"Wir haben klaffende Lücken im Gesetz entdeckt" Warum bayerische Studenten gegen das neue Polizeiaufgabengesetz klagen
25 Jurastudenten wehren sich! Sie haben beim bayerischen Verfassungsgericht Klage eingereicht. Im Interview spricht ein Initiator von unsauberen Formulierungen und verfassungswidrigen Passagen im neuen Gesetzesentwurf.
Gegen wenige Vorhaben der bayerischen Staatsregierung haben so viele Menschen so lautstark protestiert, wie gegen das neue Polizeiaufgabengesetz. Einige Großdemos waren schon, wie die in Nürnberg, Regensburg und Würzburg. In München ist für den 10. Mai noch eine Kundgebung angekündigt. Das aber reicht 25 Jurastudenten aus Bayern nicht.
Die Studenten der Unis Würzburg, Erlangen und München wehren sich juristisch und haben eine Klage gegen das Polizeiaufgabengesetz in den Briefkasten des bayerischen Verfassungsgerichtshofs geworfen. Tim Kraus war von Anfang an dabei. Uns hat er erzählt, was die strittigsten Punkte des neuen Gesetzes sind und warum es jeden von uns betreffen kann.
PULS: Was sind die wichtigsten Punkte, die euch am neuen Polizeiaufgabengesetz stören?
Tim Kraus: Ein Punkt ist der Präventivgewahrsam der mit dem neuen Gesetz potentiell unbegrenzt sein kann. Wenn jemand zum Beispiel auf einer Demonstration ist und einen Platzverweis erhält, weil er die Demonstration stört, dann kann er zur Durchsetzung dieses Platzverweises in Präventivgewahrsam gesteckt werden – und das nach der Gesetzesänderung theoretisch zeitlich unbegrenzt.
Das neue Gesetz sieht keine starre Frist mehr vor, dass man nach spätestens 14 Tagen entlassen wird. Jetzt kann ein Richter den Gewahrsam nach dreimonatiger Überprüfung jeweils unbegrenzt verlängern. Das trifft erstmal jeden, der auf der Straße ist und möglicherweise das Ziel einer solchen "Maßnahme" wird. Das wollten wir überprüfen, ob das wirklich verfassungskonform ist.
Bei welchen Punkten hast Du noch die Sorge, dass sie nicht mit unserer Verfassung zusammenpassen?
Ein großes Fragezeichen ist auch der neugeschaffene Begriff der "drohenden Gefahr", den soll es jetzt auf Grundlage eines Bundesverfassungsgerichtsurteils geben. Bisher haben wir in Bayern grundsätzlich nur die "abstrakte" und "konkrete" Gefahr. Kein Jurist weiß im Moment genau, was von dieser "drohenden Gefahr" umfasst sein soll. Man vermutet, dass es sich um einen Gefahrenbegriff handelt, der es der Polizei ermöglicht, auch im Vorfeld tätig zu werden und nicht erst, wenn etwas passiert ist. In meinen Augen ist das einer der entscheidendsten Punkte. Denn diese Änderung ermöglicht es, dass die Polizei mehr Befugnisse hat als vorher - vielleicht ein massiver Einschnitt in unsere Freiheitsrechte.
Das neue Polizeiaufgabengesetz wurde also nicht sauber ausgearbeitet. Wie viel Symbolpolitik steckt darin?
Symbolpolitik ist ein hartes Wort, aber man hat aber schon ein bisschen den Eindruck, dass Polizeigesetze immer dann verschärft werden, wenn Wahlen anstehen. Vermutlich weil man den Wählern vermitteln möchte, dass man mit neuer Gesetzeslage der Polizei noch mehr Mittel zur Verfügung stellt, um Gefahren im Vorfeld zu beseitigen - anstatt die Polizei besser auszurüsten oder mit mehr Personal einzudecken, was mit finanziellen Kosten verbunden ist. Deshalb ist es oft einfacher, ein Gesetz zu ändern. An der tatsächlichen Realität auf der Straße ändert sich aber vielleicht gar nichts. Da kann man sich schon fragen: Warum passiert das unmittelbar vor der bayerischen Landtagswahl?
Wieviel Hoffnung machst Du dir, dass eure Klage etwas bewirkt?
Die Frage haben wir uns auch in der Gruppe lange überlegt: Was wollen wir mit der Popularklage erreichen? Dass wir vollumfänglich siegen werden und das bayerische Polizei- und Aufgabengesetz in seiner jetzigen Form verfassungswidrig ist, damit rechnen wir nicht. Deshalb hoffen wir darauf, dass das bayerische Verfassungsgericht die Grenzen aufzeigt, die der Gesetzgeber einfach nicht gezogen hat und uns letztlich unsere Fragen beantwortet.
Das Polizeiaufgabengesetz an sich könnte grundsätzlich schon bestehen bleiben, wie es gerade ist. Der Gesetzgeber müsste nur genauer erklären, was er sich darunter vorstellt und darf es nicht den Gerichten und Einzelrichtern überlassen es mit Leben zu füllen. Nur wenn man weiß, was der Gesetzgeber bezweckt hat, kann man sagen, ob es verfassungsgemäß ist oder nicht. Da haben wir klaffende Lücken im Gesetz entdeckt. Mit unserer Popularklage wollen wir vom bayerischen Verfassungsgerichtshof - also genau von diesen Richtern - eine Antwort erhalten.
Sendung: Filter vom 03. Mai 2018 ab 15 Uhr