Was ein "Clean Girl" eigentlich ist und welche Hautpflegeartikel sich für diesen Look empfehlen, darüber informieren zahlreiche Videos auf Youtube. Make-up ist für diese Ästhetik kaum erforderlich, vielmehr hochwertige Feuchtigkeitscremes, gesunde Ernährung, etwas Yoga und ein "Kleiderschrank mit beigen und minimalistischen Klamotten", wie einschlägigen Texten über den jetzt schon ein paar Jahre anhaltenden "TikTok-Trend" zu entnehmen ist: "Sie haben keine Pickel."
Abgrenzung von "Y2K"-Mode
Das ist also das genaue Gegenteil vom "Heroin Chic" der neunziger Jahre, als auf den Laufstegen Blässe, Androgynität und schwarze Augenringe angesagt waren. Auch ganz was anderes als die farbenfrohe Punk-Optik von Vivienne Westwood (1941 - 2022) und der überladene, grelle Style der Mode-Maximalisten Thierry Mugler und Jean-Paul Gaultier. Vor allem aber grenzen sich "Clean Girls" von der "Y2K-Mode" ab, also den Looks der Nuller- und Zehner-Jahre, die zwar bequem, aber auch "futuristisch oder nostalgisch" gewesen seien, während jetzt edle, zeitlose Lässigkeit angesagt sei.
Womöglich scheut der Zeitgeist seit der Corona-Pandemie opulente, aufwändige Statements, schließlich setzten sich im Home-Office endgültig die Jogginghosen durch, die Karl Lagerfeld bekanntlich verabscheute.
"Man liebt das Bad, aber nicht Parfüms"
Frauenzeitschriften geben mittlerweile Tipps für Parfüms, die nach "frisch gewaschener Wäsche duften", die Sehnsucht nach Reinheit in jeder Form scheint also nach den erzwungenen Erfahrungen mit Desinfektionsmitteln und Masken besonders groß geworden zu sein. Der französische Star-Parfümeur Serge Lutens attestierte den nördlichen Ländern allerdings schon vor zehn Jahren einen besonderen Hang zur Sauberkeit und eine Abneigung gegen süßliche, orientalische Duftnoten: "Man liebt das Wasser, das Bad, aber nicht Parfüms."
Clean Girls geben sich feministisch und zeigen sich begeistert, dass Frauen sich nicht mehr "hinter schichtweise Make-up verstecken" müssten, schränken jedoch ein: "Aber gleichzeitig hat einfach nicht jede Frau feine, ebenmäßige Haut, die quasi keine Unreinheiten zum Abdecken hat. Der Look ist also nur bedingt für jede was."
"Basic und monoton"
Dieser Ansicht ist offenbar auch Influencerin, Popkultur-Preisträgerin und Netzvideo-Macherin Kayla Shyx, die mit dem umstrittenen YouTube-Video "Was wirklich bei Rammstein Afterpartys passiert" Schlagzeilen machte. Jetzt sorgte die Künstlerin mit einem TikTok-Video für Aufsehen, in dem sie darstellte, "Wie Clean Girls unser Leben zerstören". Überprüfen lässt sich ihre Argumentation aktuell nicht, das Video ging nach kurzer Zeit offline.
Nebenbei soll Shyx die Musik von Superstar Taylor Swift Medienberichten zufolge als Inbegriff der "Clean-Girl-Ästhetik" und "langweilig" bezeichnet haben. Frauen werde signalisiert, sie sollten "basic und monoton" sein, statt "aus der Masse herauszustechen".
"Keine Möglichkeit auf Individualität"
Deutliche Kritik war die Folge: ("noch nie gehört, dass Clean Girl sein bedeutet, dass man Taylor Swift hören muss"), auch wenn der Begriff "Shitstorm" in diesem Zusammenhang wohl zu hoch gegriffen wäre. Das Video sei "super ungünstig und vielleicht auch unbedacht" gewesen, meinte zum Beispiel eine Kommentatorin auf X (vormals Twitter): "Ich finde Individualität super wichtig, man sollte aber die Punkte bedenken, dass es vielen einfach gefällt, sich so anzuziehen und das ist komplett legitim; dass es für viele günstiger ist, die Outfits clean zu kombinieren, und zuletzt viele durch ihren Job keine Möglichkeit auf Individualität haben."
Manche trösteten sich damit, das sei halt einfach Kayla Shyx' Humor. Andere beteuerten, es habe ihnen "so krass geholfen", ein Clean Girl zu werden. Ihr Anliegen sei doch hauptsächlich, sich mehr um sich selbst zu kümmern und "saubere" Gewohnheiten einzuhalten: "Wie kann man sich eine halbe Stunde über Clean Girls aufregen?"
"Kleidung auf einer Yacht oder beim Polo"
Der Streit um Clean Girls ist keineswegs neu: Schon seit Ende der Corona-Pandemie 2022 beschäftigen sich damit Beauty-Experten und sogar Doktoranden. "Von Kopf bis Fuß erfordert die Clean-Girl-Ästhetik, dass Sie in Bestform sind, ohne den Eindruck zu erwecken, als hätten Sie viel Zeit damit verbracht, dorthin zu gelangen", so Fashion-Kolumnistin Ariane Resnick. Ein "Gefühl der Leichtigkeit" sei entscheidend: "Der Look ist adrett, aber nicht spießig; stilvoll, aber dezent; und gleichzeitig modern und klassisch."
