Ehrlich gesagt Warum ich immer noch keine faire Mode trage
Fünf Gründe gegen faire Mode – und fünf Argumente, warum sie Schwachsinn sind. Ein Streitgespräch mit mir selbst über Fashion, Ethik und darüber, warum ich wirklich nichts zum Anziehen habe.
Als ich die Recherche zum Thema „Faire Mode“ angefangen habe, kannte ich den Begriff und auch die Problematik, die dahinter steckt. Und obwohl mir bewusst ist, dass "Fast Fashion" nicht geil ist, saß ich vor dem Computer in: Hose von H&M, T-Shirt von Cos, Pulli von Zara, Schuhe von keine Ahnung, aber sicher nicht fair.
Und das seltsame war: Als ich darüber nachdachte, traf mich das schlechte Gewissen nicht mit voller Wucht. Nicht mal mit halber Wucht. Wenn’s hoch kommt, war’s ein Wüchtchen. Nicht zu vergleichen mit der Situation, wenn beim Schnitzelessen ein Vegetarier mit am Tisch sitzt und sagt: Hast du schon mal so einen Schweinetransporter auf dem Weg zum Schlachthof gesehen? Und auch nicht zu vergleichen mit dem Gefühl, wenn du gerade genüsslich in ein KitKat beißen willst und dich jemand an die Anti-Palmöl-Werbung mit den Orang-Utan-Fingern erinnert.
Aber warum? Ich bin kein besonderer Tierfreund und theoretisch weiß ich, wie hart Menschen für günstige Klamotten arbeiten müssen, unter Bedingungen, die ihnen schaden und sie im schlimmsten Fall sogar das Leben kosten. Ich kenne die Rana-Plaza-Bilder aus Bangladesch. Also warum schaffe ich es nicht, beim Shoppen unter fairen Bedingungen hergestellte Klamotten zu kaufen, verzichte aber oft auf Fleisch, kann kein KitKat mehr essen und kaufe Bio-Obst?
Wenn ich darüber nachdenke, höre ich zwei Stimmen in meinem Kopf. Eine kräftige, die mein Verhalten erklärt und Ausreden parat hat, und eine noch nicht besonders durchsetzungsfähige, deren Lieblingswort "aber" zu sein scheint. Als würden, wie im Comic, Engel und Teufel auf meinen Schultern sitzen.
Teufel-Ich: Faire Mode? Um was sollst du dir denn noch alles Gedanken machen? Man darf nicht fliegen, nicht Auto fahren, kein Fleisch essen, nur Bio-Gemüse kaufen, aber nur aus der Region, Deos nur ohne Alu, Duschgel nur ohne Mikroplastik und am besten alles nur noch ohne Verpackung und vor allem bloß nichts in einer Plastiktüte. Immer musst du deinen Trinkbecher dabei haben, damit du den Kaffee nicht aus der Pappe trinkst, der Kaffee muss natürlich Fairtrade sein und die Milch darin teuer genug, um die Existenz der Bauern zu sichern. Du machst ja schon, was du kannst.
Engel-Ich: Tut mir leid, das sagen zu müssen, aber: Was bringt’s, wenn du den Kaffee aus deinem eigenen Becher trinkst und dein Duschgel plastikfrei ist, die chemische Farbe, mit der deine schwarze Jeans gefärbt ist, aber gleichzeitig die Flüsse vergiftet? Und du hast gerochen, dass sie giftig gewesen sein muss, als du sie gekauft hast, gib es zu. Dass du schon viel tust, ist kein Grund, bei der Kleidung nachlässig zu werden. Im Gegenteil. Wenn du an der Stelle aufhörst, sind alle deine anderen Bemühungen weniger wert.
So schlimm bist du ja jetzt auch nicht. Ich meine, bei Kik oder Primark würdest du ja nicht einkaufen. Und bei H&M warst du auch echt schon lange nicht mehr. Du kaufst doch schon immer mehr teure Sachen.
Nur weil die Sachen teurer sind, heißt es doch noch lange nicht, dass sie besser produziert wurden. Du kaufst sie nur, weil sie dir besser gefallen. Auf den Zettel, wo die Klamotten herkommen, schaust du doch meistens nicht mal.
