Generationenstudie Sind wir alle Spießer?
Was für eine Generation sind wir eigentlich? Was ist uns wichtig? Karriere, Liebe, Freizeit? Eine Studie der Zeitschrift Neon hat versucht, all das herauszufinden. Und siehe da: Wir sind ganz schön konservativ.
"Die Stimmen einer Generation" - das ist der Titel einer groß angelegten Studie, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag des Magazins Neon unter 18- bis 35-jährigen Deutschen durchgeführt hat. Die wichtigste Erkenntnis: Die berühmte "Generation Y" sehnt sich nach geordneten Verhältnissen und hat sich weitgehend von Ausbruchsphantasien verabschiedet. Wir haben Sascha Chaimowicz, den 29 Jahre alten stellvertretenden Neon-Chefredakteur, zu den Ergebnissen der Studie befragt.
Ihr habt die Studie "Die Stimmen einer Generation" selbst konzipiert - was wolltet ihr überhaupt herausfinden?
Wir wollten wissen, wie die Generation heute eigentlich tickt. Wir haben die letzte große Umfrage dieser Art 2005 gemacht und wollten wissen, was sich seitdem getan hat. Wie blickt die Generation auf Karriere, Liebe, Freizeit und Politik? Wofür geben junge Menschen heute ihr Geld aus? Waren sie schon mal in Therapie? Das waren die Dinge, die wir wissen wollten.
Als wir die Ergebnisse gesehen haben, waren wir etwas überrascht: Sind wir jetzt etwa die Generation Spießer?
Ich glaube nicht, dass man von spießig sprechen kann. Ich glaube eher, dass wir heutzutage realistischer auf die Welt blicken. Aber klar: Man kann einen Trend zu geordneten Verhältnissen, zum Beispiel im Privatleben, beobachten. Die Zahlen sind schon relativ frappierend: 93 Prozent finden Treue sehr wichtig, 78 Prozent glauben an die große Liebe, und Single zu sein ist heutzutage nicht mehr wirklich interessant, 81 Prozent sind unfreiwillig alleine und wünschen sich einen Partner. Es gibt schon ein Streben nach geordneten Verhältnissen.
Bei der "Generation Y" war oft die Rede von offenen Beziehungen, von Selbstverwirklichung und von der Scheu, sich festzulegen - das findet sich in euren Ergebnissen nicht mehr.
Es ist schon so, dass die Menschen gerne Ordnung hätten in ihrem Privatleben. Zum Beispiel wünschen sich viel mehr Leute als vor zehn Jahren Kinder: 88 Prozent sind das heute, 2005 waren es nur 70 Prozent. Interessant ist auch, wie man sich das Leben mit 40 Jahren vorstellt: Fast die Hälfte der Menschen sagt, sie wünschen sich ein Häuschen mit Garten. 2005 wollten 20 Prozent noch in diesem Alter als Globetrotter am Strand leben und 19 Prozent als Single in der Großstadt. Das muss man nicht unbedingt spießig finden, vielleicht kann man daran eher ablesen, dass die Leute momentan ganz glücklich sind.
Warum gibt es so einen großen Unterschied bei der Frage: Wo siehst du dich mit 40 Jahren?
Es haben sich auf jeden Fall die Wünsche verschoben, was die Zukunft angeht. Es ist offenbar nicht mehr so, dass man unbedingt aus dem System ausbrechen und am Strand leben will. Die Wünsche, die wir haben, werden alle innerhalb des Systems gedacht. Es gibt keine großen Ausbruchsphantasien mehr, sondern eher ein "Mit dem System gehen" und sich dort Freiheiten suchen.
Was ist mit dem Vorurteil "Generation Porno" - lässt sich das bestätigen, oder sind wir auch da zahmer als gedacht?
Die Leute schauen schon tatsächlich Pornos - 76 Prozent regelmäßig. Sie fühlen sich von Pornos nicht abgestoßen. Die Leute haben eher das Gefühl, von Pornos zu lernen. Sehr, sehr viele Frauen schauen Pornos und haben das Gefühl, davon für ihr Privatleben zu lernen. Dass Pornos kritisch betrachtet werden, ist eher selten.
