Dokumentarfilm "GERMANIA" Was in einer schlagenden Studentenverbindung wirklich passiert
Fechtduelle, viel Alkohol und tiefe Freundschaften – geht's so wirklich bei Verbindungen ab? Regisseur Lion Bischof hat das Corps Germania für seine Doku mehrere Wochen begleitet und einen außergewöhnlich tiefen Einblick bekommen.
PULS: Schlagende Studentenverbindung sind nicht gerade bekannt dafür, dass sie Journalisten und Filmemachern gerne Zutritt gewähren. Im Gegenteil. Wie hast du es geschafft, da mit einer Kamera reinzukommen?
Lion Bischof: Es war tatsächlich sehr schwierig und hat sehr lang gedauert. Die erste Hürde ist, überhaupt eine Antwort zu bekommen. Es gibt ja verschiedene Typen von Verbindungen. Von Burschenschaften bekommt man praktisch nie eine. Die konnte ich eigentlich schon im Vorfeld abhaken. Ich habe einen sehr langen Text aufgesetzt, in dem ich meine Absicht genau erklärt habe. Den Brief habe ich dann an knapp 30 Verbindungen geschickt. Darauf kamen drei Antworten, zwei davon waren Absagen und eine Verbindung wollte mich treffen. Das war das Corps Germania München.
Was ist für dich so spannend an dem Thema?
Grundsätzlich war es gar nicht mal nur dieser Mikrokosmos "Studentenverbindung", der für mich spannend war. Eher das Interesse an einer gesellschaftlichen Tendenz, die mich beunruhigt hat. Die Tendenz Richtung Nationalismus, Regression und Nostalgie. Das erschien mir interessanter, als sich auf Pegida und AfD einzuschießen. Was bewegt junge Menschen dazu, sich in so eine Welt zu begeben und sich auch so sehr darauf einzulassen? An einer Studentenverbindung hoffte ich, das gut beobachten und erzählen zu können. Ich finde es faszinierend, wenn Leute sich einer Organisation so sehr verschreiben, dass sie sich sogar ihren Körper bei der Mensur verletzen lassen, um das in letzter Konsequenz zu leben.
Und welche Antworten hast du gefunden? Was sind das für Menschen, die sich einer Verbindung so verschreiben?
Ich glaube, es gibt Menschen, die da reingehen, weil sie dort Halt finden und Freunde oder vielleicht auch nur eine billige Wohnung. Und auch die, die vielleicht eine Ausflucht aus einer Welt suchen, die scheinbar keine Antworten mehr bietet. Generell geht es aber schon sehr stark um Zugehörigkeit zu einer Gruppe und Freundschaft wird da sehr hochgehalten. Wobei es gleichzeitig ganz starre hierarchische Strukturen und auch Befehlsketten und Bestrafungsrituale gibt, was für mich dann mit Freundschaft so gar nichts zu tun hat. Insgesamt glaube ich, die, die sich einer Studentenverbindung so verschreiben, sind auf der Suche nach etwas, das ihnen fehlt und das sie sonst nirgendwo finden.
Dein Film kommt ja ohne Kommentar und Sprechertext aus. Der Zuschauer soll sich im Idealfall die Meinung selber bilden. Aber du hattest ja sicher trotzdem eine eigene Meinung, bevor du zu Germania gegangen bist, oder?
Ich habe wenig Berührungsängste dabei, mich mit Menschen zu unterhalten, die offensichtlich sehr anders ticken als ich. Natürlich weiß man, wenn man sich in das Thema einliest, dass es Verbindungen gibt, die sich am extrem rechten Rand bewegen. Dass es auch eine gruselige Welt ist und dass es dort viel um Bestrafung und Unterdrückung und sowas geht. Das findet man auch zum Teil in unserem Film wieder. Aber ich habe wirklich versucht, vorurteilsfrei ranzugehen und das alles auf mich wirken zu lassen. Anders wäre kein Film möglich gewesen.
