French-House-Spielfilm "Eden" "Ich wollte keine Biographie über Daft Punk machen“
Im Film "Eden" erlebt ein französischer DJ den Rausch des French House in den 90er-Jahren. Regisseurin Mia Hansen-Løve erzählt im Interview, wie viel Fiktion in ihrem Film steckt und welche Rolle Daft Punk für sie spielen.
Die französische Regisseurin Mia Hansen-Løve hat nach langem rechtlichem Kampf um die Rechte für die Musik zum Soundtrack nun endlich ihren Film "Eden - Lost in Music“ fertiggestellt. Darin erzählt die Cannes-Preisträgerin die Geschichte des jungen Paul, der sich als DJ in der gerade entstandenen französischen House-Szene versucht. Neben Pauls Erfolgen zeigt der Film aber auch die Kehrseite von Nachtleben und exzessivem Drogenkonsum. Als Schauspieler hat die Regisseurin auch Greta Gerwig ("Frances Ha“) und Brady Corbet ("Die Wolken von Sils Maria“) verpflichten können. Im Interview hat uns Mia Hansen-Løve verraten, wie viel Wahrheit in "Eden" wirklich steckt.
PULS: In den ersten Minuten deines Films sagt Paul zu Julia: "Nobody wants to go to New York anymore, Paris is so much more fun, it’s the place to be". Was hat die französische House-Szene damals so besonders gemacht?
Mia Hansen-Løve: Es gab dort damals so eine Energie und ein besonderes Gefühl von Modernität. Die jungen Leute, die die Housemusik und deren Szene geil fanden, waren inspiriert von der elektronischen Musik aus New York und Chicago. Sie haben irgendwie ihren Weg gefunden, selbst Musik zu produzieren. Der Versuch, amerikanische Musik dem französischen Publikum näher zu bringen, war gleichzeitig ein kreativer Prozess, denn daraus ist der eigene Stil entstanden.
Der Untertitel von "Eden" ist "Lost in Music", was cool ist, weil es erstens ein großartiger Song und zweitens ein tolles Gefühl ist, wenn man sich in der Musik verliert. Andererseits: Sich verlieren bedeutet auch, nicht mehr bei sich zu sein. Wie wichtig ist diese Ambivalenz im Film?
Im Film gibt es beide Seiten: Das Helle und das Dunkle in den Charakteren, aber auch die Story ist davon geprägt. Das ist auch der Grund, weshalb ich diesen Film machen wollte. Wenn es nur um die positiven Aspekte gehen würde, hätte ich wahrscheinlich nicht die Notwendigkeit gesehen, diesen Film zu machen. Mein Bruder, der mich zu diesem Film inspiriert hat, bereut nicht, dass er diese Zeit in der Szene hatte. Aber zu einem bestimmten Zeitpunkt, wenn deine Freunde auf einmal eine Familie gründen, du aber weiter in der Nacht vor dich hin vegetierst, wird das Ganze selbstzerstörerisch.
Ist das der Grund, weshalb du nicht eine prominente Geschichte erzählst oder einen DJ porträtierst, der im Laufe der Geschichte ein Star wird?
Ja, auch - und ich mag, dass nicht linear erzählt wird, sondern die Geschichte aus vielen kleinen Teilen besteht. Außerdem wollte ich unbedingt etwas machen, das ich selbst kenne und wofür ich ein Gefühl habe. Ich liebe und verehre die Musik von Daft Punk, aber ich hätte keine Biographie über sie machen wollen. Meinen Bruder kenne ich wirklich gut, so konnte ich viel tiefer in seinen Charakter und seine dunklen Seiten eintauchen.
Dein Bruder, Sven Hansen-Løve, war als Garage-DJ in den 90er-Jahren aktiv. Die Hauptfigur basiert zum Teil auf seiner Geschichte, gleichzeitig hat er auch an dem Film mitgeschrieben. Konntet ihr zwischen Sven und dem fiktiven Charakter Paul aus "Eden" unterscheiden?
