Queer-Games und ihre Geschichte Warum die Aufregung um LGBTQ in Computerspielen Innovation bremst
Lesbische Romanzen in Assassin’s Creed: Odyssey oder Outing in "Football Manager 2018" – das LGBTQ-Game-Archive in Philadelphia zeigt, so neu sind queere Elemente in Computerspielen gar nicht.
Lesbische Romanzen in Assassin’s Creed: Odyssey, Outing in "Football Manager 2018" oder die Geschlechterfrage um Birdo aus Super Mario Bros. – immer wenn queere Charaktere, Elemente oder Sidestories in Computerspielen auftauchen, ist die Aufregung groß. "So etwas gabs ja noch nie!" Adrienne Shaw sagt: "Das stimmt nicht!", und die Aufregung wirke sich negatitv auf Innovation und Weiterentwicklung in der queeren Game-Szene aus. Die Professorin sammelt in einem LGBTQ-Game-Archive an der Temple University in Philadelphia seit 2015 wahre Schätze der Queer-Game-Geschichte.
PULS: Was ist das LGBTQ-Archive?
Das LGBTQ-Game-Archive ist eine öffentlich zugängliche Datenbank aller Darstellungen von LGBTQ-Inhalten in Computerspielen, von denen wir wissen. Seit drei Jahren fügen wir Inhalte zum Archiv hinzu.
Wir sammeln alle Informationen, die es zu einer auftretenden LGBTQ-Darstellung gibt. Jeder Eintrag des LGBTQ-Game-Archives nimmt, je nach Spiel, fünf bis 80 Stunden Arbeit in Anspruch. Erst graben wir alles aus, was über das Spiel veröffentlicht wurde: sei es Fanseiten, Gaming-Nachrichten-Seiten, Walkthroughs für viele der älteren Spiele, oder YouTube-Videos, die über die Spiele gemacht wurden. Dann fassen wir all diese Informationen zusammen, um das deutlichste Bild davon zu geben, was im Spiel ist, was die Produzenten darüber gesagt haben und wie das Publikum darauf reagiert hat. Es gibt viele Seiten, Wikipedia ist ein Beispiel, die Listen von solchen Darstellungen haben. Aber sie enthalten keine Informationen darüber, wo im Spiel ein LGBTQ-Inhalt vorkommt, wie wichtig der Charakter ist, oder wie leicht es ist zu diesem Handlungsstrang zukommen. Sie beziehen auch nicht ein, was die Fans oder die Produzenten darüber gesagt habe.
Außerdem bewahren wir auch viel des Primärmaterials auf, das wir verwenden. Dazu gehören die Zeitungsartikel über das Spiel oder Webseiten, auf denen darüber geredet wird. Wir bewahren sie in einem Offline-Archiv auf, damit die Nachwelt auch Zugang zu diesen Informationen hat, da viel dieser Geschichte verloren geht.
Was ist das Ziel des LGBTQ-Game-Archives?
Es gibt zwei Hauptziele: Das eine ist, die Queer-Game-Geschichte zu beschützen. Das andere ist, öffentlich zu machen, dass es schon immer LGBTQ-Inhalte in Spielen gab. Jedes Mal wenn ein neues Spiel veröffentlicht wird und es gibt einen neuen Charakter, eine neue Handlung, eine gleichgeschlechtliche Beziehungsoption, eine offenere Beziehungsoption oder mehr Geschlechtsoptionen, bekommen wir einen Rausch von Aufregung "oh, das ist das erste Mal, dass Spiele das machen". Und das passiert jedes Mal, dass jedes Beispiel für LGBTQ-Darstellung bahnbrechend ist, aber das können sie nicht alle sein, wenn es so etwas schon vorher gegeben hat. Ich denke auch, dass viele der Indie-Game-Designer, die sich gut auskennen, sich nicht über die frühen LGBTQ-Inhalte bewusst sind, manchmal weil sie zu jung waren, diese Spiele zu spielen, oder weil sie keinen Zugang dazu hatten. Deswegen hat das LGBTQ-Game-Archive viel damit zu tun, aufzuzeigen, was zuvorkam, damit man sich vorstellen kann, was man ab jetzt anders machen könnte.
Was macht es so wichtig zu zeigen, dass es diese Spiele gibt?
Wenn wir immer wieder von vorne beginnen, ist es wirklich schwer innovativ zu werden. Wir können viele der frühen Spiele ansehen und sehen wie sie versucht haben Dinge auf eine progressive Weise zu tun, sogar für heutige Standards, was die Darstellung angeht. Und dann können wir darüber nachdenken, wie man das besser oder zeitgemäßer machen könnte oder sich tiefer mit queeren Geschichten befassen kann, als manche Spiele aus den 80ern und 90ern.
Wann hat das Queer-Game-Movement angefangen?
