Graphic Novel "Drei Steine" "Ein Bleistift ist spitzer als jedes Schwert"
Nils Oskamp war 13, als er sich gegen Nazi-Sprüche gewehrt hat. "Das hätte mich fast umgebracht" - Bäm. So steht's auf dem Cover von "Drei Steine". In der Graphic-Novel hat er seine krassen Erlebnisse zeichnerisch verarbeitet.
Es macht Gänsehaut, was Nils Oskamp da auf den ersten Seiten seiner autobiographischen Graphic Novel "Drei Steine" in düsteren Farben zeichnet: Eine Gruppe glatzköpfiger, aggressiver Kerle mit Baseballschlägern lauert ihm auf, da war er gerade mal 13. Nils' Augen sind weit aufgerissen vor Angst, er versucht sich tapfer zu wehren. Aber es sind zu viele, seine bloßen Fäuste kommen nicht gegen die Holzschläger an. Knochen brechen. Am Schluss liegt Nils alleine in einer Blutlache.
PULS: Die Rahmenhandlung deiner Zeichnungen ist, dass du die Story - eine wahre Geschichte - deinem Sohn erzählst. Der sieht auf den Bildern verdammt jung aus, für so eine brutale Geschichte. Wie hat er das aufgenommen?
Nils Oskamp: Jetzt wo das Buch draußen ist, ist Tom ja ein bisschen älter, er ist 13. Und er findet gut, was ich mache und wie ich mich früher verhalten habe. Er ist stolz drauf und will, dass ich mal eine Lesung in seiner Klasse halte. Die Szenen sind nicht erfunden: Tom hat gesehen, wie ich sie zeichne. Er hat meine Alpträume mitbekommen. Auch die Story im Epilog ist so passiert: Ich klebe meine Fotos von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem in ein Fotoalbum und er beobachtet mich dabei.
Du hast auch Originalfotos zwischen den Zeichnungen eingefügt. Ein interessantes Stilmittel für eine Graphic Novel...
Autor und Zeichner Nils Oskamp
Da war ein ganz wichtiger Grund dahinter. Die Geschichte fängt mit einer Auschwitz-Lüge an - die Neonazis aus meiner Schule leugnen den Holocaust. Im Epilog wollte ich den Gegenbeweis antreten: Das hat's wirklich gegeben. Deswegen wechsel ich da zu Realfotos. Ich war zwei Tage in Yad Vashem, um mich inspirieren zu lassen und die Fotos zu machen.
Dein Sohn ist jetzt so alt wie du warst, als du den Mund aufgemacht und dafür ordentlich eingesteckt hast. War er für dich der Anlass zu sagen: Ich muss, ich will meine Geschichte einem größeren Publikum erzählen?
Ich denke da nicht nur an meinen Sohn. Ich denke da generell an Kinder, die so 13 oder 14 sind und die rechte Gruppen in der Schule haben, die sie anwerben wollen. Und ich denke an Kids, die vielleicht grad überlegen: Geh ich in diese Richtung oder nicht? Wenn einer mein Buch liest und sich dagegen entscheidet, dann hat sich die ganze Arbeit schon gelohnt.
Du wohnst mittlerweile in Hamburg, bist aber in letzter Zeit sowohl innerlich als auch tatsächlich oft nach Dortmund-Dorstfeld zurückgekehrt, an die traumatischen Orte: die Schule, an der die Lehrer die Augen zugemacht haben, der Wald, in dem du fast tot geprügelt wurdest...
Da hat auch eine Retraumatisierung stattgefunden, bei den Recherchen vor Ort. Aber es hatte auf jeden Fall zur Folge, dass ich damit endgültig umzugehen gelernt habe. Ich bin letztens auf der Rückreise von Österreich durch Dortmund gefahren, meine Heimatstadt. Da ist mir dann SS-Siggi an der Ampel entgegen gerumpelt - ein Kopf der Dortmunder Naziszene. Er hatte zwei Lidl-Tüten in der Hand. Da hab ich gesagt: Früher wolltest du diesem Affen eine reinhauen und jetzt siehst du diesen alten Opa über die Straße schlurfen und denkst dir nur, wie lächerlich der ist in Interviews, wenn er sagt: Deutsche Arbeitsplätze für deutsche Arbeiter. Der Idiot lebt selbst seit 14 Jahren von Hartz IV.
Ich hatte beim Lesen deiner Grafic Novel oft so ein ganz beklemmendes Gefühl von Machtlosigkeit: Deine Lehrer waren blind, die Eltern ängstlich, die Polizei hat kaum ermittelt, viele Klassenkameraden waren Mitläufer...
Ja, so war das. Würden sich Lehrer heute genau so verhalten, wäre das ein Straftatbestand. Da würde ein Lehrer vor Gericht gestellt werden: Vernachlässigen von Schutzbefohlenen, unterlassene Hilfeleistung und Nötigung. Und das gleiche kann man der Polizei vorwerfen. Dass die Beamten so schlampig ermittelt haben. Als die Nazis zum Beispiel auf mein Elternhaus geschossen haben, wurde das auch nicht geahndet.
Ich musste manchmal auch echt herzlich lachen: Zum Beispiel in der Szene, als du auf dem Schulklo den Spruch "Deutschland erwache" ergänzt: "Frühstück ist fertig".
Ich denke generell, dass dieses ganze Nazipack ziemlich humorlos ist. Und dass man die am besten mit Humor und Geist besiegen kann. Ich denke auch, dass ein Bleistift wesentlich spitzer und länger ist, als jedes Schwert.
Drei Steine von Nils Oskamp erscheint Ende Juni bei Panini.