Narzisstische Gewalt in Beziehungen "Ich habe mich emotional vergewaltigt gefühlt“

Es beginnt mit viel Endorphin und endet mit emotionalen Missbrauch: Beziehungen zu Narzissten, Menschen, die um jeden Preis Anerkennung wollen. Juliane ist aus einer solchen Beziehung geflohen. Sie leidet noch heute darunter.

Von: Leonie Thim

Stand: 13.04.2018 | Archiv

Narzissmus in der Beziehung  | Bild: BR

Juliane* ist Mitte 30 und lebt in München. Holger lernt sie 2014 im Urlaub auf Mallorca kennen. "Er ist groß, blond, hat tolle blaue Augen, ein total schönes Lächeln, riecht verdammt gut, also für meine Nase. Ja, dann haben wir getanzt und auf einmal haben wir uns geküsst. Und das war der absolute Wahnsinn. Es war der schönste Kuss, den ich bis dato hatte."

Er haut sie so sehr um, dass sie sich von ihrem Freund trennt, auszieht und sich auf eine neue Beziehung mit Holger einlässt. Eine Fernbeziehung zwischen Duisburg und München, die wie ein Märchen angefangen hat.

"Er hat mich auf eine Art und Weise angefasst oder geküsst, die so eine Sehnsucht in mir befriedigt hat. Und dann kam eben diese Kehrtwende, wo er dann ein Gesicht von sich gezeigt hat, womit ich überhaupt nicht klar kam."

Juliane

Für Juliane war Holger ein Mann, der anpackt. Er hat sie nach Hause gebracht, auf sie aufgepasst, war höflich und zuvorkommend. Doch das änderte sich schnell. Holger veränderte sich, wurde abweisend, beleidigend. Juliane wusste nicht mehr, was sie tun sollte. Ununterbrochen hat sie versucht, das widersprüchliche Verhalten von Holger zu verstehen, ihre eigene Wahrnehmung hinterfragt und oft daran gezweifelt. "Dieser Mann konnte mich an Punkten treffen, sowohl positiv als auch negativ, die niemand anders vorher getroffen hat. Der hat mich genau an den richtigen Stellen gepiekst."

Die Macht der Manipulation

Narzissten sind einfühlsame Verführer, erklärt  Dr. Bärbel Wardetzki, Psychotherapeutin und Narzissmus-Expertin. Will ein Narzisst jemanden für sich gewinnen, "spürt er haargenau, was das Gegenüber braucht", sagt sie. Er gibt alles: Aufmerksamkeit, Charme, Komplimente, denkt sich spannende neue Aktivitäten aus. Das Zusammensein wird zur Glücksdroge - kippt aber ins Gegenteil. Denn sobald ein Narzisst jemanden emotional an sich gebunden hat, "spürt er auch haargenau, wo die verletzenden Punkte des anderen sind", erklärt Wardetzki.

Laut der Zeitschrift "Report Psychologie" fehlt es Narzissten an Einfühlungsvermögen. Sie sehen zwar, was andere fühlen und denken, sind aber nicht bereit, diese Bedürfnisse anzuerkennen - oder sie können es schlichtweg nicht. Stattdessen reden sie ihrem Gegenüber ein, dass es spinnt. Dass ein Streit gar nicht so schlimm war, wie der Partner oder die Partnerin ihn beschreibt.

Über psychische Gewalt in Beziehungen spricht niemand

Gewalt in Beziehungen ist immer noch ein Tabuthema. Wenn sie dann noch seelisch und nicht körperlich ist, ist sie für Außenstehende schwer nachvollziehbar. Bei Juliane sieht man keine blauen Flecken, keine Pflaster, der Körper scheint intakt - trotzdem erzählt sie von schweren Verletzungen.

"Es ging in Wellen. Ich hatte die schönste Verliebtheits-Phase und dann hab ich so gelitten, wie noch nie in meinem Leben. Also, ich hab mich so ausgelaugt und eigentlich schon, ja, emotional vergewaltigt gefühlt."

