Interview mit Protestforscherin Nina-Kathrin Wienkoop So geht erfolgreicher Protest
Alle demonstrieren – gefühlt zumindest. Aber bringt das eigentlich was? Oder verpufft der Protest spätestens an den Mauern des Bundestags? Und was macht eigentlich guten Protest aus? Eine Protestforscherin erklärt es uns.
Nina-Kathrin Wienkoop hat viel zu tun. Sie arbeitet am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) Berlin und forscht am Institut für Protest- und Bewegungsforschung zum Thema Protest. Und davon gibt es gerade ziemlich viel – zumindest eine fette Demo jeden Freitag. Gefühlt hat Fridays For Future schon einige Erfolge herbei demonstriert: Ein Klimakabinett wurde einberufen, die Grünen erleben ein absolutes High und generell ist das Thema Klimaschutz überall. Aber reicht das schon um von erfolgreichem Protest zu reden? Was macht eine gute Demo aus? Und wie wichtig ist es, als Demonstrant*in auch mal unangepasst zu sein? Darüber spricht Nina im Interview mit PULS.
PULS: Ab wann sprechen Wissenschaftler*innen denn eigentlich davon, dass ein Protest erfolgreich ist?
Nina-Kathrin Wienkoop: Die Messung von Protesterfolg ist tatsächlich auch innerhalb der Wissenschaft nicht so einfach und wird kontrovers diskutiert. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob politische Handlungen nur auf einen bestimmten Protest zurückgehen. Was sich leichter messen lässt, ist der erste Mobilisierungserfolg eines Protests – also die Ausweitung. Anzahl der Teilnehmer*innen, Dauer, Wiederholungen aber auch die transnationale Ausweitung, also ob sich ein Protest auf andere Länder überträgt.
Im nächsten Schritt schaut man: Kommen die Protestframes – also die Forderungen - in irgendeiner Form in die Politik? Da schaut man sich dann zum Beispiel Bundestagsreden an und überprüft, ob Politiker*innen die Protestforderungen aufgreifen. Auch die Medienberichterstattung wird überprüft, daran kann man sehr gut messen, wie sichtbar der Protest ist. Je mehr über einen Protest berichtet wird, desto eher bekommt er gesellschaftliche Aufmerksamkeit und gewinnt an Sichtbarkeit.
Und dann gibt es noch einen sehr spannenden Aspekt, das ist der Protesterfolg, der sich auf individueller Ebene zeigt. Da betrachten wir, inwiefern die Teilnahme an Protesten bei den Teilnehmer*innen selbst etwas an ihrem bürgerschaftlichen Engagement ändert. Da sprechen wir zum Beispiel von "Spill Over Effekten", dass sich die Teilnehmer*innen schließlich auch in anderen Bereichen engagieren oder generell eher bereit sind, auf die Straße zu gehen.
Also, was sich für die Demonstrant*innen ganz persönlich ändert?
Ja ganz genau. Das kann man nicht durch die Beobachtung der medialen Berichterstattung herausfinden. Das ist generell schwieriger messbar und erfordert Langzeitstudien und Biografieforschung, aber sagt viel aus.
Was ist denn mit den unterschiedlichen Protestformen – da gibt’s ja viele, von Hausbesetzung bis zur Mahnwache. Was ist da am effektivsten?
Vergleichende Studien zeigen weltweit: Protest ist dann besonders erfolgreich, wenn er verschiedene Formen annimmt. Ein Beispiel sind die 68er-Proteste. Wir haben zwar alle diese Bilder von Massendemos im Kopf. De facto gab es aber auch 68er-Riots – also disruptiveren Protest. Es gab eine ganze Protestkultur mit Symbolen und Formulierungen, die sich dann auch in der Popkultur wiedergespiegelt haben. Dieser Protest war sehr viel breiter, als nur die wiederkehrenden Massendemos - und auch deswegen sehr erfolgreich.
Du hast gerade schon zivilen Ungehorsam angesprochen. Wie wichtig ist der denn für erfolgreichen Protest?
Das kann wichtig sein, kommt aber sehr auf das Thema an. Beim Hambacher Forst war das zum Beispiel sehr wichtig, dass da auch wirklich Bäume besetzt wurden. Vorher haben andere Protestformen dort einfach nicht ausgereicht. Es kann aber auch kippen, wenn disruptiver Protest nämlich als unverhältnismäßig oder gewaltsam wahrgenommen wird.
Was ist der Unterschied zwischen gewaltsamen Protest und zivilem Ungehorsam?
Unter zivilem Ungehorsam versteht man eine angekündigte Regelüberschreitung, die als letztes Mittel gilt und die auf einem organisierten Aktionskonsens basiert. Solche Protestaktionen können eskalieren und zu Gewalt führen, tun das aber in der Regel nicht. Wie die Leute wiederum von außen einen Protest einordnen ist etwas anderes, da kann das schnell in der Außenwirkung kippen und als unverhältnismäßig oder gar als gewaltsam wahrgenommen werden. Dann wird es für den Protest schwierig, weil in der Mehrheitsgesellschaft weniger Sympathie mit den Protestierenden besteht. Klassisches Beispiel: Blockade einer Kreuzung und Menschen stehen im Stau. Dann kann es passieren, dass die nicht einsehen, warum sie hier im Stau stehen, für etwas, was nichts mit ihnen zu tun hat.
Wie wichtig ist Social Media für Protest im Jahr 2019? Unabdingbar, oder überschätzt?