Für meinen Bruder war das kein Problem, er sieht den Film als Erzählung über sich. Klar, die Figur von Paul ist durch meinen Bruder inspiriert und es gibt viele Parallelen. Einige Punkte aus seinem Lebenslauf oder Freunde, die er damals hatte, sind im Film ähnlich. Gleichzeitig ist es aber ein Film und Paul ein Schauspieler, der anders tickt. Die meisten Szenen habe ich geschrieben und die sind natürlich beeinflusst durch Erinnerungen an damals. Aber letztlich habe ich mir das alles ausgedacht. Es ist wie in meinen bisherigen Filmen: Ich wurde durch Leute um mich herum zu der Geschichte inspiriert, aber wenn ich den fertigen Film sehe, ist der Inhalt zu 100 Prozent Fiktion.
Was bei "Eden" besonders auffällt ist, dass es keinen klassischen Spannungsbogen gibt. Es ist eher wie ein gutes House-Set, mit einem konstanten, progressiven Flow und kleinen Höhen und Tiefen. Inwieweit hat die Musik, die Art und Weise, wie du die Geschichte erzählst, beeinflusst?
Die Musik hatte einen großen Einfluss. Während des Drehbuchschreibens habe ich viel Musik gehört und Entscheidungen getroffen, welche Tracks im Film vorkommen müssen. Schon in der ersten Szene, als die Leute draußen sind beim Raven in den Suburbs und ein Junge den DJ fragt: "Hey, welcher Track ist das?“, da hat mich ein Song auf die Idee zu dieser Szene gebracht. Durch das Hören all dieser längst vergessenen Tracks kamen viele Erinnerungen zurück, die ich mit der Musik verbinde. Der komplette Film ist darauf angelegt, dass der Soundtrack und die Szenen zusammen gehören und funktionieren.
Es ist interessant, wie naiv und hedonistisch die Leute in Pauls Clique leben. Die meisten haben ein ernsthaftes Drogenproblem, Paul hat Schulden, und keiner nimmt Cyrills Depression wahr, bis es zu spät ist. Trotzdem haben sie jede Nacht Spaß, vorgeblich. Wie charakteristisch ist dieser Lebensstil für die französische House-Szene in den 90ern?
Ich habe viel mit meinem Bruder über die ersten Jahre in der House-Szene gesprochen, weil ich damals selbst noch zu jung war. Er hat diesen hedonistischen Lebensstil in unseren Gesprächen immer wieder betont. Ich bin mir gar nicht sicher, ob es diesen Hedonismus ohne jegliche Schuldgefühle heute überhaupt noch gibt. Damals gab es keinen Gedanken an morgen, sondern nur den Glauben an das Hier und Jetzt. Ein richtiger Job war erst für später geplant und das Geld, das man verdiente, wurde gleich wieder ausgegeben. Man kann natürlich sagen, dass das unverantwortlich ist, andererseits: Dieser Wunsch, im Jetzt zu leben, hat auch etwas Poetisches. Und ich gebe zu, dass ich diesen Drang nachempfinden kann, auch wenn ich natürlich weiß, dass es gefährlich werden kann.
Kannst du dich mit Paul, deiner Hauptfigur, identifizieren?
Ja, aber in der gleichen Distanz, die eine kleine Schwester zu ihrem Bruder hat. Ich habe viel Empathie und Verständnis für seine Lebensart, trotz vieler Unterschiede zwischen der Figur und mir. Dieses Gefühl von Melancholie, das er in sich trägt, spricht zum Beispiel auch mich an. Der Film urteilt nicht oder erhebt den moralischen Zeigefinger. Trotzdem ist er authentisch, weil er nichts beschönigt, was das Nachtleben von damals betrifft. Was ich nicht machen wollte, war, mit dem Film zu sagen: "Lasst eure Kinder nicht mehr vor die Tür, da passieren schlimme Dinge." Ich würde bei Pauls Charakter auch eher von Schicksal als von Fehlern sprechen. Vielleicht musste er diese Zeit mitmachen, um letztendlich Schriftsteller werden zu können.
Daft Punk haben euch erlaubt, ihre Musik für den Film zu nutzen. Wie gefällt ihnen das Ergebnis?
Ich glaube, sie respektieren, dass wir unsere eigene, sehr persönliche Perspektive zeigen und scheinen auch echte Cineasten zu sein. Sie haben nie versucht, Einfluss auf den Film zu nehmen - sie kennen meinen Bruder schon sehr lange, deshalb haben sie uns ihr größtes Vertrauen geschenkt.