Junger Protest im Bundestag "Wenn sie unsere Ansichten nicht respektieren, dann gibt’s eben Druck"
Aktivist*innen der Bewegung YOU MOVE fordern einen Jugendrat auf Bundesebene – und das ziemlich laut: In einer Protestaktion haben sie sich in der Bundestagskuppel festgekettet und ihre Botschaften auf große Plakate geschrieben. Wir haben mit Tracy, einer der Aktivist*innen, über ihre Ziele und die ach so unpolitische Jugend gesprochen.
Rund 20 Aktivist*innen zwischen 17 und 22 Jahren stehen in regelmäßigen Abständen verteilt in der Kuppel des Bundestags. Sie haben kleine Metallkettchen hineingeschmuggelt, sind am Geländer festgekettet. Dann der Showdown: Sie befreien ihre Transparente. "Fridays For Future" und "Jugendrat mit Zukunftsveto" steht darauf. Und sie schreien etwas durch die Kuppel, das seit Wochen freitags durch die Innenstädte hallt: "Wir sind jung, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut".
Die Aktivist*innen gehören zur Bewegung YOU MOVE, viele von ihnen engagieren sich auch für "Fridays For Future" oder im Verein "Demokratische Stimme der Jugend". Sie kämpfen für einen bundesweiten Jugendrat, eine entsprechende Petition hat bereits rund 1120 Unterschriften gesammelt. Wir haben mit Tracy Osei-Tutu, einer der Aktivist*innen, über die Idee des Jugendrats, Generationengerechtigkeit und den Wut der Jugend gesprochen.
PULS: Ihr habt Transparente und kleine Metallketten in die Kuppel geschleppt, euch festgekettet und rumgeschrien – gab's eigentlich Stress?
Tracy Osei-Tutu: Wir haben uns am Anfang natürlich sehr bemüht, nicht aufzufallen. Als wir die Transparente runtergelassen haben, gab’s dann aber schon Aufruhr. Da haben sich die Besucher erstmal ziemlich gewundert, ich glaube, viele haben‘s auch gefeiert. Und die Securitys waren zuerst tatsächlich chillig. Die haben das erstmal beobachtet und es hat echt eine Weile gedauert, bis die Polizei kam – aber dann war’s kein Spaß mehr. Die sind dann zu jeder einzelnen von uns gekommen und haben uns aufgefordert zu gehen. Wenn man nicht gehen wollte, kamen sie mit großen Bolzenschneidern und haben die Ketten durchtrennt. Das war irgendwie krass. Und dann sind wir alle in einem Raum unten im Bundestag in Gewahrsam genommen worden und wurden nochmal ausgefragt.
Und gab's auch Reaktionen von Politikern?
Das war eine ziemliche Enttäuschung. Wir hatten eigentlich vor, der Politik einen Brief zu überreichen, in dem wir erklären, dass wir auf Kooperation bauen wollen. Es kam aber niemand, um diesen Brief abzuholen. Wir wurden abgewimmelt. Dabei waren einige Besucher in der Kuppel voll am Start und ein paar Kinder haben auch bei "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut" mitgesungen. Aber von der Politik kam bisher keine Reaktion.
Du hast den Brief erwähnt, den ihr übergeben wolltet. Was fordert ihr darin?
Wir wollen im Prinzip darauf aufmerksam machen, dass auch junge Menschen Teil der Demokratie sind und ein Mitbestimmungsrecht haben sollten – auch Jugendliche unter 18 Jahren! Wir wollen vor allem die Kommunikationslücke zwischen jungen Menschen und der Politik schließen. Ich meine, man sieht es ja gerade: Da müssen Schüler*innen streiken und auf die Straße gehen, damit man ihnen mal zuhört. Immer weniger Leute unter 30 gehen wählen. Wir haben nicht mehr die richtigen Beteiligungsformen, teils werden Kinder und Jugendliche überhaupt nicht am politischen Geschehen beteiligt. Wir fordern unser Grundrecht: Mitbestimmen, also wählen gehen. Und einen eigenen Rat, einen Zukunftsrat, der nur aus jungen Menschen besteht.
Und wenn die Politik uns nicht entgegenkommt wollen wir die Bundesregierung bis zum 9. September vor dem Bundesverfassungsgericht verklagen.
Ihr fordert unter anderem einen deutschen Jugendrat, darauf sollte die Radauaktion gestern auch aufmerksam machen: Wieso ist das so wichtig?