Für den Protesterfolg ist Social Media tendenziell überschätzt, weil Social Media nicht automatisch dazu führt, dass Protestframes und Forderungen direkt von der Politik aufgegriffen werden. Es gibt zwar Beispiele wie #MeToo, die sehr stark online getrieben waren - aber die Frage ist, ob es ausreicht, wenn dieser Protest sich nicht auch irgendwie auf die Offlinewelt überträgt.
Wofür Social Media aber ganz wichtig ist, das wissen wir aus Protest Surveys, ist die Mobilisierung. Bei der Demonstrationsbefragung meiner Kolleg*innen von Fridays For Future hat sich zum Beispiel gezeigt, dass Whatsapp- und Facebookgruppen sehr wichtig sind, um in kürzester Zeit sehr viele Menschen zu erreichen. Auf der anderen Seite zeigt sich auch hier wieder: Es muss irgendeine Art von persönlicher Überlappung geben. Also die Kombination von Social Media als Kommunikationskanal und Bekannte und Freund*innen, die irgendwie involviert sind - das ist das erfolgreichste Mittel.
Betrachten wir doch mal Fridays For Future: Es wiederholt sich, hat viel mediale Aufmerksamkeit, viele Teilnehmer – kann man jetzt wissenschaftlich schon sagen, dass Fridays For Future erfolgreich ist?
Ich würde sagen, bei Fridays For Future ist es zu früh, um von der erfolgreichen praktischen Umsetzung der politischen Ziele zu sprechen. Das sehen wir im Moment noch nicht.
Aber: Wenn wir jetzt mal die FFF-Bewegung in Deutschland betrachten, dann sehen wir einen deutlichen Erfolg in der Mobilisierung. FFF hat es geschafft, sehr viele Schüler*innen zu mobilisieren, die vorher noch nie protestiert haben. Das ist sehr spannend. Das könnte man als ersten Erfolg sehen. Auch was die Aufmerksamkeit angeht: Auf der UN-Klimakonferenz wurde die Bewegung beispielsweise mehrfach erwähnt und auch in Deutschland hat die Regierung das Klimakabinett gegründet und bezieht sich dabei immer wieder auf FFF. Außerdem ist die Bewegung seit ihrer Gründung in den Medien. Zuletzt gelang es ihnen breite Bündnisse zum Klimastreik am 20. September zu mobilisieren. Das sind erste deutliche Erfolge.
Was die tatsächliche Umsetzung betrifft, muss man aber schauen. Die Bewegung hat konkrete Forderungen gestellt, die bis Ende 2019 erfüllt sein müssen. Das wird sich dann zeigen. Dass ganz am Ende die Forderungen eines Protests politisch und auch rechtlich umgesetzt werden, dafür braucht es dann meistens einen sehr langen Atem und Allianzen außerhalb der Bewegung. Das muss man über viele Jahre, sogar Jahrzehnte beobachten – wie bei den Anti-AKW-Demos oder bei der Frauenrechtsbewegung. Da sagen wir heute: Das waren erfolgreiche Proteste.
Wenn man die Bilder von Protesten sieht, dann sind da meistens junge, weiße Menschen mit kreativen Plakaten. Ist Protest in Deutschland zu wenig divers?
Wenn man sich die Massendemos anschaut, dann spiegelt sich genau das wieder: Meistens Angehörige der oberen Mittelschicht und häufig Menschen ohne Migrationshintergrund. FFF wäre da auch ein Beispiel. Laut einer Befragung meiner Kolleg*innen des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin sind über 90 Prozent in Deutschland geboren und nur knapp 16 Prozent geben einen Migrationshintergrund an. Es gibt aber auch Ausnahmen. Zum Beispiel die #unteilbar Demonstration, da waren sehr viele migrantische Selbstorganisationen beteiligt, die wiederum auch selbst die Initiator*innen waren.
Andererseits – und da sind auch die Medien gefragt – geht es um Sichtbarkeit. Es gab schon immer viele Proteste von Menschen mit Migrationshintergrund, zum Beispiel die NSU-Mahnwachen seitens der türkischen Community. Oder Hungerstreiks von Geflüchteten. Diese Protestformen sind in den Medien weniger sichtbar, Massendemos bekommen viel mehr Aufmerksamkeit. Und das spiegelt sich dann auch in der Umsetzung wieder, denn solche Initiativen bleiben dann auch bei der Zivilgesellschaft und der Politik unter dem Radar.
Von 2008 bis 2018 gab es allein in Berlin doppelt so viele Protestereignisse als im Jahrzehnt davor. Protest – könnte man meinen – ist wieder cool. Woran liegt das?
Generell geht man eigentlich in der Forschung davon aus, dass Protest immer dann passiert, wenn Meinungen im Parlament noch nicht abgebildet oder zu wenig gehört werden. Das heißt zunächst könnte man erstmal davon ausgehen, dass von der Politik ganz einfach zu wenige Personengruppen gehört oder eben auch in bestimmten Positionen repräsentiert werden. Das muss also nichts damit zu tun haben, dass Protest wieder in ist. Man könnte es meinen, weil viele Menschen Protestsymbole und sich selbst beim Protest auf Social Media teilen.
Aber das tun sie auch in anderen Lebensbereichen. Wissenschaftlich kann man nicht sagen, dass Protest gerade ein zeitgenössisches Phänomen junger Menschen ist. Und auch der Vergleich zu den Jahren davor ist schwierig, weil sich die Berichterstattung verändert hat. Protest ist viel mehr in den Medien, viel omnipräsenter. Wir sprechen in der Forschung von einer Art Medienbias. Man kann also auf jeden Fall sagen: Protest erreicht definitiv mehr Aufmerksamkeit als früher.
Sendung: PULS am 16.10.2019