Konzert gegen Rassismus #wirsindmehr in Chemnitz
Geschätzt 65.000 Leute sind der Einladung Kraftklubs und Co. nach Chemnitz gefolgt. Und haben beim #wirsindmehr Konzert gegen Hass und Rassismus demonstriert. Unsere Reporterin war dabei und findet: Das Signal kam an.
"Es geht darum, andere Bilder zu senden" - das hat Marteria auf der großen Pressekonferenz zum #wirsindmehr Konzert in Chemnitz gesagt. Und schon fünf Minuten nach meiner Ankunft in Chemnitz ist klar: Der Plan geht auf.
Wir alle haben die Bilder gesehen, wie Tage zuvor hier Rechtsextreme aufmarschiert sind, "Ausländer raus" gebrüllt und den Hitlergruß gezeigt haben. Jetzt sind hier Zehntausende auf der Straße, alte, junge, weiblich, männlich, aus Chemnitz und von weiter her. Sie haben Regenbogenfahnen dabei oder Schilder auf denen Botschaften stehen wie "Hass macht hässlich" oder "Kein Platz für Nazis".
Festival - ohne Festivalstimmung
20.000 Besuchern haben die Veranstalter sich vorab zusammenorakelt - tatsächlich kommen stolze 65.000. Und lassen die Chemnitzer Innenstadt auf einmal nach Festival ausschauen: Auf allen erhöhten Aussichtspunkten hocken Leute, um einen Blick auf die Bühne zu bekommen, in Baumkronen, auf Dixiklos und Bushaltestellen.
Und trotzdem fühlt sich #wirsindmehr in Chemnitz nicht so richtig wie ein Festival an. Zum einen natürlich weil alle Bands ihre Sendezeit auf der Bühne nutzen, um sich gegen Rassismus zu stellen - zum anderen aber auch, weil das Publikum merklich ruhiger, nachdenklicher und nüchterner wirkt als sonst auf Festivals. Wenn also wirklich jemand von den 65.000 nur hier ist, weil es Umsonst-Konzerte gibt und sich Null für Politik interessiert, dann lässt er oder sie es sich nicht anmerken.
Weibliche oder queere Künstler fehlten
Die größte Überraschung auf der Bühne sichern sich übrigens die rüstigen Düsseldorfer von den Toten Hosen und covern den besten Anti-Rechts-Song des deutschen Pops, nämlich "Schrei nach Liebe" von Die Ärzte. Denn dafür bitten Campino und Co. zwei Spezialgäste auf die Bühne: Arnim von den Beatsteaks und, das ist die größere Sensation, Ärzte Gitarrist Rod Gonzalez.
Es wurde auch nicht nur über Fremdenhass geredet auf der Bühne, sondern auch über Homophobie und darüber wie scheiße Diskriminierung generell ist. Da wäre vielleicht noch der ein oder andere Auftritt von weiblichen und/oder queeren Künstlern cool gewesen. Und bevor der Einwand kommt: Ja, ich weiß, dass Nura von SXTN für einen Song auf der Bühne war. Aber halt nur für einen Song.
Schwer bewaffnete Polizisten am Tatort
Als die Konzerte vorbei sind und ich mich auf den Heimweg mache, komm ich an dem Ort vorbei, wo der 35-jährige Daniel H. vor zehn Tagen niedergestochen wurde. Am Gedenkort stehen sehr viele schwer bewaffnete Polizisten, die die Konzertbesucher nicht zum Tatort durchlassen. Da sind Blumen, Kerzen und Menschen, die mit dem #wirsindmehr Konzert wohl nichts zu tun haben wollen. Nicht mal eine Stunde später twittert die Polizei, dass es dort Ärger gibt und sie noch mehr Einsatzkräfte hinschickt.
Mir fällt ein rechtes Meme ein, das ich einen Tag vorher gesehen habe. Da wurde die Ankündigung für das Chemnitzer Soli-Konzert umgetauft und plötzlich war das Motto nicht mehr #wirsindmehr sondern #tanzaufdemgrab. Als ob sich Kraftklub hier mit ihren musikalischen Buddies Trettmann, K.I.Z. und allen anderen verabredet hätten, um den Tod von Daniel H. zu feiern. Das ist so verdreht, dass man schon Beatrix von Storch sein muss, um so einer Argumentation zu folgen.
Sendung: Filter vom 04.09.2018 - ab 15 Uhr