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Maria Theresia Paradis Komponistin und erfinderische Musikpädagogin

Wie die Menschen zu Mozarts Zeit gelebt haben, darüber wissen wir eine ganze Menge. Welche Kleidung die Leute getragen haben oder was man gegessen hat, ist bekannt. Auch Informationen über Komponisten haben sich über die Jahrhunderte erhalten. Wie es aber konkret den Frauen ging, da tappt die Forschung oft noch im Dunkeln. Damals war es nicht üblich, dass Frauen studieren oder einen Beruf ausüben. Meistens blieben sie im Schatten der Männer. Einige wenige Musikerinnen hatten Glück und wurden zu gefeierten Berühmtheiten: wie die blinde Pianistin und Komponistin Maria Theresia Paradis.

Von: Carmen Fiedler

Stand: 08.03.2023 | Archiv

Maria Theresia Paradis: Erfinderische Pianistin und Komponistin

Ihre Geschichte nimmt eine besondere Wendung, da kann die zweijährige Maria Theresia gerade mal laufen und sprechen. Sie hat obendrein ein gutes Gehör, ist sehr musikalisch und hat ein Talent fürs Klavierspielen. Aber eines kann das Mächen bald nicht mehr: sehen. Warum Maria Theresia in so jungen Jahren erblindet, ist unklar. Doch was die Augen nicht mehr schaffen, übernehmen ab sofort ihre Ohren und ihr schlauer Kopf! Die Eltern erkennen Maria Theresias Talent und sorgen dafür, dass sie unterrichtet wird. Nicht nur ihre Lehrkräfte staunen, wie gut sie hört und die Töne auf dem Instrument umsetzt! Denn die Noten kann sie ja nicht lesen. Aber das Mädchen hat ein erstaunliches Gedächtnis und kann sich Musikstücke richtig gut merken.

Ein Glückskind trotz Einschränkungen

Maria Theresia spielt bald so gut Klavier und andere Tasteninstrumente wie Spinett, Fortepiano und Orgel, dass irgendwann sogar die Kaiserin Maria Theresia von Österreich auf sie aufmerksam wird. Die Kaiserin ist so beeindruckt von ihren Fähigkeiten, dass sie beschließt, einen Großteil ihrer musikalischen Ausbildung zu bezahlen. Ein großes Glück und eine unglaubliche Chance, die nur wenige Frauen in der damaligen Zeit haben. Maria Theresia Paradis bekommt zudem Unterricht in Gesang und Musiktheorie. Wenn man bedenkt, dass sie blind war, ist es umso erstaunlicher, welche Wertschätzung sie als Pianistin im Laufe ihres Lebens erfährt. Im 18. Jahrhundert war Blindsein nämlich für viele Menschen gleichbedeutend mit einer verminderten Intelligenz. Niemand traute den Betroffenen zu, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen oder etwa künstlerisch kreativ sein könnten. Und Hilfen für den Alltag wie heutzutage ein sprachgesteuertes Mobiltelefon oder Blindenstock, Blindenhund oder Blindenschrift gab es damals noch nicht.

Lebensdaten

Maria Theresia Paradis wurde trotz ihrer bürgerlichen Herkunft oft wie eine Adelige "von Paradis" genannt. Geboren wurde sie am 15. Mai 1759 in Wien. Dort starb sie auch im Alter von 64 Jahren am 1. Februar 1824.

Wie dann der Musikunterricht für eine Blinde abläuft? Maria Theresia Paradis berichtet selbst davon: "Man spielt mir die Stücke vor und ich versuche es gleich nachzuspielen. (…) Mein Gehör ist ziemlich richtig. Ich kann mich auf selbiges mehr verlassen, als auf die Tactierung mit der Hand. (…) Mein Gedächtnis ist dabei die einzige Hilfe, um die mancherlei Stücke nicht zu verwirren."

Europäische Berühmtheit

Wie Wolfgang Amadeus Mozart und seine Schwester bekommt auch Maria Theresia Paradis die Möglichkeit, als Konzertpianistin durch Europa zu touren. Sie spielt an beinahe allen Königshöfen. Drei Jahre dauert die Reise insgesamt. Unter anderen trifft sie das französische Königspaar Ludwig XVI. und Marie-Antoinette. Sie lernt die Komponisten Antonio Salieri und Carl Philipp Emanuel Bach kennen, den Dichter Friedrich Gottlieb Kloppstock und Familie Mozart. Wolfgang Amadeus Mozart soll ihr sogar ein Klavierkonzert komponiert haben. In jedem Fall sorgen Maria Theresias Auftritte europaweit für Begeisterung. Ein Kritiker schreibt: "Wie sehr mich die Gewandtheit, der zaubervolle Ausdruck ihres Vortrages entzückte, darf ich Ihnen nicht erst sagen. Es ward mir, wie wenn ich das Instrument hier in meinem Leben zum ersten Mal hörte."

Erfinderische Komponistin

In der von Louis Braille erfundenen Blindenschrift mit den erhabenen Punkten können heute auch Noten geschrieben und ertastet werden.

Maria Theresia Paradis spielt aber nicht nur hervorragend Klavier. Sie komponiert auch. Aufschreiben kann sie die Noten, die ihr in den Sinn kommen, nicht. Doch ein Freund baut ihr einen Notensetzkasten, mit dem sie Noten ertasten kann. "Sie hat kleine Karten, auf welche ausgeschnittene Noten in ihrer wahren Gestalt aufgeklebt sind. Zum Beispiel eine Ganze, eine Halbe, Viertel, Achtel (...) andere, auf welchen sich b, # und ♮ befinden; andere mit den Pausen, den fünf Linien, dem Violin-, und Bass- Schlüssel." Einen ähnlichen Setzkasten hat Paradis auch mit Buchstaben, mit denen sie Briefe schreiben kann. Es ist quasi eine Vorform der Blindenschreibmaschine, die später zu der von Louis Braille entwickelten und bis heute verwendeten Blindenschrift führen wird.

Wegbereiterin der Blindenbildung

Zurück in Wien beginnt Maria Theresia Paradis zu unterrichten. In ihrer Wohnung richtet sie eine eigene Klavierschule ein für blinde und sehende junge Frauen. Sie ist sehr erfinderisch und entwickelt immer neue Hilfsmittel und Methoden, um vor allem den blinden Schülerinnen das Erlernen des Klavierspiels leichter zu machen. Dabei kommt auch wieder der Notensetzkasten zum Einsatz. Bis zum Schluss engagiert sich Maria Paradis als Lehrerin und organisiert regelmäßig Hauskonzerte. Bei ihren Schülerinnen ist sie sehr beliebt, was bei ihrem Tod sogar in der Zeitung erwähnt wird: "Heute (am 1. Februar 1824) starb im 64. Lebensjahre die berühmte blinde Virtuosin, Fräulein Therese Paradis; sie hinterläßt viele, um ihren Verlust innig trauernde Schülerinnen, in deren dankbaren Herzen ihr teures Andenken noch lange fortleben wird."


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