Das Phänomen Öko-Shaming Öko bis einer weint
Wer nachhaltig lebt, hört oft gefährliches Halbwissen und krude Glaubensgrundsätze: Kuhmilch vs. Hafermilch. Glasflasche vs. Tetrapack. Doch in Öko-Fragen immer alles richtig machen, geht gar nicht. Die Folge: Öko-Shaming.
Letztens auf einer WG-Party: Drei Freunde unterhalten sich darüber, wer denn nun die beste Lösung für das Thema "Milch" hat, Sojamilch aus der Tüte, Bio-Milch aus der Glasflasche oder doch die Hafermilch wegen der Klimabilanz? Weil die richtige Antwort nicht auf der Hand liegt und sich das keiner eingestehen will, wird drauf los geshamt. Resultat: Gespräch vorbei, Partystimmung im Keller, alle fühlen sich mies - muss das sein?! Woher kommt dieses Phänomen: das Öko-Shaming?
"Es geht darum, besser sein zu müssen als der andere. Dabei geht es aber eigentlich um eigene Probleme, die ich habe. Ich kann nicht gelassen sagen: 'Es ist ein schwieriges Thema derzeit und ich versuche dem gerecht zu werden', sondern man hat bei so komplexen Themen immer Angst, nicht gut genug zu sein."
- Erika Güroff, Diplom-Psychologin, Verhaltenstherapeutin, Dozentin bei der Arbeitsgemeinschaft für Verhaltensmodifikation
Ratlosigkeit + Perfektionismus = schlechte Laune
Zur eigenen Ratlosigkeit kommt beim Öko-Shaming noch eine Portion Perfektionismus hinzu, also der Anspruch an sich selbst möglichst 100 Prozent ökologisch zu sein: Bei der Ernährung, beim Klamottenkauf und auch beim Reisen. Weil das viel Selbstdisziplin verlangt und oft nicht klappt, wächst die innere Unzufriedenheit. Das kriegt dann auch der Freundeskreis zu spüren. Denn wenn man zu streng zu sich selbst ist, giftet man andere leichter an, als wenn man zu sich steht, erklärt Erika Güroff.
Bio kaufen aus schlechtem Gewissen
Über die Motivation zum ethischen Konsum gibt es einige wissenschaftliche Studien, zum Beispiel von den britischen Soziologen Matthew Adams und Jayne Raisborough. Sie haben herausgefunden, dass gerade Leute aus der Mittelschicht bewusst konsumieren wollen und deswegen Bio- und FairTrade-Produkten kaufen. Es geht also darum, moralische Verantwortung durch gezielte Marktentscheidungen zu übernehmen. Gründe dafür sind zum einen der Wunsch nach mehr sozialer Gerechtigkeit und danach, die Umwelt zu erhalten. Was den nachhaltigen Konsum aber in erster Linie motiviert, so die Studie, ist das eigene schlechte Gewissen, auf der Gewinnerseite der Globalisierung zu stehen. Aus dieser Spirale des schlechten Gewissens wieder raus zukommen ist schwierig.
"Es rettet uns immer wieder, wenn wir uns überlegen: Was kann ich wirklich tun? Und sich klar zu machen, ich darf genießen, dass es mir gut geht."
- Erika Güroff, Diplom-Psychologin, Verhaltenstherapeutin, Dozentin bei der AVM
Es macht auf jeden Fall Sinn, bewusst einzukaufen und zu konsumieren. Sich gegenseitig zu shamen, weil es mit der Nachhaltigkeit nicht immer klappt, ist dagegen totaler Schmarrn. Lieber zusammen nach machbaren Lösungen suchen, vielleicht ja auf der nächsten Party.
Sendung: PULS am 20.5.2019 - ab 15 Uhr