Wie sieht es mit der "Generation Komasaufen" aus?
Eine "Generation Komasaufen" gibt es auf jeden Fall nicht. 69 Prozent der Befragten haben noch nie Drogen konsumiert und fast die Hälfte trinkt selten und wenn, dann nur sehr wenig Alkohol. 67 Prozent lehnen Zigaretten ab. Das ist eine relativ klare Aussage: Wir sind, zumindest was Drogen und Alkohol betrifft, eher harmlos.
Feste Beziehung, solide Zukunftsträume, Systemkonformität - spiegelt sich das auch in der politischen Einstellung wider?
Interessant ist, was die Leute als wichtigstes politisches Ziel ansehen. 2005 haben noch 45 Prozent der Befragten die Schaffung von Arbeitsplätzen als das wichtigste politische Ziel gesehen - heute finden das nur noch 10 Prozent wichtig. Die politischen Ziele haben sich also verändert. Fast die Hälfte der Befragten verlangt heute von der Politik die Herstellung einer sozialen Gerechtigkeit. Der Reichtum soll fair verteilt werden. Das ist ein ganz gravierender Unterschied zu damals. 24 Prozent finden heute auch, dass Friedenssicherung Priorität in der Politik haben sollte. Das war 2005 auch noch ganz anders, da war Friedenssicherung nur für jeden zehnten wichtig. Da spiegelt sich der Wandel der Welt wider: Die Finanzkrise, die dazu geführt hat, dass die Leute mehr über soziale Gerechtigkeit nachdenken beispielsweise. Themen wie Arbeitsplatzsicherung spielen heute nicht mehr so eine große Rolle, weil die Menschen, was den Arbeitsmarkt angeht, selbstbewusst in die Zukunft blicken.
Warum glaubst du sind wir so konservativ geworden?
Ich glaube gar nicht, dass die ganze Generation konservativ geworden ist, sondern dass sie sehr realistisch auf die Tatsachen blickt. Man muss bedenken, dass ein ziemlich verrücktes, oft brutales, chaotisches Jahrzehnt hinter uns liegt, in dem die Welt ziemlich aus den Fugen geraten ist, und jetzt herrscht ein Bestreben nach Frieden und geordneten Verhältnissen, sowohl im Privatleben als auch in der Politik.
Eure Ergebnisse sind insgesamt ziemlich heterogen - gibt es so etwas wie die vielbeschworene "Generation Y" überhaupt?
Es gibt nicht die eine Generation "Deutschland 2014", zumindest nicht in dem Sinne, dass alle 18- bis 35-Jährigen das gleiche denken und wollen und fühlen. Aber es gibt schon Themen, Ereignisse und Ziele, die uns alle bewegen. Und was die "Generation Y" angeht: Man kann schon sagen, dass die Generation selbstbewusster geworden ist als vor zehn Jahren. Zum Beispiel wie die Generation auf den Arbeitsmarkt blickt: Man möchte sowohl Karriere machen als auch Spaß im Berufsleben haben, und nur die wenigsten sagen, dass man für die Karriere auf Freizeit verzichten möchte - ein selbstbewusstes Sowohl-als-auch. Eigentlich ein ganz schönes Ziel: Ich möchte Spaß haben und Karriere machen gleichzeitig.
Haben dich die Ergebnisse der Studie überrascht oder hast du dich darin auch wiedererkannt?
Einzelne Ergebnisse haben mich überrascht. Zum Beispiel wäre fast die Hälfte der Leute eher bereit zu schlachten als auf Fleisch zu verzichten. Ich selbst bin 29, und habe mich in vielen Teilen der Umfrage ein bisschen ertappt gefühlt, gerade in Bezug aufs Arbeitsleben, die Glückssuche im Job - dass Karriere nicht bedeutet, dass man einfach nur ein möglichst gutes Gehalt bekommen will. Insgesamt finde ich mich in dieser Studie ganz gut wieder.