Wir brauchen ein Gremium, das unsere Position nachhaltig vertritt, weil wir eben nicht immer Radau machen und jeden Freitag auf die Straße gehen wollen. Bei der Idee des Jugendrats geht es darum, dass 14 bis 28-jährige Menschen zusammenkommen und über aktuelle Themen sprechen – und zwar aus jugendlicher Perspektive.
Und wie genau soll das aussehen?
Die Mitglieder sollen ausgelost werden - das heißt jeder Jugendliche in Deutschland soll die Chance haben, da rein zu kommen. Wichtig ist, dass die Jugendlichen dann erstmal neutral beraten werden. Anschließend geht es in die Diskussionen, es soll die Möglichkeit geben, externe Berater oder Betroffene einzuladen. Und am Ende soll der Rat eine Empfehlung an die Politik aussprechen.
Glaubt ihr nicht, dass diese Berater die Jugendlichen auch beeinflussen könnten?
Ja das ist natürlich eine Gefahr. Natürlich könnten diese Berater*innen auch Einfluss ausüben. Aber irgendwo ist es auch ein Experiment. Die Politik, wie sie jetzt funktioniert, ist ja fast schon Lobbypolitik. Bei den Jugendlichen haben wir einen entscheidenden Unterschied: Die sind nicht abhängig von dem Geld, das sie bekommen. Berufspolitiker dagegen entscheiden häufig nach wirtschaftlichen Interessen. Die Jugendlichen sind viel unvoreingenommener, die hängen noch nicht so im Hamsterrad fest, sagen wir immer.
Letztendlich soll der Jugendrat mitreden aber nicht mitendscheiden dürfen... ist das am Ende doch nur der Tropfen auf den heißen Stein?
Klar haben wir Bedenken, dass Erwachsene einfach weiter ihre Politik durchziehen. Wir wünschen uns, dass der Deutsche Jugendrat irgendwann eine unbestreitbare Stellung hat. Und natürlich werden wir auch nicht taten- und mundlos zuschauen: Wenn sie unsere Ansichten gar nicht respektieren werden, dann gibt’s eben Druck von Jugendbewegungen.
Außerdem wollen wir das sogenannte "Zukunftsveto" einführen. Da soll der Rat Entscheidungen aktiv verhindern dürfen, deren Konsequenzen nur die junge Generation ausbaden muss. Wie beim Brexit. Die junge Generation, die mehrheitlich nicht für den Austritt gestimmt hat, muss jetzt damit leben. Sowas soll verhindert werden.
Oft hört man "die jungen Leute heutzutage – die sind verwöhnt und unpolitisch". Was macht so eine Aussage mit dir?
Ich kann das ehrlich gesagt nicht mehr ernst nehmen. Letzten Freitag waren 1,5 Millionen Jugendliche auf den Straßen, um für ihre Zukunft einzustehen. Viele Erwachsene benutzen das als blöde Ausrede um sich gegen Veränderung zu wehren. "Die Jugend weiß ja noch gar nicht, wovon sie redet", sagen die. Ich bin jung und ich weiß sehr genau, was ich möchte. Ich möchte, dass alle Kinder nach mir auch noch auf dieser Erde so leben können, wie ich.
Ich glaube, gerade wachen viele auf und merken: "Oh, es geht um meine Zukunft?!". Davor haben sich viele nicht getraut, man will ja auch nicht der einzige sein, der vorangeht. Aber gerade durch so ein Gemeinschaftsgefühl entsteht dann eine Bewegung. Es braucht Vorbilder. So jemanden wie Greta Thunberg, dann kommen auch andere hinterher. Und wir brauchen langfristige Lösungen. Ich habe Angst davor, dass aus dieser Protestlust Frustration wird. Wir müssen den nächsten Schritt gehen und die Jugend auch wirklich anhören.
Wann wird der Bundestag das nächste Mal besetzt?
Wahrscheinlich werden wir da jetzt nicht mehr so schnell reinkommen. Wir in Deutschland können uns den Protest leisten, das muss man sagen. Die Strafen hier sind nicht so hoch, sodass wir weitermachen können. Nächsten Monat sind wir vermutlich wieder an einem anderen Ort und zeigen, dass die Jugend laut ist – bis etwas passiert.
Sendung: Filter vom 19.03.2019 – ab 15 Uhr