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Ausschreitungen in Bautzen Wie aus Angst Hass wird - und aus Hass Gewalt

In Bautzen ist die Fremdenfeindlichkeit diese Woche eskaliert, es kam zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen rechten Gruppen und Flüchtlingen. Woher kommt die rechte Gewalt? Und warum entlädt sie sich ausgerechnet in Bautzen?

Von: Anne-Marie Kriegel

Stand: 16.09.2016 | Archiv

Neonazi-Aufmarsch | Bild: picture-alliance/dpa

Hass und Anfeindungen von rechtsextremen Gruppen gegenüber Flüchtlingen sind zur Zeit allgegenwärtig und seit 2015 um 44 Prozent gestiegen. Dass die Situation so eskaliert wie in Bautzen, ist zum Glück eine Ausnahme. Trotzdem fragt man sich: Wie kann es so weit kommen, dass Menschen nicht mehr vor Gewalt zurückschrecken und richtig brutal werden? Michael Müller, Soziologe an der Universität Siegen, hat uns Antworten gegeben.

PULS: Wie würden Sie als Sozialwissenschafler die Ausschreitungen in Bautzen erklären?

Michael Müller: Es ist natürlich schwierig, ein einzelnes Vorkommen im Nachhinein zu erklären, aber man kann generelle Faktoren nennen, die solche Aktionen wahrscheinlicher machen. Es ist nicht zufällig, dass das in einer Stadt passiert, die ohnehin schon eine rechte Geschichte hat. Da ist schon mal was vorgefallen, die Strukturen vor Ort werden das hergeben - hinsichtlich der Einstellungen der Bevölkerung, der Wahlergebnisse, des generellen Klimas in der Stadt. Das sind Randbedingungen, die so etwas wahrscheinlicher machen. Wenn so etwas Konkretes passiert, muss man noch die Entwicklungen berücksichtigen, die zu dieser Tat führen.

Woher kommt Ihrer Meinung nach der Hass auf Flüchtlinge?

Hass auf Flüchtlinge nennt man auch Fremdenfeindlichkeit. Und Fremdenfeindlichkeit ist aus sozialpsychologischer Sicht eine abwertende Einstellung und Vorurteile gegenüber einer Minderheit. So eine fremdenfeindliche Einstellung lässt sich zum Beispiel dadurch erklären, dass Personen versuchen, ihre eigene Identität durch eine Fremdgruppenabwertung zu erhöhen oder überhaupt erst zu konstruieren. Durch Fremdenfeindlichkeit entsteht also bei diesen Personen auf der Innenseite ein Gefühl von Identität, zum Beispiel deutscher, und auch von Anerkennung und einem Zugehörigkeitsgefühl. Dann weiß man, gegen wen man sich abgrenzen kann. Fremdenfeindlichkeit steht auch in einem politischen Kontext. Durch verstärkte Migration, also die Flüchtlingsströme, entsteht auch politisch ein anderes Klima, das zum Beispiel von Parteien instrumentalisiert wird. Das dockt dann an die eh schon latent vorhandene Fremdenfeindlichkeit an. Es kommt beides zusammen und dann im schlimmsten Fall so etwas heraus, wie wir in Bautzen gesehen haben.

Was lässt die Hemmschwelle so sinken, dass aus Gewaltbereitschaft wirklich Gewalt wird?

Es sind häufig kollektive Taten, also meistens keine Einzeltäter. Wenn etwas in Gruppen stattfindet, führt das zu der Einschätzung, dass man selber nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Es wird also unscharf, wer es genau war. Gleichzeitig sind solche Gruppen wie jetzt in Bautzen Legitimationsraum oder Legitimiationskultur für Gewalt. Wenn die einzelne Person also das Gefühl hat, für Gewalt nicht sanktioniert, sondern gegebenfalls sogar mit Anerkennung belohnt zu werden, dann nehmen solche Gewalthandlungen zu. Wenn Flüchtlinge bedroht oder Flüchtlingsheime angegriffen werden, sind das oft solche kollektive Taten. Es mischt sich persönliche Motivlage, Gruppendynamik und die Gelegenheitsstruktur vor Ort.

Wenn man hier in Bayern in der U-Bahn sitzt und so etwas in Zeitungen liest, fragt man sich schon oft: Ist das ein Ost-Problem? Man hört das nicht so oft von hier. Was sagen Sie dazu?

Nein, Rechtsextremismus ist kein alleiniges Ost-Problem. Allein schon deswegen, weil diese Anschläge und Übergriffe überall stattfinden und wir auch in ganz Deutschland rechte Einstellungen finden. Man kann das nicht nur auf den Osten schieben. Was man schon sehen kann: Es gibt eine gewisse Verdichtung rechtsextremer Straftaten. Es wäre aber zu leicht, zu sagen, dass es daran liegt, dass die Personen im Osten wohnen, nicht im Westen. Es macht viel mehr Sinn, für die Analyse konkret zu schauen: Wie sind die Strukturen vor Ort, die politischen Strukturen? Gibt es eine Zivilgesellschaft und ist diese aktiv? Mit solchen Fragen kann man konkrete Ereignisse erklären. Ein anderes Problem: Wenn man sich nur die Zahlen über rechte Straftaten anschaut und versucht zu vergleichen, fällt auf, dass unterschiedlich gezählt wird. Ein und dieselbe Straftat wird in Bremen anders gewertet als in Brandenburg. Das macht natürlich so einen Vergleich in ganz Deutschland, rein technisch gesehen, sehr schwierig.


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