Der Roman "Peach" von Emma Glass Wieso ein Pfirsich die vielleicht wichtigste Romanfigur des Jahres ist
Geschichten über sexuelle Übergriffe gehen so: Weibliches Opfer, Täter wird von einem männlichen Helden gefasst, alles ist super. Im Roman "Peach" ist alles anders. Wieso diese Story genau das ist, was wir 2018 brauchen.
Peach kommt nach Hause. Ihre Fingerknöchel sind aufgeschürft, ihr ist schlecht, sie blutet zwischen ihren Beinen. Wir Leser ahnen, was passiert ist. Peach wurde überfallen, wahrscheinlich vergewaltigt. Puh. Schwerer Stoff. Aber das Buch "Peach" von Emma Glass ist mehr als ein bedrückender Traumata-Roman. Es ist eine wahnsinnig absurde Geschichte. Das Teenager-Mädchen Peach tut zwar alles, was wir auch so tun - sie geht zur Schule, sie liebt ihre kleine Katze, isst Toast mit Marmelade. Aber Peach ist ein Pfirsich. Ein echter wirklicher Pfirsich. Und ihr fester Freund, Green, ist groß, stämmig – wie ein Baum eben.
"Ein Schatten verdrängt die Sonne aus meinem Gesicht und seine Fingerzweige berühren meine Wange. Sie riechen nach Zigaretten und Frühling. Ich suche den Schatten unter seiner Brust und vergrabe mein Gesicht in seinem braunen Pullover. Ich atme den Duft von Limetten und feuchten Blättern."
– Aus 'Peach'
Ja, das alles hat einen Sinn. Jede Figur ist ein Gegenstand, der den Charakter deutlicher macht. Der Mann, der Peach überfallen hat, ist eine Wurst. Und verfolgt sie. Dabei hinterlässt die Wurst schmierige, schlierige Fettflecken, die Peach genauso wenig entfernen kann, wie die Erinnerungen an die Tat. Das ist skurril - und logisch. Als Autorin Emma Glass ihren Roman angefangen hat, war sie nämlich Vegetarierin.
"Ich wollte ein starkes Bild. Also habe nachgedacht: Was ekelt mich so richtig an? Damals waren das Fleisch und eben Wurst. Würste sind aber eigentlich auch total grotesk. Es gibt so ältere amerikanische Cartoons, die in Kinos laufen. In denen lächeln Würste sogar. Ich wollte das verdrehen. Und in meinem Buch ist die Wurst auch anders, sie ist schrecklich. Aber es gibt auch Figuren, die die Geschichte freundlicher machen, weil sie so lächerlich sind."
- Emma Glass im Interview mit PULS
Und so folgt alles in dieser absurden Geschichte kleinen assoziativen Regeln. Über Gefühle zu schreiben, die man kaum ausdrücken kann, ist nicht leicht. Da reicht die ganz normale Sprache eben nicht immer aus. Das ist beim Lesen auch mal verwirrend, weil man alles akzeptieren muss: Ein Pfirsich als Hauptfigur, obskure Beschreibungen, die keine Metaphern sind, sondern lautmalerisch und ungewohnt. Das macht ein bisschen Arbeit, ist bei aller Drastik aber vor allem sehr schön.
"Meine Augen wirbeln mit Wagenrädern, folgen sattem Grün und Weiß und Pink. Mehr weiß als rot, ein Inside Out."
– Aus 'Peach'
Die Autorin Emma Glass hat schon vor Jahren angefangen "Peach" zu schreiben. Der Roman ist also kein Kommentar zu #metoo. Aber weil wir aktuell alle darüber diskutieren, ab wann ein Opfer ein Opfer ist und vor allem wie das Opfer damit umgeht, deswegen ist das Buch dann doch gerade 2018 politisch sehr relevant. Weil momentan niemand so eindringlich und einfühlsam die Folgen von Übergriffen beschreibt, wie Emma Glass in ihrem Roman "Peach".
"Peach" von Emma Glass ist im Nautilus Verlag erschienen.
Sendung: Filter am 06.03.2018, ab 15 Uhr