Digitaler Nachlass Geschäft mit dem Tod
Niemand beschäftigt sich gerne mit dem Tod. Dabei stirbt alle drei Minuten in Deutschland eine Facebook-Nutzer*in. Die wenigsten machen sich vorher Gedanken um ihren digitalen Nachlass – das wird für andere zum Geschäft.
Das Netz vergisst nichts, auch nicht, wenn man tot ist. Auf Facebook laufen weiter Nachrichten ein oder irgendein Aboservice bucht Geld ab. Sich um seinen eigenen digitalen Nachlass zu Lebzeiten zu kümmern, kostet Zeit und Nerven. Und wer denkt schon gerne daran, was "danach" ist?
Laut einer Bitkom-Studie haben acht von zehn Internetnutzern den digitalen Nachlass nicht geregelt. Was für die meisten unangenehm ist, ist für andere aber ein gutes Geschäft. Oliver Eiler hat vor drei Jahren Columba gegründet – eine Firma, die sich mit genau diesem Thema beschäftigt: der Nachlassverwaltung im Netz. Auf die Idee kam Eiler durch zwei Erlebnisse. Er war Werbeunternehmer und kümmerte sich darum, dass Firmen mit ihren Marketingaktionen auch die richtigen Leute erreichen. Dabei merkte er, dass man zwar gut prüfen kann, ob jemand umgezogen ist oder einen neuen Namen hat, aber nicht, ob jemand noch lebt. Dann passierte noch etwas in Eilers persönlichem Umfeld.
"Ein Jahr später ist ein guter Freund von mir bei einem Verkehrsunfall in Asien gestorben. Und ich entdeckte später, dass er immer noch im Premiumstatus bei einem Netzwerk für Geschäftskontakte aufgeführt wurde. Zum einen war klar: Das ist falsch, weil jetzt 500 Netzwerkkontakte eine Geburtstagserinnerung bekommen, das ist eine Pietätsverletztung. Zum anderen ist klar, dass ein monetärer Schaden entstanden sein muss für den Rechtsnachfolger, also in dem Fall seine Witwe."
- Oliver Eiler, Gründer Columba
Eiler verkauft die Onlineschutzpakete allerdings nicht direkt an die Angehörigen, sondern über die Bestattungsfirmen. Die helfen Familien sowieso dabei, sich um den ganzen behördlichen Papierkram zu kümmern. Arbeitet der Bestatter mit Columba zusammen, fragt er gleich mit, ob die Firma auch den digitalen Nachlass regeln soll – sozusagen als Erweiterungsangebot. Columba leitet die Infos über den oder die Verstorbene an Plattformen wie Facebook weiter und empfängt von diesen Informationen über die Abmeldung. Log-In-Daten und Passwörter werden dazu gar nicht gebraucht und Kund*innen können sich dann über ein Webportal anmelden.
"In unserem Webportal kann der Kunde sehen, welche Abmeldungen der Bestatter für ihn schon erledigt hat und er kann eigene, weitere Abmeldungen tätigen. Und zwar nicht nur den Bereichen, die man jetzt klassisch dem digitalen Nachlass zuordnet, sondern wirklich A bis Z. Von der Rentenabmeldung bis zum Facebook-Account, von der Krankenkasse bis zur Amazon-Prime Mitgliedschaft."
- Oliver Eiler, Gründer Columba
Mit Namen und Geburtsdatum werden Datenbanken von den Internetanbietern durchsucht. Im Schnitt findet Columba so sechs Konten von einem Verstorbenem, je nachdem wie aktiv diese im Internet unterwegs waren. Das Ganze funktioniert aber nur mit Klarnamen, Fake-Accounts werden nicht gefunden.
Große emotionale Hürde
Aber wenn man nun etwas findet: Wie leicht ist es dann auf "löschen" zu klicken? Schließlich vernichtet man damit auch Erinnerungen. Die Theologin Birgit Janetzky berät und kümmert sich seit 2010 um den digitalen Nachlass von Leuten und hat genau diesen Zwiespalt bei einer Familie erlebt.
"Es ist eine große emotionale Hürde. Man muss sich vorstellen: Jetzt ist schon das eigene Kind gestorben und dann soll ich auch noch die Erinnerung an das Kind, die Sichtbarkeit des Kindes im Internet löschen. Das ist so wie: Ist es nicht schon genug, dass mein Kind gestorben ist – jetzt soll ichs da auch noch völlig ausradieren, also vom emotionalen Empfinden her."
- Birgit Janetzky, Theologin
Es ist so, als hätte man ein fremdes Tagebuch vor sich liegen – einen Unterschied zwischen digital und analog gibt es nicht.
"Natürlich kann es sein, dass man Einträge entdeckt, von denen man vorher nichts wusste. Aber das ist im materiellen Nachlass auch, da findet man Briefe, Tagebucheinträge oder Schriftstücke, von denen man vorher nichts wusste. Ich denke, dass man jedem Menschen, auch den Verstorbenen, zugestehen darf, dass sie Teile ihres Lebens einem zu Lebzeiten nicht gezeigt haben."
