HIV-Medikament als Kassenleistung Wie eine Pille unseren Umgang mit HIV verändert
Sex ohne Angst vor Aids: Das verspricht das Medikament PrEP, für das jetzt auch die Krankenkassen zahlen. Ein weiterer Schritt gegen HIV, auch wenn noch nicht alle zufrieden sind.
Jan Schnorrenberg hat keine Angst, wenn er mit jemandem schläft. Seit zwei Jahren gibt es nach dem Sex nicht mehr diesen Moment, in dem er grübelt und sich fragt: Ist es dieses Mal passiert? Habe ich mich jetzt mit HIV angesteckt? Damals fing der 28-Jährige an, PrEP zu nehmen. PrEP steht für Präexpositionsprophylaxe und ist ein Medikament, das vorsorglich gegen eine Infektion mit HIV schützt. Bis vor kurzem musste Jan PrEP noch selbst bezahlen – immerhin 50 Euro jeden Monat. Seit dem 1. September 2019 kann er dieses Geld für andere Sachen ausgeben, weil die Krankenkassen die Kosten bei einem ärztlichen Rezept übernehmen.
Auch wenn HIV-Erkrankte heute behandelt werden können, ist der Virus keinesfalls besiegt: "Wir haben in Deutschland etwa 86.000 HIV-Infizierte und pro Jahr kommen 3.000 plus minus zehn Prozent dazu", sagt Dr. Hans Jäger von der Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte zur Versorgung HIV-Infizierter in Bayern (BAGNÄ). Jäger leitet eine HIV-Schwerpunktpraxis in München. Mitte der 80er-Jahre behandelte er die ersten HIV-Patienten in der bayerischen Hauptstadt. Für ihn ist PrEP als Kassenleistung ein wichtiger Schritt, um neue Infektionen zu verhindern.
Vorsorge gegen HIV: keine Frage des Geldes mehr
Das glaubt auch Jan, weil in seinem Freundeskreis bisher vor allem Leute mit Geld PrEP genommen haben. Die Studierenden dagegen hätten länger darüber nachgedacht, ob sie sich die Pillen leisten wollen. "Es ist endlich keine Frage des Geldbeutels mehr, ob diese Form der HIV-Prophylaxe verwendet wird", sagt Jan. Und das zeigt Wirkung: Inzwischen würden die meisten seiner schwulen Freunde das Medikament nehmen. Die Aids-Hilfe München schätzt, dass es in Deutschland zwischen 5.000 und 10.000 PrEP-Patienten gibt.
Hinter PrEP steckt das Medikament Truvada. Damit hat man ursprünglich Menschen behandelt, die sich schon mit dem HI-Virus angesteckt hatten. 2010 haben Wissenschaftler*innen dann herausgefunden, dass das Medikament aber auch schon vorsorglich gegen eine Infektion mit HIV schützt. Laut Hans Jäger liegt die Wirksamkeit von PrEP bei über 95 Prozent und sei deshalb schon mit einer Impfung zu vergleichen. Trotzdem kann PrEP wie jedes andere Medikament auch Nebenwirkungen mit sich bringen: in diesem Fall Übelkeit, Erbrechen oder Kopfschmerzen. Jan hat davon noch nichts gespürt. Und in den letzten Monaten hätten immer mehr Leute in seinem Umkreis angefangen, das Mittel zu nehmen. "PrEP gehört schon zum normalen Medizinschrank bei vielen schwulen Männern", sagt er.
Für alle, die zur Risikogruppe gehören
Laut Kassenärztlicher Vereinigung kann sich PrEP ab sofort jeder verschreiben lassen, wenn es ein "substantielles Risiko" gäbe. "Das liegt dann vor, wenn man ungeschützte Sexualkontakte mit mehreren Partnern hat", sagt Hans Jäger. Oder wenn man mit Partner*innen Sex hat, die vielleicht selbst eine HIV-Infektion haben. Heißt: Betroffen seien vor allem schwule Männer und Jugendliche, aber teilweise auch Drogenabhängige und zu einem kleinen Teil Frauen.
Aber müssen zum Beispiel Männer erst mal beweisen, dass sie schwul sind oder mit anderen Männern schlafen, um an PrEP zu kommen? "Es braucht eigentlich keine Beweise im engeren Sinn", sagt Hans Jäger. Im Gespräch mit den Patient*innen ließe sich gut rausfinden, wie verlässlich diese zum Beispiel Kondomen benutzen und mit wie vielen Partner*innen sie schlafen. "Fast in jedem Fall kommen wir zu dem Schluss, dass es Sinn macht das Medikament zu verordnen", sagt Jäger.
Auch Nico Erhardt von der Aids-Hilfe in München sagt, dass das Risiko nicht mit der sexuellen Orientierung zu tun habe, sondern damit wie riskant das eigene sexuelle Verhalten sei. "Und das kann natürlich heterosexuelle Menschen genauso betreffen", sagt Erhardt.
Noch sind nicht alle zufrieden
Auf dem Land kann es momentan allerdings noch schwierig sein, PrEP auf Rezept zu bekommen. Denn: Nicht jeder Arzt kann das Medikament einfach so verschreiben. Stattdessen muss er oder sie auf HIV spezialisiert sein. "Die ausstellende Praxis muss entweder eine HIV-Schwerpunktpraxis sein", sagt Erhardt. Oder der Arzt müsse verschiedene Fortbildungen gemacht haben. Erhardt und auch viele PrEP-User wünschen sich, dass diese Anforderungen in Zukunft milder werden – oder ganz wegfallen.
Sendung: PULS am 13.09.2019 – ab 15 Uhr.