Interview zum Jahrestag des Rana-Plaza-Unglücks "Den Menschen geht es eher noch schlechter"
Über 1.000 Menschen starben, als 2013 in Bangladesch ein Gebäude einstürzte, in dem vor allem Textilfirmen untergebracht waren. Viele Unternehmen wollten daraufhin etwas ändern. Ein Interview über die anhaltenden Probleme und die Frage, was wir selbst dagegen tun können.
Von: Naemi Wolf
Stand: 26.04.2019
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Sechs Jahre ist es jetzt her, dass in Bangladesch das Rana Plaza eingestürzt ist, ein achtstöckiges Gebäude, in dem mehrere Textilfirmen untergebracht waren. Über 1.100 Menschen kamen damals ums Leben, größtenteils Näherinnen. Industrie und Regierung haben damals versprochen, höhere Sicherheitsstandards umzusetzen. Nur: Was ist seitdem wirklich passiert?
Gisela Burckhardt ist Vorstandsvorsitzende des Vereins femnet und Mitglied der "Kampagne für saubere Kleidung". Das Netzwerk setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie ein. Im Interview erzählt sie, was sich seit dem Rana-Plaza-Unglück geändert hat und was wir tun können, um unser Shoppingverhalten fairer zu gestalten.
Der Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes ist jetzt sechs Jahre her, was hat sich seitdem verändert?
Gisela Burckhardt: Nach der Katastrophe wurde ein Gebäude- und Brandschutzabkommen abgeschlossen, der sogenannte ACCORD. Den haben damals 220 Unternehmen vor allem aus Europa unterzeichnet, das war damals ein großer Erfolg. Der ACCORD hätte schon früher durchgesetzt werden können, aber durch das entsetzliche Unglück waren die Unternehmen dann gezwungen, etwas zu tun. Aufgrund des Abkommens wurden dann knapp 1.600 Fabriken in Bangladesch im Hinblick auf Statik, Elektrik und Feuerschutz überprüft. Insgesamt wurden über 100.000 Maßnahmen durchgeführt und fast 90 Prozent der identifizierten Mängel wurden behoben. Das ist schon ein großer Erfolg, aber natürlich ist das noch nicht ausreichend.
Der ACCORD lief im Mai 2018 ab, gab es da eine Verlängerung?
Ja, seit Mai 2018 gibt es den Transition ACCORD – also eine Übergangsverlängerung des ursprünglichen ACCORD. Dieser läuft hoffentlich noch die nächsten zwei Jahre, bis Bangladesch selbst die Kapazitäten und ausgebildeten Ingenieure hat, um die Inspektionen selbst vorzunehmen.
Die Regierung sträubt sich aber immer noch gegen das Abkommen und will eigentlich keine weitere Verlängerung. ACCORD hat vor kurzem mit dem obersten Gerichtshof in Bangladesch telefoniert, damit hier endlich eine Entscheidung getroffen werden kann. Die Entscheidung wurde aber schon zum fünften Mal verschoben, letztendlich steht da auch wieder die Regierung dahinter. Es gibt keine wirklich unabhängigen Gerichte in Bangladesch.
Warum sträubt sich die Regierung gegen die Verlängerung der Maßnahmen?
ACCORD ist ziemlich streng und hat auch wirklich zu enormen Verbesserungen geführt. Die Regierung von Bangladesch will aber ungern von außen kontrolliert werden. Hinter der Regierung steht hier letztendlich die Wirtschaft. Ein Großteil der Fabrikbesitzer sitzt in Bangladesch im Parlament und die wollen ausländische Kontrollen aus dem Land entfernen. Der politische Wille, solche Maßnahmen durchzusetzen, ist also gar nicht wirklich da.
Wie sieht es denn bei den Arbeitsbedingungen aus, hat sich da etwas getan?
Nein, da hat sich gar nichts getan. Die Arbeiter*innen und Beschäftigten haben bisher keine besseren Arbeitsbedingungen. Massive Überstunden, Frauendiskriminierung und sehr niedrige Entlohnung sind immer noch ein riesiges Problem. Der Mindestlohn liegt nach der ersten Erhöhung immer noch unter einem existenzsichernden Lohn. Den Leuten geht es im Vergleich zu den zurückliegenden sechs Jahren eher noch schlechter.
Wie bewerten Sie den Fair-Fashion-Trend?
Der ganze faire Bereich bewegt sich immer noch im unteren einstelligen Prozentbereich. Grundsätzlich ist es toll, dass sich der faire Sektor in den letzten Jahren so gut entwickelt hat, trotzdem ist er immer noch eine Nische.
Es gibt auch Fabriken in Bangladesch, die bessere Standards haben. Man sollte auch kein Länderbashing betreiben – Kleidung aus Bangladesch ist nicht immer schlechter als Kleidung aus Europa. Auch in Rumänien oder Bulgarien sind die Arbeitsbedingungen wie in Bangladesch.
Was können wir als Konsumenten denn tun?
Als Konsument sollte man vor allem darauf achten, weniger zu kaufen. Die Produktion hat sich in den letzten Jahren verdoppelt, auf dem Markt gibt es eine so große Menge an Kleidung, die kann nie und nimmer jemand kaufen. Diese massive Überproduktion ist absurd und führt teilweise schon dazu, dass neue Kleidung verbrannt wird. Da sollte man unbedingt umdenken und einfach mal weniger kaufen oder Kleidung öfter tauschen. Wenn man dann tatsächlich was kauft, dann ist es wichtig, auf bestimmte Siegel zu achten.
Gibt es Siegel, auf die man speziell achten könnte?
Bei ökologischen Siegeln gibt es beispielsweise den GOTS (Global Organic Textile Standard), dort wird die Ware durch die gesamte Lieferkette sehr stark ökologisch geprüft. Bei den Siegeln um Arbeitsbedingungen gibt es eigentlich nur die Fair Wear Foundation. Die prüfen im Moment leider noch nicht die gesamte Lieferkette, versuchen aber, sich für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen. Außerdem gibt es das Fair-Trade-Siegel, das bezieht sich bis jetzt allerdings nur auf die Baumwolle.
Für die Zukunft wünsche ich mir einfach, dass die Unternehmen, die sich jetzt schon bemühen, fair und ökologisch zu produzieren, stärker nachgefragt werden. Allgemein wäre es toll, wenn Verbaucher*innnen bewusster und auch weniger einkaufen gehen.
Sendung: PULS am 26.04.2019 - ab 15 Uhr