- Birgit Janetzky, Theologin
Etwa alle drei Minuten stirbt ein Facebook-User
In Deutschland stirbt alle drei Minuten eine Facebook-Nutzer*in, ohne entschieden zu haben, was mit seinem oder ihrem Account passiert, so die Verbraucherzentrale Rheinlandpfalz. Die Angehörigen müssen sich in jedem Fall darum kümmern, denn sie übernehmen nicht nur die Rechte der Verstorbenen, sondern auch die Pflichten. Sinnvoll also, sich mit seinem "digitalen Testament" zu beschäftigen. Oft wird empfohlen, eine handgeschriebene Liste oder einen verschlüsselten USB-Stick mit allen Zugangsdaten und Passwörtern irgendwo zu lagern, damit Hinterbliebene es leichter haben, Zugang zu Konten zu bekommen um sie zu löschen oder weiterzuführen.
Seit 2015 kann man bei Facebook einen offiziellen Nachfolger für sein Konto bestimmen. Unter „Einstellungen“ und „Einstellungen für den Gedenkzustand“ kann man jemanden auswählen, der sich um das Konto kümmern soll, wenn einem etwas passiert. Facebook schreibt dazu, dass die Person auf Freundschaftsanfragen antworten, Profilbilder aktualisieren und einen letzten Gedenkbeitrag posten kann. Nachrichten lesen oder sich unter deinem Konto anmelden kann diese Person nicht. Der Nachlasskontakt wird erst benachrichtigt, wenn sich das Konto im Gedenkzustand befindet. Der Tritt ein, wenn jemand Facebook über dein Ableben informiert. Unter den Einstellungen für den Gedenkzustand gibt es auch die Möglichkeit sein Konto nach dem Tod löschen zu lassen.
Einen persönlichen Nachlasskontakt einzurichten ist bei Instagram noch nicht möglich. Aber auch hier kann das Konto in den Gedenkzustand versetzt werden, wenn man Instagram kontaktiert. Dazu brauchen sie allerdings einen „Todesnachweis (z.B. den Link zu einer Todesanzeige oder Zeitungsartikel)“, schreibt Instagram. Eine Löschung des Kontos können nur nachgewiesene Familienmitglieder und rechtmäßige Nachlassvertreter mithilfe deiner Geburts- und Sterbeurkunde beantragen. Login-Daten werden aber wie bei Facebook in keinem Fall rausgegeben.
Bei Google gibt es den Kontoinaktivität-Manager. Den kann man jederzeit einrichten und so bestimmen, was mit dem Konto passiert, wenn man sich länger nicht einloggt. Für die unterschiedlichen Produkte wie Gmail oder Youtube kann man vorher unterschiedliche Personen festlegen, die im Todesfall Zugang erhalten. Außerdem bestimmt man eine Zeitspanne (z.B. drei Monate), nach der Google eine Nachricht an den Kontakt verschickt. Davor wird man aber nochmal daran erinnert, dass die Frist ausläuft. Alternativ hat man die Möglichkeit, das Konto komplett löschen zu lassen.
Twitter verlangt schon ein bisschen mehr Infos, wenn man das Konto eines Angehörigen löschen lassen will – das kann man nur als Erbe oder naher Verwandter. Erforderlich sind eine Kopie des eigenen Personalausweises und eine Kopie der Sterbeurkunde der verstorbenen Person. Zugang zum Konto gibt es nicht. Außerdem stellt Twitter gleich klar, dass es zwar Fotos oder Videos von Leuten löscht, wenn sie gestorben sind, aber nur wenn das Unternehmen damit einverstanden ist: "Bei der Prüfung derartiger Löschanträge berücksichtigt Twitter Faktoren des öffentlichen Interesses wie zum Beispiel den Nachrichtenwert des Inhalts".
Mailprovider
GMX und web.de verschicken eine Erinnerungsmail, wenn das Konto sechs Monate nicht genutzt wurde, danach wird es weitere sechs Monate auf inaktiv gestellt. Legt man dem Kundenservice einen Erbschein vor, kann man das Konto löschen lassen oder es weiter verwalten. Falls nach einem Jahr die Mailadresse nicht reaktiviert wurde, wird die Adresse neu vergeben. Bei Yahoo kann man mit einer Reihe an offiziellen Schreiben und Dokumenten beantragen, dass das Mailkonto geschlossen wird. Zugang zum Konto gibt's aber nicht: Eine Offenlegung des Accounts ermöglicht Yahoo nur mit der Anordnung zur Offenlegung von einem irischen Gericht – und das kann schwierig werden.
Tinder
Momentan gibt es bei Tinder keine Möglichkeit für User*innen, einen Nachlasskontakt einzurichten. Wenn Angehörige aber den Zugang zum Facebook-Account der verstorbenen Person haben, kann man darüber den Account löschen. Hat man das nicht, kann das Konto auf Anfrage von Familienangehörigen mit Nachruf oder Sterbeurkunde als Nachweis gelöscht werden.
Sendung: PULS am 27.08.2019 - ab 14 Uhr.