Und wie siehst du es jetzt, wo der Film fertig ist?
Ich habe auf jeden Fall die Hoffnung, dass der Film eine Diskussionsgrundlage ist. Aber klar mache ich mir Sorgen, dass diese Verbindungen Zulauf haben. Weil die herrschaftsbejahenden Prinzipien, die man da lernt, nicht viel mit einer modernen Gesellschaft zu tun haben.
Wie fanden denn die Germania-Mitglieder selbst den Film?
Bei der ersten Filmvorstellung auf dem DOK.fest war das Kino halbvoll mit Verbindungsleuten. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich: Einerseits haben sie schon auch über sich selbst gelacht, auf der anderen Seite entstand schon fast so ein aggressiver Rechtfertigungsdruck. Das Klima war eher angespannt. Ein älterer Herr hat gesagt, dass er den Film gut findet, weil er möglicherweise der jungen Generation auch ein bisschen den Spiegel vorhält. Er meinte, dass viele Dinge in seiner Generation und in seiner Jugend, als er aktives Mitglied war, sehr anders waren und auch weniger heftig, was den Alkoholkonsum oder bestimmte politische Ansichten betrifft.
Es vergeht ja wirklich fast keine Szene im Film, in der kein Bier im Bild ist. Wenn jemand ein Wasser trinken will, wird er erst mal ausgelacht. Oder ist das ein Vorurteil?
Nein, das Trinken gehört schon sehr stark zu dieser Kultur. In welcher extremen Form Alkohol konsumiert wird, vor allen Dingen Bier – also auf Ex und in unheimlichen Mengen – habe ich so in keiner Subkultur je erlebt. Das geht schon an körperliche Grenzen.
Welche Szenen im Film sind aus deiner Sicht am problematischsten?
Problematisch sind Szenen, wie die, in der ein Missbrauch angedeutet wird. Nach einer durchzechten Nacht in Hamburg, wo das Corps eine befreundete Verbindung besucht, springt einer auf einen schlafenden sogenannten "Fuchs" drauf, also ein jüngeres Verbindungsmitglied. Er deutet an, ihn zu vergewaltigen, macht entsprechende Gesten und zieht es in so einer Härte durch, dass auch das "Opfer" deutlich irritiert ist. Das ist dieser im Vollsuff entstehende Irrsinn, der auch zu dieser Kultur gehört. Im Publikum stößt das auf totale Irritation, weil der Typ das so durchzieht. Aber ich finde dadurch entsteht auch eine interessante Spannung für den Film.
Die Verbindungsmitglieder begrüßen oder verabschieden sich gern mal mit "Heil Germania". Da muss man erstmal schlucken, wenn man keinen Bezug dazu hat. Wie rechts ist denn die Germania für dich?
Das muss man differenzieren, es gibt verschiedene Typen von Verbindungen. Die Burschenschaften haben beispielsweise einen explizit politischen Auftrag: Das ist eine nationalistische Verbindung fürs Vaterland. Die Corps – also auch das Corps Germania, bei dem wir gedreht haben – stehen in einer anderen Traditionslinie. Die verstehen sich als unpolitische Organisation und Politik ist Privatsache der Mitglieder. Aber natürlich ist es schon so, dass ich sagen würde, dass das eine Klientel anzieht, die rechts der Mitte angesiedelt ist. Und das ist dann mehr oder weniger stark ausgeprägt. Es gibt schon Leute, die sich mit der AfD identifizieren können. Oder einer ist zum Beispiel auch FPÖ-Mitglied im EU-Parlament. Ich habe irgendwann gefragt, wie der Umgang mit Extrempositionen ist. Und sie sagen dann, die Grenzen des Sagbaren würde das Grundgesetz vorgeben. Das ist deren Argumentation.
Der Dokumentarfilm "Germania" von Lion Bischof läuft ab dem 07. März 2019 deutschlandweit im Kino.
Sendung: Filter vom 09.05.2018 – ab 15 Uhr