Juliane

In ihrer Beziehung zu Holger drehte sich alles nur um ihn. Ein "Wir" gab es nicht. Hat sie nicht so funktioniert, wie er wollte, hat Holger sein Repertoire an emotionalen Waffen ausgepackt: Manipulation und Lügen, Liebesentzug und Beleidigungen. "Im Prinzip war alles, was mein Leben ausgemacht hat, schlecht oder sagen wir mal weniger Wert, als sein Leben. Mein Job ist irgendwie scheiße, was mach ich da eigentlich? Meine Wohnung ist zu klein. Ich wohn' in München, das ist eine snobby Stadt, da kriegt man keinen Fuß auf den Boden."

Es kommt zu einer Abhängigkeit

Partner narzisstischer Menschen verlieren mit der Zeit ihr Selbstwertgefühl, weiß Dr. Wardetzki.

"Durch diese ganzen Entwertungen und Vorwürfe bleibt überhaupt gar kein Gefühl mehr, für sich selber ein Recht zu haben, gut behandelt zu werden."

Bärbel Wardetzki, Psychotherapeutin

Warum viele trotzdem bleiben, liegt oft an der eigenen Vergangenheit. Viele haben vorher schon Liebesbeziehungen geführt, die nicht unbedingt harmonisch, gut und unterstützend waren. Sie sind es gewohnt, dass man um Liebe kämpfen oder man auch mal etwas einstecken muss, erklärt die Psychotherapeutin.

Laut Report Psychologie haben in der Regel beide Partner einen narzisstischen Anteil. Oft finden sich zwei psychologische Gegensätze: die hilflose Frau, deren selbstbewusster Partner alles für sie regelt. Es kommt zu einer Abhängigkeit, aus der sich auch Juliane nur schwer lösen konnte. "Das ist wie ein Süchtiger, der auf einmal von heute auf morgen auf Zigaretten verzichten muss. So hab ich mich gefühlt.", sagt sie heute.

Gewalt hat in Beziehungen nichts zu suchen

Das Wichtigste ist, sich klar zu machen, dass emotionaler Missbrauch nicht normal ist und in einer Beziehung nichts zu suchen hat. Danach geht es darum, sein eigenes Selbstwertgefühl wieder aufzubauen. Einen gesunden Egoismus zu entwickeln, erklärt Wardetzki. "Und sich dann jemanden zu suchen, der einem hilft auf dem Weg der Ablösung. Denn das ist wirklich mitunter sehr, sehr schwierig seine eigenen Kräfte wieder zu mobilisieren."

Juliane hat genau das getan, sie hat sich Verbündete gesucht, die ihr geholfen haben. Sie wollte sich nicht mehr so behandeln lassen. Auch wenn Juliane den Absprung geschafft und Holger verlassen hat - der emotionale Missbrauch wiegt immer noch schwer. Ihr geht es nicht darum, ein Ranking der Gewalt zu schaffen. Was ist schlimmer? Körperliche oder seelische Gewalt? Emotionale Misshandlungen überhaupt als Gewalt anzuerkennen, den Opfern zuzuhören, sie ernst zu nehmen und ihnen zu helfen, das ist Juliane wichtig.

Wie komme ich da raus?

  • Sich eingestehen, dass man leidet und dass es diese wunderschöne Beziehung, die man sich erträumt, nicht gibt.
  • Das heißt: Realistisch sein, auch wenn es schmerzhaft ist
  • Rat einholen: bei Freunden, in Selbsthilfegruppen oder in einer Therapie. Hier erlebt man, dass man nicht verrückt, sondern die Gewalt in der Beziehung real ist.
  • Hilfe suchen: Bittet Eure Freunde um Hilfe. Denn die eigenen Kräfte wieder zu mobilisieren, wenn man lange runter gemacht wurde, ist schwierig.
  • Das eigene Selbstwertgefühl wieder aufpäppeln.

*Name von der Redaktion geändert

Sendung: Donnerstag, 12.04.2018 - ab 15.00 Uhr