Kritikerinnen wie Averyl Gaylor von der La Trobe University im australischen Melbourne halten dagegen den "frischen Duft und einen gut organisierten und stressfreien Lebensstil" für problematisch. Der Trend fördere altmodisches Elite-Denken und sei kennzeichnend für die arrivierte Oberschicht, symbolisiert durch Rollenvorbilder wie den Models Bella Hadid, Sofia Richie Grainge und Hailey Bieber: "Die Ästhetik des alten Geldes basiert auf Vorstellungen von einem 'stillen Luxus', auch 'Stealth-Reichtum' genannt, bei dem das Tragen auffälliger oder übermäßig markenauffälliger Sportmode als gesellschaftlicher Fauxpas gilt. Bevorzugt werden Stoffe aus Naturfasern oder gut verarbeitete und funktionelle Kleidung. Solche Kleidung kann auf einer Yacht, in einem Country Club oder beim Polo getragen werden."
Averyl Gaylor schreibt, wer ein Clean Girl sein wolle, benötige Zeit und Geld, sodass alle, die sich damit nicht "einkaufen" könnten, ausgeschlossen würden. Ein "perfekt geschnittener Blazer" sei ebenso wichtig wie eine "Peptid-Lippenbehandlung". Im Grunde sei die Ästhetik eine "moderne Reflexion der historischen Beziehung zwischen Hygiene, Rasse und Klasse", wobei das englische Wort "race" mit dem veralteten deutschen Begriff "Rasse" nicht gleichzusetzen ist.
Antonia Brooks von der University of Southern California verwies ebenfalls auf die "nicht so sauberen Untertöne" des Phänomens Clean Girl und vermutete einen Fall von kultureller Aneignung: "Das bedeutet nicht, dass Menschen einen bestimmten Kleidungsstil wegen seiner negativen Auswirkungen nicht tragen sollten. Letztlich ist Mode eine ausdrucksstarke Wahl und das sollte niemandem vorenthalten werden. Das Fazit lautet: Wenn Sie Ihrer bevorzugten weißen Influencerin dabei zusehen, wie sie einen Slick-Back (Haargel-Frisuren, die nach hinten gekämmt sind) oder eine Low-Rise-Jeans trägt, halten Sie sie nicht für revolutionär, denn es gibt eine lange Reihe farbiger Frauen, die den Trend überhaupt erst ins Leben gerufen haben."
"Natürlich nur, wenn sie weiß und dünn sind"
Kritikerin Anushka Jois meinte bereits im November 2022, dass der Trend ursprünglich zwar die "natürliche Schönheit" von Frauen unterstreichen sollte, sich jedoch "rassistische Untertöne" eingeschlichen hätten, sowie "falsche Schönheitsversprechungen". Letztlich sei die Ästhetik "eurozentrisch" und verbreite unrealistische Erwartungen. Wichtig seien demnach kurz geschorene Haare, damit "starke Frauen" furchtlos ihr Gesicht präsentierten: "Das gilt natürlich nur, wenn Sie weiß, wohlhabend und dünn sind, makellose Haut, hohe Wangenknochen, eine kleine Nase und dünnes glattes Haar haben. Wenn diese Beschreibung nicht auf Sie zutrifft, werden Sie Schwierigkeiten haben, einen Platz für sich in der Community der Clean Girls zu finden."
Andere Beobachter verweisen darauf, dass die Kritik zwar berechtigt sei, der Clean Girl-Trend mit "zurückgekämmten Haaren, Goldschmuck und samtiger Haut" aber ursprünglich aus der schwarzen und lateinamerikanischen Community komme. "Bei der Ästhetik geht es darum, es sich in Ihrem Körper bequem einzurichten, was auch bedeuten sollte, andere Frauen dabei zu unterstützen, ähnlich unbeschwert zu leben. Diese Ästhetik sollte nicht verengend sein, und da sie immer mehr Anklang findet, ist die gleichzeitige Unterstützung schwarzer und farbiger Gemeinschaften ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung", wie es eine kanadische Studentin ausdrückte.
"Sauber bedeutet unbefleckt"
Bloggerin Whitney Alese schreibt, der Clean Girl-Trend sei "Teil eines größeren Problems": "Wenn die Verwendung von minimalistischem Make-up Sie 'sauber' macht, ist die naheliegende Schlussfolgerung, dass Sie schmutzig sind. Die nächste Schlussfolgerung ist, dass Sie auch 'schmutzig' sind, wenn Sie Akne, Hyperpigmentierung oder eine andere Hautstruktur haben." Die Verbindung von "Reinlichkeit und Weiblichkeit" gehe auf das viktorianische Zeitalter, also das 19. Jahrhundert zurück: "Sauber bedeutet rein, unbefleckt, unbesudelt." Der damit verbundene "Look" habe etwas Exklusives, das viele Menschen ausschließe.
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