Fünf Jahre nach der Rana Plaza Katastrophe Gebäude stabil, Arbeitsbedingungen katastrophal
2013 starben Tausende, als eine Textilfabrik in Bangladesch einstürzte. Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen wurden laut. Heute sind die Gebäude sicherer, der Alltag der Arbeiterinnen ist aber immer noch katastrophal.
Am 24. April 2013 stürzt in Bangladesh die achtstöckige Textilfabrik Rana Plaza ein. Rund 1.100 Menschen sterben in den Trümmern und Flammen. Es ist nicht der erste Arbeitsunfall in Bangladesch. Aber der verheerendste.
Die Katastrophe vor fünf Jahren schlug auch den Menschen in Europa aufs Gewissen. Ein Shirt für 15 Euro made in Bangladesh - müssen den eigentlichen Preis die Menschen in den Fabriken bezahlen? Mit ihrem Leben? Das darf nicht sein! Laut waren die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen, das Drama Rana Plaza stand sinnbildlich für Ausbeutung und die Geiseln unseres Massenkonsums.
Gisela Burckhardt kämpft bei der Kampagne "Initiative für Saubere Kleidung" für die Arbeiterinnen in Bangladesch. Dafür reist sie öfter nach Bangladesch. Im Interview erzählt sie, wo es bereits Fortschritte gibt - aber auch von nach wie vor katastrophalen Arbeitsbedingungen.
PULS: Vor fünf Jahren passierte diese Katastrophe mit über 1.000 Toten. Die Empörung war riesig: Da muss sich was ändern, hieß es, vor allem an den Bedingungen vor Ort. Was hat sich denn jetzt verändert?
Gisela Burckhardt: Diese Empörung hat glücklicherweise dazu geführt, dass es jetzt ein Gebäude- und Brandschutzabkommen in Bangladesch gibt – den sogenannten ACCORD. Rund 220 vor allem europäische Unternehmen waren dazu bereit, den ACCORD zu unterschreiben, der mit Gewerkschaften in Bangladesch und internationalen Organisationen ausgehandelt worden ist. Und dadurch hat sich die Gebäudesicherheit bei den Zulieferfirmen – das sind rund 1.600 Fabriken in Bangladesch – verbessert. Es gibt jetzt bessern Brandschutz, die Elektrik ist sicher geworden, genauso wie die Statik.
Wie genau wird dieses Abkommen den kontrolliert?
Man hat dort erfolgreich ein Management mit über 100 Ingenieuren vor Ort in Bangladesch aufgebaut. Zunächst wurden die Fabriken durchgecheckt, es wurde ermittelt, wo es Verbesserungsbedarf gibt. Und nun wird immer wieder sehr genau geprüft, was umgesetzt, was verbessert wurde – und wo noch verbessert werden muss. Interessant ist, dass diese Kontrollen sehr transparent funktionieren. Jeder kann im Internet nachschauen, wie es um die Sicherheit in einer beliebigen Fabrik in Bangladesch steht.
Der ACCORD läuft im Mai 2018 allerdings aus. Inzwischen gibt es ein Nachfolgeabkommen, einen sogenannten Transition ACCORD, der bis 2021 laufen soll. Den haben aber nicht alle der ursprünglichen 220 Unternehmen unterschrieben, sondern bis jetzt nur 145.
Und was spräche dagegen, diesen Transition ACCORD zu unterschreiben?
Ganz einfach: Damit sind Kosten verbunden. Ein Unternehmen, das unterschreibt, muss dazu beitragen, dass die notwendigen Strukturen auch finanziert werden können. Und davon sind viele nicht so begeistert. Man muss aber auch sagen: Die 145 Unternehmen, die jetzt schon unterschrieben haben, das sind die Big Player, die rund 80 Prozent der Fabriken vor Ort abdecken. Auch wenn dann noch 20 Prozent fehlen – der ACCORD wird weitergehen.
Jetzt haben wir viel über Gebäudesicherheit und Brandschutz gesprochen. Aber wie sieht es denn mit den rechtlichen Bedingungen für die Arbeiterinnen aus?
Das ist ein sehr großes Problem. Der ACCORD bezieht sich ausschließlich auf die Gebäudesicherheit. Die generellen Arbeitsbedingungen haben sich aber überhaupt nicht verbessert, eher im Gegenteil. Der Mindestlohn ist zum Beispiel seit fünf Jahren nicht erhöht worden. Das ist ein Skandal, denn in Bangladesh kann man mit dem aktuellen Mindestlohn von 52 Euro im Monat nicht leben. Die Arbeiterinnen müssen also Kredite aufnehmen und geraten in eine gefährliche Schuldenspirale. Eigentlich müsste alle zwei Jahre neu verhandelt werden, dazu ist die Regierung in Bangladesch aber nicht bereit.
Können sich die Arbeiterinnen gegen die schlechten Bedingungen wehren?
Nach der Katastrophe Rana Plaza ging es bergauf, da haben sich Beschäftigte organisiert. Inzwischen sehen wir einen richtigen Rückschritt: Es gibt massive Repression gegen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, viele werden sogar geschlagen. Es ist schlichtweg gefährlich, sich in Bangladesch zu organisieren. Gerade in letzter Zeit haben wir wieder von Festnahmen gehört. Vor allem die Situation der Näherinnen ist schlimm, weil die Frauendiskriminierung in Bangladesch sehr ausgeprägt ist. Sie werden von den männlichen Vorarbeitern oft als minderwertig betrachtet, sie werden - auch sexuell - belästigt, schikaniert oder an den Haaren gezogen.
Außerdem gibt es noch immer keine Arbeitsunfallversicherung. Damals nach dem Rana Plaza Unglück hat es über zwei Jahre gedauert, bis wir die 30 Millionen Dollar zusammen hatten, mit denen die Hinterbliebenen und Verletzten entschädigt wurden. Das müsste eigentlich auf festen Beinen stehen. Aber die Betreiber der Textilfirmen wehren sich dagegen, weil sie Angst haben, dass ihre Ware dadurch teurer wird und große Unternehmen in andere Länder abwandern.
Wenn wir das jetzt mal alles betrachten - Repression, Gewalt, Schikane, schlechte Bezahlung, fehlende Arbeitsversicherung - können wir dann noch mit reinem Gewissen einen Pulli kaufen, auf dem "Made in Bangladesh" steht?
Ich würde auf keinen Fall sagen, dass man aus Bangladesch gar keine Kleidung mehr kaufen kann. Es gibt auch dort Fabriken, die sich bemühen und Verantwortung zeigen. Nirgendwo sind die Arbeitsbedingungen ideal, aber es gibt doch deutliche Unterschiede zwischen den Fabriken. Und wenn man etwas neues kaufen möchte, sollte man schauen, ob das Kleidungsstück halbwegs fair produziert wurde. Da gibt es entsprechende Siegel.
Aber zuerst sollte man mal darüber nachdenken, ob man wirklich so viel kaufen muss. 40 bis 50 Prozent der Klamotten, die wir haben, tragen wir nicht. Wir haben einen solchen Überfluss an Kleidung - wir kaufen immer mehr zu immer niedrigeren Preisen. Und diese Spirale nach unten müssen wir stoppen.
Sendung: Filter vom 24.04.2018 - ab 15 Uhr