Aber genau das ist doch der Punkt. Egal was du kaufst, du kannst es ja nur falsch machen. Die teuersten Marken – da kommt doch auch alles aus China. Und diese komischen Fair- und Ökosiegel sind bloß Geldmacherei. Die verarschen dich doch alle nur.
Du lässt sich aber auch gerne verarschen – ist eine prima Ausrede. Du hältst dich doch sonst auch für recht schlau. Aber die Marken kannst du nicht durchschauen? So schwer ist das nicht. Bei den billigen Klamotten ist klar, dass da für die Textilarbeiterinnen kein fairer Lohn übrig bleiben kann. Und wenn eine teure Marke fair produziert, dann schreibt sie das doch groß drauf. Das ist doch super für’s Image. Und im Zweifel kannst du einfach gleich in faire Geschäfte gehen, da hast du das Problem nicht.
Aber auch nicht die Auswahl. Mode ist dafür da, dass du am Ende gut aussiehst. Das soll doch Spaß machen. Und dazu gehört auch, dass man sich ein T-Shirt eben mal in drei Farben kauft und auch das vierte Paar Sneakers, weil sie halt wieder ein bisschen anders aussehen als die anderen. Es ist doch das Gefühl der Freiheit, wenn du morgens aufstehst und eine riesige Auswahl hast, was es so schön macht. Und überhaupt, du arbeitest hart für dein Geld. Dann kannst du dir doch davon wohl so viele Klamotten kaufen, wie du möchtest.
Von wegen Freiheit der Auswahl. Du stehst jeden morgen vor dem Schrank und findest vor lauter Auswahl doch "nichts zum Anziehen". Weil du viel zu viele Sachen mal eben kaufst und nach einer Woche dann doch nicht mehr so toll findest. Würdest du gezielter einkaufen und dir genauer überlegen, was du willst, wäre nicht nur dein Style besser, du würdest dir morgens auch das ewige Outfit-Suchen sparen. 15 Minuten länger schlafen – das ist Freiheit.
Und wenn du denkst, du arbeitest hart für dein Geld – was machen dann deiner Meinung nach die Näherinnen in Bangladesch, Kambodscha oder Myanmar?
Natürlich gibt es Menschen, die härter arbeiten als du. Aber die sind auch echt weit weg. Was hilft es denen schon, wenn du dir jetzt beim Einkaufen einen Kopf machst und in einem fairen T-Shirt rumläufst statt in einem günstigeren? Damit richtest du dort auch nichts aus. Und was würde denn passieren, wenn die Billig-Labels weniger Umsatz machen? Die Arbeiter würden ihren Job verlieren. Und wenn Kinder arbeiten, dann doch weil sie müssen, um ihre Familie zu ernähren. Was passiert mit der Familie, wenn Kinderarbeit verboten wird?
Nur weil die Menschen weiter weg wohnen, sind sie nicht weniger wert. Du bist privilegiert, du bist in Deutschland geboren. Hätte auch anders laufen können. Wenn der Markt sich ändert, und die Menschen weniger Wegwerfkleidung kaufen, heißt es ja nicht, dass alle Fabriken schließen und die Arbeiter verhungern. Die Marken reagieren ja auf den Markt. Wenn die Nachfrage nach fairen Sachen wächst, ändert sich auch das Angebot dafür. Dann müssen vielleicht irgendwann die Kinder nicht mehr arbeiten um ihre Familie mitzuernähren, sondern die Eltern verdienen genug, um die Kinder vielleicht sogar auf die Schule zu schicken.
Dieser Streit geht immer weiter und weiter und dreht sich im Kreis. Es ist ein Streit, der so oder so ähnlich in vielen Köpfen stattfindet. Mal hitziger, mal verhaltener. Bei mir ist er im Laufe der Recherche immer lauter geworden. Seit ich angefangen habe, vor ein paar Wochen, habe ich keine Billigklamotten mehr gekauft. Faire aber auch nicht. Ich befinde mich quasi in einer Wartephase und bin selbst gespannt darauf, was das nächste Mal passiert, wenn ich einkaufen gehe. Bestelle ich etwas im fairen Onlineshop oder braucht es nur etwas Zeit, bis ich alles wieder verdrängt habe?
Ich kann meine Gründe gegen faire Mode schon nachvollziehen. Genauso wie ich weiß, dass sie falsch sind. Ich muss mich nur noch davon überzeugen.