Corona in der Flüchtlingsunterkunft Wie gut werden Geflüchtete in Bayern vor Corona geschützt?
In München stirbt ein junger Geflüchteter an den Folgen des Corona-Virus. Für den Münchner Flüchtlingsrat ist klar: In staatlichen Sammelunterkünften gibt es zu wenig Schutz und es fehlt aktuell an persönlicher Betreuung.
Amar K. hat zwei Angriffe des IS überlebt. Er flieht nach Deutschland, um sich ein neues Leben aufzubauen, in München stirbt der 35-jährige Afghane an den Folgen des Coronavirus. Scheinbar hatte er keine Vorerkrankungen, final soll das aber eine Obduktion klären. Amar K., der eigentlich anders heißt, wurde jedoch erst mit schweren Symptomen in eine Klinik eingeliefert - und verbrachte die Tage zuvor noch mit einem anderen Geflüchteten im selben Zimmer.
Für Hannah Sommer vom Münchner Flüchtlingsrat zeigt sich besonders in Zeiten von Corona, wie problematisch die Unterbringung von Geflüchteten in Sammelunterkünften geregelt ist: "Wenn sehr viele Personen, zum Teil mehrere Hundert, auf engstem Raum leben, ist das Ansteckungsrisiko einfach viel höher." Entscheidend sei die Frage, wie man Geflüchtete am besten schützt, ihnen weiterhin Zugang zu persönlicher Betreuung ermöglicht. Und dadurch letztlich für alle das Virus weiter eindämmt.
Der Fall Amar K.
In Bayern haben sich bis Anfang Mai von 90.000 Personen, die in Asylunterkünften leben, über 700 mit Corona infiziert. Etwa 300 sind inzwischen wieder gesund. Zwei starben. Darunter: Amar K.
Amar K. erzählte bereits früh einer ehrenamtlichen Helferin, die er seit 2015 kannte, er habe Kopfschmerzen, Halsweh, Fieber. Beide standen per SMS und über Telefonate jeden Tag in engem Austausch. Laut der Schilderung der Ehrenamtlichen und des Münchner Flüchtlingsrats stand auch ein pädagogischer Assistent, beauftragt von der Caritas, per Telefon mit Amar K. in Kontakt.
Seit Ende März dürfen Betreuer*innen der Sozialdienste nicht mehr persönlich in der Unterkunft vorbeikommen. Für staatliche Unterkünfte wie die, in der Amar K. und auch der andere verstorbene Geflüchtete untergebracht waren, gilt seitdem das Betretungsverbot. Anders ist das in den Unterkünften der Stadt geregelt. Dort dürfen Mitarbeiter*innen von Sozialdiensten nach wie vor persönlich zu den Bewohner*innen. In den sogenannten Ankerzentren sind auch Ärzte vor Ort.
Amar K.s Zustand hatte sich zwischenzeitlich weiter verschlechtert. Laut dem Münchner Flüchtlingsrat wussten die Behörden bereits am Montag von seinem schlechten Gesundheitszustand. Am Dienstag habe es einen Notarzteinsatz in der Unterkunft gegeben, Amar K. wurde nicht mitgenommen. Am Freitag, den 10. April, lag sein Testergebnis vor: positiv. So schildert es Hannah Sommer vom Münchner Flüchtlingsrat. Erst am Freitag lieferten sie Amar K. in die Klinik ein. Dort starb er nach zwei Wochen.
Die Regierung von Oberbayern weist in einer Stellungnahme gegenüber PULS die Vorwürfe einer mangelnden Versorgung zurück. Alle notwendigen Maßnahmen seien ergriffen worden. "Bis zur Bekanntgabe des positiven Testergebnisses hat sich das Personal regelmäßig nach dem Gesundheitszustand des Erkrankten erkundigt, der gleichbleibend lediglich leichte Symptome aufwies." Eine Behandlung durch den Rettungsdienst, der am Dienstag in der Unterkunft eintraf, habe Amar K. selbst abgelehnt.
