Polizeigewalt Deshalb ist Polizeigewalt für Polizist*innen ein schwieriges Thema
Die Polizei darf Gewalt anwenden, wenn es notwendig ist. Aber wer kontrolliert, wenn Schläge oder Tritte eskalieren? Ein Polizeiwissenschaftler erklärt uns, warum gerade Polizist*innen bei Gewalt ein Transparenzproblem haben.
Es passiert immer wieder, obwohl es eigentlich nie passieren darf: Polizeigewalt ist nicht erst seit der Tötung der psychisch kranken Maria in Berlin-Friedrichshain und der Silvester-Nacht in Connewitz ein Thema. Immer wieder kommt es zu Fällen, bei denen die Polizei im Zentrum der Kritik steht: Ist sie möglicherweise zu brutal vorgegangen? Hätten die Polizist*innen angemessener reagieren können? Wie schwierig die Antworten auf diese Fragen sind, klärt Sebastian Meinberg in der PULS Reportage. Unter anderem spricht er darüber mit Professor Rafael Behr, der seit Jahren zum Thema Polizeigewalt forscht. Er erklärt, wann Grenzen überschritten sind und wie sich bei der Polizei eine bessere Fehlerkultur etablieren kann.
PULS: Herr Behr, anonym wurde uns von Polizist*innen erzählt, dass sie unberechtigte Polizeigewalt selten ansprechen, weil das gegen den "Korpsgeist" verstößt und sie sonst als Nestbeschmutzer gelten. Stimmt das?
Rafael Behr: Ja, dieser Korpsgeist sorgt dafür, dass jemanden zu verraten zu den Todsünden der Polizei gehört. Der Kameradenverrat ist höher sanktioniert als das, was die Person gemacht hat. Und das hindert sehr viele Leute daran, die Wahrheit zu sagen und ihrem Gewissen zu folgen. Die Polizei ist nun mal eine Gefahrengemeinschaft. Man ist auch stolz darauf, sich zu unterstützen. Und jemand, der da ausschert, hat es ganz schwer. Viele aus der Polizei zeigen ihre Kollegen nicht an, weil sie mit unberechtigter Gewalt einverstanden sind, sondern weil sie Angst vor Ausgrenzung haben.
Was ist denn Polizeigewalt? Denn die Polizei darf ja Gewalt ausüben, das gehört quasi zwangsweise dazu.
Polizeigewalt ist der Bereich der Gewalt, der nicht mehr legal ist: zum Beispiel Gewaltexzesse, also wenn zu viel Gewalt angewendet wird. Das ist eine Form von Gewalt, die legal anfängt, dann aber in einen Bereich umschlägt, in dem es nicht mehr legitim ist. Dann sprechen wir von Polizeigewalt.
Kommt es häufig zu illegaler Polizeigewalt in Deutschland?
Tatsächlich wissen wir nicht, in wie vielen Fällen die Polizeigewalt illegitim wird und wo es noch legal ist. Man kann immer nur Stichproben machen und über Einzelfälle sagen: Also nach meiner Einschätzung ist das nicht mehr legal.
Die Polizei ist zuständig für Recht und Ordnung. Da gibt es natürlich den Anspruch, dass sie auch bei sich selber genau schauen, ob alles gesetzestreu abläuft.
Das Besondere bei der Polizei ist, dass sie viel Macht in Situationen hat, wo ihr Gegenüber sehr ohnmächtig ist. Das spielt sich ja nicht nur auf der Straße ab, sondern zum Beispiel auch in der Gewahrsamszelle. Deswegen ist die Hierarchie der Polizei auch so wichtig, damit es an jeder Stelle Menschen gibt, die nicht unmittelbar betroffen sind und mit emotionalem Ballast in eine Situation gehen – zum Beispiel ein Vorgesetzter, der sagen kann: Jetzt halt dich mal raus, wir machen das anders. Normalerweise funktioniert das auch ganz gut. Nur leider gibt es kein Kriterium, das den Normallfall von der Ausnahme unterscheidet. Es ist dasselbe Kollegium. Es sind oft dieselben Umstände, die dazu führen, dass jemand zu viel Gewalt anwendet. Und da ist es oft schwierig im Nachhinein sagen zu können, ob alles richtig gemacht worden ist.
Gibt es keine Fehlerkultur, wo Kolleg*innen einander vielleicht auch sagen: "Du, das lief falsch, das müssen wir anders machen?"
Das Problem scheint zu sein, dass es zwei Kulturen in der Polizei gibt: Es gibt die offizielle Polizeikultur, die identisch ist mit dem Gesetz, wo so getan wird, als ob Gewaltanwendung klinisch sauber stattfinden könnte. Und es gibt die Polizistenkultur. Die Polizei weiß, dass man Gewalt nur mit einem gewissen Erregungsmaß, mit einer gewissen Portion von Aggressivität anwenden kann. Da wird auch manchmal geblutet, manchmal geschwitzt, manchmal geschrien. Das sind all diese Phänomene, die in der Praxis stattfinden, die von der Theorie aber völlig ausgeklammert werden.
Wie kann man dieses Problem in den Griff kriegen oder die Lage zumindest verbessern?
Es wäre vorstellbar, dass man solche Fehler extern in einer Beschwerdestelle bespricht und dabei auch die soziale oder psychologische Situation herausarbeitet: dass sich zum Beispiel Täter und Opfer noch mal gegenübersitzen und austauschen können. Wir schlagen schon lange vor, sogenannte Polizeibeauftragte einzurichten, also eine externe Stelle, die zum Beispiel beim Landtag angesiedelt ist und nicht in der Hierarchie der Polizei steckt. Dort können sich Bevölkerung, Zivilgesellschaft und auch die Polizei hinwenden, wenn sie merken, dass sie mit ihren juristischen oder hierarchischen Mitteln nicht mehr weiterkommen.
Was würden Sie denn Polizist*innen raten, wenn sie mal in so eine Situation kommen: Wie sollen die sich verhalten?
Zum einen rate ich, sich gedanklich darauf vorzubereiten, dass man überhaupt in so eine Situation kommen kann. Außerdem rate ich ihnen ausdrücklich: Sucht euch Allianzen. Das können zum Teil ältere Kollegen aus anderen Einheiten sein. Das können auch Vorgesetzte oder Fachlehrer sein. Es ist nicht so, dass die Polizei ein verschworener Haufen von Straftätern ist. Es gibt überall diese, ich nenne sie mal reflektierten Praktiker. Und die zu finden, darauf kommt es an.
PULS am 14.02.2020. - ab 15 Uhr