Interview // Neonazi-Aussteigerin "Mit diesem Hass will ich nicht mehr leben"
Weicher, netter, harmloser - die Rolle weiblicher Neonazis wird oft unterschätzt. Jetzt entflammen Diskussionen, weil Frauen Kinder als rechten Nachwuchs gewinnen sollen. Eine Aussteigerin erzählt, wie sie der Szene entkommen ist.
Annika* ist Mitte 20. Bis vor kurzem war sie in der bayerischen Neonaziszene aktiv: Sie nahm an Demonstrationen teil, ging auf Konzerte. Nun ist sie ausgestiegen. Was sie in der Szene erlebte und warum sie ausgestiegen ist, darüber spricht sie mit on3.
Wie bist du in die Szene gekommen und warum hast du sie verlassen?
Ich bin durch meine Familie in die Neonaziszene gekommen, bei uns zu Hause war das leider normal. Mit der eigenen Familienplanung wuchsen dann die Zweifel, ob ich meine Kinder auch einmal so erziehen möchte. Die darauf folgende Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Themen hat mich davon überzeugt, dass ich mit diesem Hass nicht mehr leben kann und möchte.
Wie bist du vorgegangen? Hattest du jemand, dem du dich innerhalb der Naziszene anvertrauen konntest?
Jemand aus meinem Umfeld hat mich an EXIT-Deutschland gebracht. An den Methoden von EXIT habe ich mich dann orientiert.
Welche Rolle spielt Gewalt in der Szene? Wurdest du Opfer von Gewalt vor oder nach dem Ausstieg?
Gewalt spielt in der rechten Szene eine große Rolle, Mitglieder der Szene profilieren sich intern mit ihren Gewalttaten, in den populärsten Liedern der rechtsextremen Musik geht es um Gewalt. Dass die Gewalt nicht nur besungen wird, zeigten ja auch die schrecklichen Taten der Zwickauer Terrorzelle. Besonders gegen antifaschistische Akteure und "Aussteiger" ist kaum eine Hemmschwelle zu erkennen, da ist jedes Mittel recht, um den "Feind" zu bekämpfen. Mir selbst wurde aber weder vor noch nach meinem Ausstieg Gewalt angetan, was aber hauptsächlich damit zusammenhängen dürfte, dass ich "nur" eine Frau bin...
Ist der Ausstieg für Frauen schwerer? Was unterscheidet sich vom Ausstieg von Männern?
Grundsätzlich ist wahrscheinlich für jeden der Ausstieg gleich schwer - egal ob männlich oder weiblich. Wie komplex ein Ausstieg ist, hängt eher davon ab, wie aktiv man vorher in der Szene war und in welchen Kreisen man sich dort bewegt hat. Es ist auch relevant, wie weit man sich dann schon verankert hat, zum Beispiel wenn man als Frau mit einem aktiven Neonazi verheiratet ist, oder sogar ein Kind von ihm hat. Dann kann es natürlich schon noch bedeutend schwerer werden. Generell zeigen meine Erfahrungen mir aber, dass Männer nach einem Ausstieg viel mehr Angst vor Racheaktionen in Form von körperlichen Übergriffen haben müssen als Frauen.
Kann man ganz aus der Szene aussteigen?
Ja, man kann ganz aus der rechten Szene aussteigen, man kann auch dieses menschenverachtende Gedankengut hinter sich lassen und ein "normaler" Mensch in der Gesellschaft werden, aber dieser Lebensabschnitt wird immer gegenwärtig sein, einen immer verfolgen. Ich finde, man sollte diese Erfahrungen nutzen und sich dafür einsetzen, dass anderen Menschen nicht Ähnliches passiert. Institutionen wie EXIT, die sich intensiv mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandersetzen und versuchen, junge Menschen aus der Szene wieder herauszuholen, müssen viel mehr ausgebaut werden. Genauso dürfen antifaschistische Rechercheteams meiner Meinung nach nicht gleich als "Linksextremisten" verurteilt werden, denn das trifft in vielen Fällen nicht zu. Es ist wichtig, dass sich Menschen dafür einsetzen, dass die Szene beobachtet wird und dass es Einrichtungen gibt, die sich professionell um Aussteiger, aber auch um Angehörige von Neonazis kümmern.
Wie denkst du jetzt über deine Zeit in der Nazi-Szene?
Ich schäme mich und kann mich in mich selbst nicht mehr hineinversetzen. Besonders beschämend ist, dass ich in dieser Zeit selber nie wahrgenommen habe, welchen Schaden die von mir unterstützten Parolen für andere Menschen bedeuten.
Hattest du auch Freunde außerhalb der Szene?
Ja, ich hatte Freunde außerhalb der Szene, aber das ist eigentlich nicht die Regel. Die meisten sind sozial komplett isoliert, oft haben sich nicht nur Freunde, sondern auch die gesamte Familie abgewandt. Für diese Personen ist es besonders schwierig, aus der Szene zu kommen, weil weder Druck noch Hilfe von außen da sind.
Welche Rollen nehmen Frauen in der rechten Szene ein?
Frauen sind in der Szene Männern nicht gleichgestellt. Frauen haben ihre festen Aufgaben, für die sie wichtig und unabkömmlich sind. Ich hatte immer das Gefühl, dass gerade in der NPD Frauen gerne für die Öffentlichkeitsarbeit, zum Beispiel an Infoständen benutzt werden, weil sie für den normalen Bürger vertrauenerweckender sind.
Wie denkst du jetzt politisch?
Ich finde es besonders wichtig, dass wir unsere Demokratie fördern und verteidigen. Und wir müssen aus der Vergangenheit Deutschlands lernen. Gerade wenn wir uns mit der Nazi-Zeit und der DDR befassen, können wir doch nicht so dumm sein und unser jetziges System aufs Spiel setzen und verteufeln. Politische Veränderungen sind wichtig, es ist auch wichtig, dass man sich gegen Dinge einsetzt, die in der Politik falsch laufen. Aber das alles nur auf dem Boden unseres demokratischen Rechtsstaates. Das ist eigentlich die wichtigste Erkenntnis aus meiner Zeit in der rechten Szene.
Was wünschst du dir für deine Zukunft?
Meine Wünsche sind seit meinem Ausstieg eigentlich alle in Erfüllung gegangen. Aber ich wünsche mir für uns alle, dass das öffentliche Interesse an Rechtsextremismus nicht wieder nur ein Strohfeuer aufgrund der aktuellen Ereignisse ist, sondern endlich wirklich als wichtig angesehen wird.
* Name von der Redaktion geändert.