Gehirnerschütterung Im Jugend- und Breitensport oft verharmlost
Gerade jetzt, wenn der Freizeitsport wieder losgeht, fordern Experten und Ärzte mehr Bewusstsein für die Gefahr von Gehirnerschütterungen. Die Verletzung werde vor allem bei Kindern und Jugendlichen oft verharmlost.
90.000 Fälle bei Kindern und Jugendlichen pro Jahr gebe es in Deutschland offiziell, die Dunkelziffer sei hoch. Insgesamt erleiden schätzungsweise 500.000 Menschen im Jahr eine Gehirnerschütterung. Weil der Bedarf offensichtlich groß ist, wurde in München inzwischen eine "Concussion Clinic" eingerichtet, also eine auf Gehirnerschütterungen spezialisierte Einrichtung am Haunerschen Kinderspital. Dort werden Betroffene Kinder und Jugendliche behandelt, die mit längerfristigen Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Konzentrations-Störungen zu kämpfen haben.
Sohn verletzt - eine Mutter klagt an
Fälle wie Philip S., der mit acht Jahren beim Eishockey eine Kopfverletzung erlitt, nachdem er mit einem anderen Spieler Kopf an Kopf zusammenstieß. "Sein Gleichgewichtsgefühl war gestört, der ist spontan vom Küchenstuhl runtergefallen, Gedächtnisstörungen, er wusste nicht mehr, wer seine engsten Freunde waren", erzählt seine Mutter Monica S.. In einer Monate langen Odyssee seien sie von Arzt zu Arzt, von Krankenhaus zu Krankenhaus gerannt, ohne Erfolg.
"Da muss ein bisschen mehr Bewusstsein da sein, dass es Spätfolgen haben kann, und dass man nicht der Held sein muss, und stark sein muss und aufstehen und weitermachen."
- Monica S., betroffene Mutter
Neue Klinik für Kopfverletzungen
Medizinerin Michaela Bonfert von der "Concussion Clinic" in München kennt solche Geschichten. "Tatsächlich sehen wir es sehr häufig, Jugendliche, die schon längerfristig Probleme haben. Nicht nur was die Beschwerden angeht, sondern was frühere Arztbesuche angeht, verbunden dann auch mit Diagnostik, die aber nie weitergeführt hat." Schon jetzt meldeten sich bis zu vier Betroffene pro Woche mit längerfristigen Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Konzentrations-Störungen. Darunter viele Fälle aus dem Sport: Eishockey, Handball, Basketball, Reiten, Turnen, Fußball. Das Bewusstein für die Verletzung sei in den Sportvereinen zum Teil noch nicht wirklich da. Ein Hauptproblem: Es gibt keine verpflichtenden Regeln zum richtigen Umgang mit Gehirnerschütterungen im Nachwuchsbereich.
"Und da wäre es natürlich sehr wünschenswert, wenn wir da noch einen großen weiteren Schritt machen, auch diese Vereine, Schulen abzuholen."
- Michaela Bonfert, Medizinerin
Probleme in Schulen
Denn auch in den Schulen würden Gehirnerschütterungen oft nicht erkannt und verschleppt. Die Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrer-Verbandes Simone Fleischmann fordert deshalb zur Unterstützung sogenannte Schulgesundheitsfachkräfte. In Brandenburg läuft ein Modellversuch mit solchen Schulkrankenschwestern, die helfen, Unfälle vorzubeugen. Die Bilanz bisher: ein Rückgang der Gehirnerschütterungen um circa 45 Prozent.
Verbände wiegeln ab
Die Gefahr wird zwar vielerorts erkannt, aber zu wenig ernst genommen. Bei akuten Kopfverletzungen sei besondere Vorsicht geboten, schreibt der Deutsche Fußball-Bund. Eine spezielle Ausbildung, Ausrüstung und Anleitung der Jugendtrainer- und Betreuer – gibt es allerdings nicht. Zur Begründung heißt es:
"Hier ist zu berücksichtigen, dass viele Ausbildungsinhalte untergebracht werden müssen und die Gehirnerschütterung glücklicherweise nicht zu den häufigen Problemen zählt."
- Stellungnahme DFB
Zum Arzt gehen
Die meisten Kinder erholen sich relativ schnell innerhalb ein paar Tagen, sagt Michaela Bonfert, aber immerhin bis zu zehn Prozent brauchen bis zu drei Monaten, um sich wieder vollständig zu erholen. Bis zu fünf Prozent können sogar noch ein Jahr oder länger Beschwerden haben. Wenn sich ein Kind nach einer Kopfverletzung nicht mehr normal verhält, sollten die Eltern zum Arzt gehen.
Haben Sie Erfahrungen mit dem Thema "Gehirnerschütterungen" gemacht? Schreiben Sie uns gerne!