Bundestagswahl 2017 5 Gründe, warum in Deutschland wahlkampfmäßig (noch) tote Hose herrscht
In nicht mal sieben Wochen ist Bundestagswahl. Aber von Wahlkampf-Euphorie ist weit und breit nichts zu merken. Wie kann das sein? Wir haben nachgeforscht.
"Am 24. September ist Bundestagswahl? Shit, das hatte ich ja noch null auf dem Schirm."
"Keine Ahnung, wen ich wählen soll. Hab mich auch noch überhaupt nicht informiert."
Wem solche oder ähnliche Sprüche irgendwie bekannt vorkommen – ihr seid nicht allein. In nicht mal mehr zwei Monaten steht wieder eine der wichtigsten Wahlentscheidungen in Deutschland an, wir dürfen mit unserem Kreuz bestimmen, wer im Bundestag sitzt. Eigentlich ein Privileg. Trotzdem herrscht landauf, landab wahlkampfmäßig tote Hose, das Ringen der Parteien um die Stimmen der Wähler sucht man bisher vergeblich. Woran das liegt? Wir haben bei Experten nachgefragt.
1. Die großen Parteien werden sich immer ähnlicher
Viele Menschen fragen sich: Welchen Unterschied macht es eigentlich, ob ich jetzt SPD oder CSU wähle? Das liegt vor allem daran, dass sich die Volksparteien in den letzten Jahren immer weiter Richtung politischer Mitte orientiert haben, sagt Michael Oswald, Politikwissenschaftler an der Uni Passau:
"Die großen Parteien haben sich inhaltlich und ideologisch sehr stark angenähert. Die Schärfe in der programmatischen Trennung der Parteien ist weg. In der Mitte dieser Parteienlandschaft haben wir keine heißen oder hitzigen Gefechte mehr. Kontroverse und polarisierende Themen werden jetzt eher von der AfD und der Linken vertreten."
(Michael Oswald)
2. Angela Merkel wird doch eh wieder Bundeskanzlerin
Ein weiterer Grund für das Ausbleiben der großen Wahlkampf-Euphorie: In vielen Bäuchen grummelt das Gefühl, dass die Bundestagswahl eh schon entschieden sei, meint Prof. Christina Holtz-Bacha, Expertin für Politische Kommunikation an der Uni Erlangen-Nürnberg:
"Wenn man sich so die Berichterstattung in den Medien in den letzten Wochen anguckt, kann man ja feststellen, dass die Medien und auch die Umfragen den Eindruck vermitteln, dass die Siegerin der Wahl schon feststeht. Und das lähmt womöglich auch die Parteien selber, dass sie das Gefühl haben, sie brauchen sich gar nicht mehr so ins Zeug zu legen, es nützt doch nix."
(Prof. Christina Holtz-Bacha)
Mit anderen Worten: SPD, FDP und Co. haben die Segel schon gestrichen, weil Kapitänin Merkel sowieso schon feststeht.
3. Große Emotionen? Fehlanzeige.
Gleichzeitig schaffen es die Parteien aber auch nicht, Themen emotional zu besetzen und sie somit in Wahlkampfgold zu verwandeln. Dabei gibt es polarisierende Themen gerade eigentlich wie Sand am Meer. Dieses Unvermögen sieht man zum Beispiel ganz gut an den Grünen:
"Es wär einiges da, vom Klimawandel, dem Diesel- und Eierskandal und so weiter. Aber bei denen liegt immer noch eine leichte PR-Schwäche vor, was auch schon den letzten Wahlkampf der Grünen so ein bisschen besiegelt hat."
(Michael Oswald)
Was er meint: Vielleicht wäre es an der Zeit für eine neue Marketingagentur.
4. It’s (no) time for a change
Aber es wäre zu einfach, nur den Parteien die Schuld am drögen Wahlkampf zuzuschieben. Denn sind wir mal ehrlich: Die große Wechselstimmung hat die Wenigsten von uns gepackt. Den Meisten geht es einfach zu gut. Vor allem wirtschaftlich.
"Das Land steht gut da. Die Deutschen sind eigentlich relativ zufrieden mit dem, wie Merkel das Land führt und wie es um die Gesellschaft steht. Themen wie die Flüchtlingskrise sind nicht akut genug. Insgesamt wird Merkel bei uns und international als ‚Anführerin der freien Welt‘ wahrgenommen."
(Michael Oswald)
Warum also was an diesem Zustand ändern? Da lehnen sich die Meisten doch lieber gemütlich zurück und verzichten auf politische Experimente. Sieht man ja gerade an den USA, was dabei rauskommen kann.
5. Das Sommerloch
Und als Kirsche auf dem Sahnehäubchen des unmerklichen Wahlkampfs kommt noch die Urlaubszeit dazu. Wirklich ALLE sind in der Sommerpause: Der Bundestag, Angela Merkel. Und auch viele von uns brutzeln lieber am Strand in der Sonne, als sich Gedanken über ihre Wahlentscheidung zu machen.
"In Süddeutschland sind die Ferien zum Beispiel ja erst Mitte September zu Ende, also recht kurz vor der Wahl. Eigentlich müsste man den Wahlkampf an den Strand tragen, aber das würde der Wählerschaft auch nicht gut gefallen."
(Prof. Christina Holtz-Bacha)
Vielleicht wird es ja in den letzten Wochen vor der Wahl doch noch einmal spannend. Aber auch wenn dieser Wahlkampf nicht als der spannendste aller Zeiten in die Annalen eingehen wird, die thematischen Konfetti-Kanonen, Blut, Schweiß und Tränen ausbleiben: Vom Wählen gehen am 24. September sollten wir uns trotzdem nicht abhalten lassen.
Sendung: Filter, 11.08.2017 - ab 15 Uhr