Versammlungsfreiheit Wie geht Demonstrieren in der Corona-Krise?

Am 1. Mai wird traditionell in ganz Deutschland protestiert. Aber wie demonstriert man, wenn die Versammlungsfreiheit eingeschränkt ist?

Von: Katharina Geschier

Stand: 30.04.2020 | Archiv

Grafik | Bild: BR

"Versammlungen unter freiem Himmel" - so kann man das beschreiben, was normalerweise rund um den 1. Mai in Deutschland passiert. Egal ob Maibaumaufstellen, Demonstrationen von Gewerkschaften oder Proteste von linken oder linksextremen Gruppierungen: Zuhause bleiben am internationalen "Tag der Arbeit" traditionell wenige.

Wegen der Corona-Pandemie sieht das dieses Jahr aber etwas anders aus: Zwar hatten linke Gruppen zum Beispiel auf indymedia.org trotz Ausgangsbeschränkungen zu dezentralen Aktionen "auf der Straße" aufgerufen, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat in diesem Jahr allerdings zum ersten Mal seit seiner Gründung unter dem Motto "Solidarisch ist man nicht alleine" alle seine Kundgebungen und Demonstrationen abgesagt und stattdessen einen Livestream angekündigt.

In den letzten Wochen galt in Deutschland faktisch ein Demonstrationsverbot, angemeldete Versammlungen wurden verboten oder stark eingeschränkt. Dabei ist das Versammlungsrecht in Deutschland besonders beschützt. Im Grundgesetz heißt es im Artikel 8:

  1. Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
  2. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Demonstrieren und Corona – wie passt das zusammen?

Menschen, die sich trotzdem äußern und protestieren wollen, gehen mit dieser Situation unterschiedlich um. Der Verein Seebrücke.org, der sich momentan vor allem für die Situation der Geflüchteten in griechischen Flüchtlingscamps einsetzt, hat seine Demonstrationen ins Internet verlegt. Während normalerweise c.a. 6000 Teilnehmer*innen auf die Straße gehen, gibt es stattdessen im "real life" jetzt Mahnwachen mit höchstens 20 Personen. Der Mindestabstand wird dabei eingehalten, sagt Jan Behrends von der Seebrücke:

"Bei drei Meter langen Bannern liegt’s ja in der Natur der Sache, dass wir den Abstand einhalten können. Personen können einzeln Schilder hochhalten und sich mit zwei Metern Abstand aufstellen, sodass wir wirklich keinen Kontakt haben und trotzdem unsere Botschaften verkünden können."

Jan Behrends von der Seebrücke

Solche Aktionen auf der Straße haben die verschiedenen Studierendenverbände in Deutschland nicht geplant. Sie sind mit der Arbeit der Bundesbildungsministerin Anja Karliczek unzufrieden: Viele Studierende haben durch die Corona-Krise ihre Nebenjobs verloren, zum Beispiel in der Gastronomie, und fordern jetzt in Online-Demonstrationen und Protestaktionen auf Twitch, Facebook und Twitter finanzielle Unterstützung. Dass sie nur online und nicht "analog" demonstrieren, begründet Lukas Eichinger von der Konferenz Sächsicher Studierendenschaften (KSS) durch ihre Vorbildfunktion: "Wir wollen jetzt nicht rausgehen und das Risiko in die Höhe treiben." Auch wenn er zugibt, dass die Reichweite bei ihrer letzten Demonstration nicht so hoch war, wie erhofft:

"Dafür, dass zu Hause alle mitmachen konnten, war die Reichweite wirklich gering. Man ist nicht gemeinschaftlich, fährt nicht irgendwo hin und trifft seine Leute, sondern sitzt still und heimlich allein am PC. Das ist psychologisch ein ganz anderes Ding."

Lukas Eichinger, KSS

Demonstrieren bleibt ein Grundrecht

Auch Rechtswissenschaftler wie Dr. Florian Meinel denken nicht, dass Online-Demonstrationen ausreichen, um den gewünschten Effekt zu erzielen. "Der politisch entscheidende Gesichtspunkt der Versammlungsfreiheit ist, dass eine Gruppe gemeinsam den öffentlichen Raum einnimmt und eine Position artikuliert. In dem Sinne, dass die Straße öffentlicher Raum ist und allen gehört, ist die Online-Sphäre nicht-öffentlicher Raum, weil ich mich dem entziehen kann. Ich muss nicht hingucken, nicht vorbeigehen, kann das Gerät ausschalten. Das Politische daran, den öffentlichen Raum zu okkupieren, ist online nicht zu ersetzen", sagt der Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Julian-Maximilians-Universität in Würzburg. 

Zudem sich mittlerweile auch Gerichte einschalten und allgemeine Demonstrationsverbote kippen, da sie das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit unverhältnismäßig und pauschal einschränken. Dr. Florian Meinel sagt dazu: "Wenn Veranstalter Maßnahmen wie ausreichenden Abstand ergreifen und nach Möglichkeit versuchen, sich an das zu halten, was medizinisch notwendig ist, dann ist aus meiner Sicht wahnsinnig schwer eine Begründung zu finden, warum ich das verbieten muss." Er ist sich sicher und meint: "Das geht nicht."

Grundrechte zum Infektionsschutz einzuschränken ist vor allem eine politische Entscheidung. Das öffentliche Leben einzuschränken und Menschenansammlungen wegen der Infektionsgefahr zu vermeiden bedeutet eben auch, dass wir weiterhin auf Massendemonstrationen, bei denen sich dicht gedrängt tausende von Menschen durch die Innenstädte schieben, verzichten müssen. Trotzdem muss es möglich sein, auch im öffentlichen Raum, auf der Straße, seine Meinung sagen zu können: alleine, zu zweit oder in einer Gruppe. Natürlich mit Sicherheitsabstand. Und es ist nötig, dass jede Form der Grundrechtseinschränkung regelmäßig kontrolliert und auf seine Verhältnismäßigkeit geprüft wird. So lange, bis die Grundrechtseinschränkungen auch aus virologischer Sicht nicht mehr notwendig sind.

Sendung: PULS am 02.05.2020 - ab 14.00 Uhr.