Die gegenwärtige Queer-Indie-Avantgarde, ein Ausdruck, den ich manche Leute benutzen gehört habe, hat um 2012 begonnen, würde ich sagen und Anna Anthropys Buch "Rise Of The Videogame Zinesters" hatte viel damit zu tun. Es hat größere öffentliche Aufmerksamkeit darauf gebracht, dass auf der einen Seite viele kostenlose Entwicklungstools existieren, um Indie-Games zu machen und zu vertreiben. Zum anderen haben sie und viele Indie-Designer zu dieser Zeit viel Publicity für ihre Spiele bekommen. Und ich denke, dass hat geholfen, es zumindest so wirken zu lassen, dass eine kritische Masse von Leuten diese Arbeit tut.
Wie unterscheidet sich dieses Bewegung zu früher?
Was in den 80ern und frühen 90ern passierte, war, dass vor allem individuelle Leute Spiele gemacht haben. Die zwei queeresten Beispiele sind "Caper in the Castro" aus dem Jahr 1989 und "Gayblade" aus dem Jahr 1992. Und diese zwei Spiele wurden unabhängig voneinander gemacht, ohne, dass sich die Designer darüber bewusst waren, dass es andere queere Designer gab, die Spiele über das Queer-Sein machen. Die Indie-Game-Szene, die um 2012 begonnen hat, ist besser vernetzt, durch das Internet und die Sozialen Medien. Vorher hat eine Untergrundszene von Leuten existiert, die hauptsächlich alleine gearbeitet haben. Leider ist viel dieser Geschichte verloren gegangen. Die Informationen über "Caper in the Castro" sind unglaublich schwer zu finden, alle verfügbaren Materialien über das Spiel gibt es im Game-Archive. Ich finde es ist wichtig sich daran zu erinnern, dass während der gesamten Zeit, die Spieletechnologie schon existiert, Queer-Indie-Games gemacht wurden.
Werden queere Charaktere heute anders dargestellt als in den 70ern?
Viele Spiele aus den 70ern, 80ern und sogar den frühen 90ern, wurden von Leuten gemacht, die davon ausgingen, dass die Spiele von anderen queeren Personen gespielt werden. Sie enthalten viele Insider-Jokes und Referenzen, die für eine spezielle Version von Queer-Kultur Sinn haben sollen. Das neue Indie-Game-Movement ist sich bewusster, dass auch Leute, die nicht queer sind, diese Spiele spielen werden. Viele dieser Spiele kommunizieren also welche Erfahrungen der Designer gemacht hat. Sie sind bestimmt von persönlichen Geschichten und sie funktionieren für ein breiteres Publikum. Was zum Beispiel die Tiefe der Geschichten angeht, sind sie grundlegend anders. Ich möchte nicht sagen, dass die neuen Spiele keinen Spaß machen, aber die frühen Spiele waren gezielt designt, um nur Spaß zu machen. Während die Spiele der letzten zehn Jahre auch keinen Spaß machen können. Und das ist etwas, was auch geschätzt werden kann. Ich denke, falls es eine Veränderung gegeben hat, dann dass Spiele als Form der Darstellung ernst genommen werden.
Was macht ein Queer-Game zu einem Queer-Game?
Wie bei allen Queer-Medien ist wesentlich, dass sie Queer-Leben und Queer-Erfahrungen darstellen, egal ob der Fokus bei Geschlecht oder Sexualität liegt oder beidem. Dabei werden beide als undefinierbar behandelt und nicht einfach binär, nicht einfach eine Frage spezifischer Kategorien, wie sie oft in den eher Mainstream-Medien behandelt werden. Ich denke auch das Darstellen von Queer-Leben aus der Queer-Perspektive ist sehr wichtig.
Spiele bieten aber auch eine Art der Darstellung, die man in anderen Medien nicht sieht. Es ist eine Idee, über die man schon eine Weile spricht: Queering Game Mechanics. Wie kann ein Spiel selber genutzt werden, um Normativität und Machtstrukturen zu kritisieren, um Leute dazu zu bringen sogar darüber hinauszudenken, was ein Spiel sein soll. Viel, das aus der Indie-Queer-Game-Wave gekommen ist, ist das über die Darstellung Hinausdenken: das Denken darüber, wie sich die Spielerfahrung queer anfühlen kann zusätzlich zu dem, worum es in der Geschichte geht, oder wer die Charaktere sind.
Was ist in Ihren Augen das beste Queer-Game?
Es ist schwer für mich diese Frage zu beantworten, weil es so viele verschiedene Dinge gibt, die ein Spiel für mich gut machen. Ich mag die Bedachtsamkeit von "2064: Read only Memories". Ich mag die Zeitgenauigkeit und Erfahrungsgenauigkeit von "Gone Home". Und "Caper in the Castro" mag ich als Spielerfahrung mit Spaß.
Sendung: Filter vom 30. September 2018 - ab 15 Uhr