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Fußballer in Krisengebieten Das Spiel mit der Angst

Mario Gomez verlässt nach dem Putschversuch und der Terrorgefahr in der Türkei seinen Club Besiktas Istanbul. Immer mehr ausländische Profikicker fürchten um ihre Sicherheit. Aber die Vereine lassen sie nicht ziehen.

Von: David Pablo Bücheler

Stand: 22.07.2016 | Archiv

Fußballer in Krisengebieten | Bild: BR

"In der Türkei gibt es Terror, deswegen möchte ich gehen." Mit dieser Aussage hat der ehemalige Bayernspieler José Ernesto Sosa den Präsidenten seines Vereins Besiktas Istanbul nach dem Anschlag am Istanbuler Flughafen Ende Juni konfrontiert. Seitdem weigert er sich, mit der Mannschaft  zu trainieren und führt stattdessen Verhandlungen über seinen Weggang. Aber der Vereinsvorstand möchte ihn nicht gehen lassen. Die Champions League steht für Besiktas diese Saison an, dafür wird jeder Spieler benötigt. In der derzeitigen Situation ist es für türkische Vereine kaum möglich, internationale Stars als Ersatz zu verpflichten. 

Angst? Ein Fremdkörper in der Fußballer-Floskelsprache

Seine Frau habe Angst davor, weiterhin in Istanbul zu leben, so Sosa, der ursprünglich aus Argentinien kommt. 2007 ist er von seinem Heimatverein Estudiantes de Plata gewechselt zum FC Bayern. Dann kamen Stationen beim SSC Neapel, dem ukrainischen Verein Metalist Charkiw und ein Intermezzo bei Atlético Madrid, bevor er 2015 zu Besiktas Istanbul ging. Vor allem habe er Angst um seine Kinder, sagt er jetzt. Eine Aussage, die wie ein Fremdkörper wirkt in der alltäglichen Floskelsprache des Fußballgeschäfts.

Allein ist Sosa mit diesem Gefühl nicht. Auch Mario Gomez hat in einem Facebook Post erklärt, dass "einzig und allein die schrecklichen Geschehnisse der letzten Tage" der Grund dafür sind, dass er nicht weiter in der Türkei spielen will. Die Transferrechte für Gomez besitzt der AC Florenz. Besiktas Istanbul kann also den Abgang seines deutschen Stürmerstars nicht verhindern.  

Für Sosa dagegen ist die Situation schwieriger. Es ist auch nicht das das erste Mal, dass er sich aufgrund eines Angestelltenverhältnisses als Fußballer mitten in einer Krisenregion wiederfindet. Daran hat ihn auch Fikret Orman, der Präsident von Besiktas Istanbul, auf einer Pressekonferenz erinnert: "Wo haben wir Sosa hergeholt? Aus Miami? Nein aus Kharkiv! Er kam praktisch aus dem Zentrum des Ukraine-Kriegs gegen Russland." Orman ist ziemlich sauer über Sosas Beweggründe und polterte weiter: 

"Die Welt hat den 11. September erlebt. Haben dort die ausländischen Basketballspieler aus New York gesagt, dass sie wegen des Terrors weg wollen?"

Fikret Orman, Präsident von Besiktas Istanbul

Eine haarsträubende Argumentation von Fikret Orman. Vor allem wenn man bedenkt, dass Fußballer allein aufgrund ihrer Prominenz Ziel von terroristischen Attacken sein können. Erst im April wurde der Mannschaftsbus von Fenerbahce Istanbul mit Schusswaffen angegriffen und der Fahrer schwer verletzt.

Spielerverträge: Auch in Krisenzeiten in Stein gemeißelt

Die Interessen der Klubs stehen in solchen Fällen über dem Befinden der angestellten Kicker und ihrer Familien. Auch im Ukraine Konflikt wurden ähnliche Fälle öffentlich. Einige brasilianische Profis des ukrainischen Serienmeister Schachtar Donezk, unter ihnen der heutige Bayernprofi Douglas Costa, hatten sich nach einem Freundschaftsspiel in Lyon geweigert, in das Flugzeug zurück in die Ukraine zu steigen. Daraufhin drohte ihnen der Vereinspräsident mit Millionenklagen wegen Vertragsbruchs und erzwang so ihre Rückkehr.

Tatsächlich ziehen die Spieler gegenüber den Vereinen auch in rechtlicher Hinsicht den Kürzeren. Lars Kindgen, Geschäftsführer der Deutschen Spielergewerkschaft VDV, hat sich in letzter Zeit aufgrund der Entwicklungen im Umfeld der Proficlubs in Krisengebieten mit einigen ähnlichen Fällen auseinandergesetzt:

"Im Moment gibt es für Spieler keine Möglichkeit aus Ihren Verträgen wegen akuten Bedrohungsszenarien  auszusteigen."

Lars Kindgen, Geschäftsführer VDV

Natürlich könne man auch mit Unterstützung der Spielergewerkschaft auf eine einvernehmliche Einigung mit den Vereinen hinarbeiten. Wenn die Vereine sich aber weigerten, bliebe den Spielern aber nichts anderes übrig als zu bleiben, so Kindgen. Aber im Moment sind die Verträge in Stein gemeißelt und binden Spieler auch in Krisenzeiten an ihre Vereine.

Ausstieg bei Gefahr für Leib und Seele

Jose Ernesto Sosa versucht jetzt, die Vertragsauflösung zu erzwingen und nimmt die Strafzahlungen für Vertragsbruch in Kauf. Er geht seinen Verpflichtungen gegenüber seinem Verein einfach nicht mehr nach und erscheint nicht mehr zum Training.

Lukas Podolski und der ehemalige deutsche Nationalspieler Andreas Beck wollen sich derzeit nicht dazu äußern, ob sie nach ihrem Sommerurlaub nach Istanbul zurückkehren. Lars Kindgen von der Spielergewerkschaft hält aber einen Präzedenzfall noch in dieser Wechselperiode für möglich: Es könne gut sein, dass in den nächsten Wochen noch weitere Fälle auftauchen würden, in denen Spieler aufgrund der Bedrohungslage ihre Wechselabsicht äußern. 

"Meiner Meinung nach müsste sich die FIFA überlegen, neue Möglichkeiten im Vertragswesen von Spielern zu schaffen, die bei Gefahr für Leib und Seele den Ausstieg ermöglichen."

Lars Kindgen

Zur Zeit hilft vielen Spielern nur abzuwarten, wie sich die politische Situation entwickelt oder zu hoffen, dass ein ausländischer Verein mit einem hohen Ablöseangebot daherkommt. Das könnte finanziell klamme türkische Vereine dann doch überzeugen.


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