PULS Preview // Futur Drei Neues deutsches Kino, wie wir es lieben
Parvis vertreibt sich seine Zeit mit Grindr-Dates und Parties. Als er Sozialstunden in einer Geflüchteten-Unterkunft ableisten muss, setzt er sich zum ersten Mal mit seiner Identität als iranisch-deutscher queerer Mann auseinander.
Parvis hat sich gewaschen und schick gemacht. Er kommt in der Wohnung seines Grindr-Dates an, sein Gastgeber legt eine House-Platte auf und schenkt Weißwein ein. Die zwei fallen übereinander her, später stehen sie auf dem Balkon und kiffen erstmal einen. Dann wird es unangenehm. "Eigentlich steh ich gar nicht so auf Ausländer", sagt der Mann. "So haarige, südländische Typen. Türken, Griechen, keine Ahnung."
Solche Momente gibt es in Parvis' Leben immer wieder. Er ist ein junger, schwuler Mann in Deutschland – einer von Hunderttausenden. Für viele ist er aber vor allem ein Ausländer: im besten Fall irgendwie exotisch, im schlimmsten Fall jemand, der nicht hierhergehört.
"Die Figur von Parvis basiert auf Regisseur Faraz Shariat, dessen Eltern sich im Film auch quasi selbst spielen. Diese Familien-Zusammenarbeit am Set lief zwar entspannt ab, hat bei Shariat aber auch für Verwirrung gesorgt.
"Meine Eltern spielen zwar die Eltern des Protagonisten, aber sind trotzdem auf eine Art Hybrid-Figuren. Und da in einer permanenten Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte der Eltern und dem Schauspiel und dem Material, das man generiert, zu sein, ist super komplex und anstrengend."
- 'Futur Drei'-Regisseur Faraz Shariat im PULS-Interview
"Futur Drei" wurde vom Film-Kollektiv Jünglinge gedreht, das Shariat mit seinen Kolleginnen Paulina Lorenz und Raquel Molt gegründet hat. Die Story des Films stammt aus Shariats eigener Lebensgeschichte. Nachdem Parvis beim Ladendiebstahl erwischt wird, wird er zu 120 Sozialstunden verdonnert, die er in einer Unterkunft für Geflüchtete in seiner Heimatstadt Hildesheim abarbeitet. Dort lernt er die zwei iranischen Geschwister Banafshe und Amon kennen und freundet sich mit ihnen an. Für den stillen und schüchternen Amon entwickelt Parvis schnell mehr als freundschaftliche Gefühle – was bei Amons straighten Fußball-Kumpels gar nicht gut ankommt.
Ein Coming-of-Age über post-migrantische Millenials
"Futur Drei" zeigt auf entspannte aber eindrückliche Art, wie verschiedene Generationen mit ihrer Migrationsgeschichte umgehen: Parvis‘ Eltern sind in den 70er-Jahren aus dem Iran ausgewandert, leiten eine eigene Supermarkt-Filiale und haben ein großes Haus, sehnen sich aber trotzdem in den Iran zurück. Parvis ist der handysüchtige, aber liebenswerte Millenial, der sowohl Farsi spricht als auch einen deutschen Pass hat. Und Banafshe und Amon, gerade aus dem Iran geflohen, wollen sich einfach nur in Frieden eine neue Existenz aufbauen.
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Futur Drei Trailer Deutsch | German [HD]
Eine Stärke von "Futur Drei" ist auch der playlistartige Soundtrack: in einer Szene ist Nena zu hören, in einer anderen die Cloudrap-Gruppe Gaddafi Gals, wieder andere Momente werden mit Grimes und iranischer Popmusik untermalt. Die Ästhetik von aufwändig produzierten Musikvideos von Popstars wie Beyoncé, Solange und Rihanna dringt vor allem in den dreamy Zwischensequenzen durch und bricht die sonst sehr realistische Stimmung auf. Shariat und seine Kolleginnen und Kollegen hatten vor "Futur Drei" viel im Musikvideo-Bereich gearbeitet und haben ihre Faibles für die aufwändigen Videos von ihren Lieblings-Artists in diesen Film einfließen lassen.
"Wir wollten weg von 'Problemfilm', Tristesse und Poverty Porn - und hin zu einer empowernden, selbst-ermächtigten, gefühlvollen und auch sinnlichen Darstellung von einer Situation. Und da hilft Pop als Bildstrategie auch voll."
- Faraz Shariat im PULS-Interview
Die Kombination aus stringenter, teilweise autobiographischer Erzählung und verwaschenen, experimentelleren Elementen aus der aktuellen Popkultur funktioniert großartig. Das Ergebnis ist ein Film, der sowohl witzig als auch rührend ist; der Tiefgang hat, aber auch Wert auf ein stylisches Äußeres legt. Neues deutsches, post-migrantisches Kino at its best.
Sendung: PULS am 10.09.2020 - ab 15.00 Uhr