Fehlende Betreuung in staatlichen Unterkünften: ein Risikofaktor
Derzeit wird geprüft, ob Amar K.s Tod durch schnelleres Handeln hätte verhindert werden können. Hannah Sommer sagt zumindest: "Durch persönliche Betreuung hätte er leichteren Zugang zu medizinischer Hilfe erhalten können." Deswegen fordert der Münchner Flüchtlingsrat gemeinsam mit dem Bayerischen Flüchtlingsrat, Ärzteinitiativen, Rechtsanwält*innen und Psycholog*innen in einem offenen Brief an den Freistaat Bayern und einzelne Bezirksregierungen uneingeschränkten Zugang für Sozialberatung zu staatlichen Flüchtlingsheimen. Also genau die Ansprechpartner, die Amar K. nur telefonisch erreichen konnte. Die anders als Sicherheitsleute und Einrichtungsbetreiber*innen die Geflüchteten persönlich kennen. "Der eingeschränkte Zutritt der Sozialdienste zu den Unterkünften wäre unter Normalbedingungen schon fahrlässig, unter der gegebenen Ausnahmesituation ist es unverantwortlich", heißt es in dem Brief. Auch Caritasdirektor Georg Falterbaum kritisiert die aktuellen Zustände in Asylunterkünften und fordert bessere "räumliche, sicherheitstechnische und hygienische Bedingungen".
Die Anspannung der Bewohner*innen sei groß, sagt Hannah Sommer. Die Angst, sich anzustecken, mischt sich mit Verunsicherung durch fehlende Informationen über Schutzmaßnahmen, Regelungen oder was überhaupt mit infizierten Personen passiert: "Zum Teil erhalten sie Informationen nur in Form von Aushängen. Wenn Quarantäne-Maßnahmen eingeleitet werden, wird oft nicht klar gesagt, bis zu welchem Zeitpunkt das gilt." Hinzu komme, dass viele der Geflüchteten vielleicht noch im Asylverfahren stecken und deswegen nicht zur Last fallen wollen – also Angst haben vor negativen Konsequenzen.
Mohamed Turay steckt mit knapp 200 Leuten in Quarantäne
Diese Anspannung spürt aktuell auch Mohamed Turay. Er wohnt mit knapp 200 Menschen in einer staatlichen Unterkunft für Geflüchtete in Traunreut bei Traunstein. Dort fühle er sich gerade wie ein Gefangener. Zwischen Gemeinschaftsküche, Bad, Toilette und Hof bleibt nicht viel Raum, sagt er. Denn weiter raus darf seit etwa einem Monat keiner. Seitdem herrscht Quarantäne. "Ich bin depressiv und gestresst", sagt Turay, "ich kann gerade nicht mal meinen Arzt oder Psychologen sehen".
Mitte April sind zwei Familien in einem Großeinsatz von Polizei, Rotem Kreuz und anderen Behörden abtransportiert worden, um sie von den anderen Bewohner*innen zu isolieren. Zwei Geflüchtete hatten sich krank gefühlt und wurden daraufhin positiv auf Covid-19 getestet. "Danach sind wir alle getestet worden", sagt Turay. Beim Test kam raus: 14 Leute sind Corona positiv, erzählt er. Viele der Informationen kennt er selbst nur aus den Medien. "Wir wollen wissen: Warum dürfen die alle hier bleiben und werden nicht wie die beiden Familien isoliert? Wir wollen mehr informiert werden", sagt Turay, der selbst negativ getestet wurde. Jeden Tag bringe jetzt jemand Essen in die Unterkunft. Eine seltsame Situation. Turay vermisse seine Freunde.
"Corona wird nicht das letzte Virus dieser Art sein", sagt Hannah Sommer. Langfristig müsse diese Art von Unterkünften aufgelöst werden, so Sommer, und die Menschen dezentral untergebracht werden. Auch die Grünen-Politikerin Gülseren Demirel fordert angesichts des Falls Amar K. in einem offenen Brief an die Regierung von Oberbayern Aufklärung und bessere Schutzmaßnahmen, unter anderem sollen Menschen aus Risikogruppen gesondert untergebracht werden.
Sendung: PULS am 07.05.2020. - ab 15.00 Uhr