identifizieren kann, zu meiner Stimme, mit der ich mich identifizieren kann". In der Transition läuft vieles nach dem "fake it, till you make it"-Prinzip: Du musst eine gewisse Zeit lang bewusst schauspielern, bevor sich das eingespielt hat. Also in einer Weise handeln und sprechen, in der du noch nicht richtig sicher bist. Es kann natürlich sein, dass du Sachen ausprobierst, die du dann später wieder ablegst.
Welchen Umgang wünschen sich Menschen, die sich in der Transition befinden und vielleicht noch nicht die passende Stimme gefunden haben?
Wenn wir von einer Person ausgehen, die von der Identität her weiblich ist, dann will die selbstverständlich als Frau wahrgenommen werden. Das soll nicht hinterfragt werden, nur weil die Stimme vielleicht nicht der weiblichen Norm entspricht.
PULS am 26.11.2019 – ab 15 Uhr.