Alles Geschichte - Der History-Podcast

LEBEN VOR JAHRTAUSENDEN - Auf der Suche nach Rohstoffen

Schon vor tausenden von Jahren haben sich Menschen Rohstoffe zunutze gemacht. Wie konnte es ihnen gelingen, unter Tage nach Kupfer, Feuerstein oder Braunkohle zu graben? Und welche Rolle spielten Rohstoffe in ihrem Leben? Von Katharina Hübel (BR 2022)

LEBEN VOR JAHRTAUSENDEN - Auf der Suche nach Rohstoffen | Bild: picture-alliance/ dpa/dpaweb | -
23 Min. | 28.3.2025

VON: Katharina Hübel

Ausstrahlung am 28.3.2025

SHOWNOTES

Credits
Autorin: Katharina Hübel
Regie: Susi Weichselbaumer
Es sprachen: Berenike Beschle
Technik: Wolfgang Lösch
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Prof. Michael Rind, Prof. Thomas Stöllner, Prof. Philipp Stockhammer

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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

MUSIK

SPRECHERIN:

Es ist ein über 3.000 Jahre alter Zahn, der Professor Philipp Stockhammers Blick auf das Leben der Menschen in der Bronzezeit verändert hat:

01 / OT Stockhammer
Ich habe mir das nicht vorstellen können.

SPRECHERIN:

Philipp Stockhammer ist Archäologe und wollte eigentlich nur wissen, was die Menschen vor tausenden von Jahren gegessen haben. Stattdessen ist er auf einen für ihn völlig neuen Forschungszweig gestoßen.

MUSIK

SPRECHERIN:
In dem bronzezeitlichen Zahn hat das Team von Professor Stockhammer etwas gefunden, mit dem keiner gerechnet hatte: Reste von Braunkohle.

02 / OT Stockhammer
Wir hatten damals eine ganz neue Methode zur Verfügung, um aus menschlichem Zahnstein Nahrungsreste zu isolieren.

SPRECHERIN:

Zahnstein. Mineralisierter Zahnbelag. Die harten Verfärbungen am Zahn, die heutzutage der Zahnarzt entfernt. Archäologen können sie genauso abkratzen – von Zähnen, die zu ihren Funden gehören. Zum Beispiel von Menschen, die einst in der Bronzezeit gelebt haben.

03 / OT Stockhammer
Ich dachte, wie cool ist das denn? Ich kann sehen, was Menschen vor 4000 Jahren gegessen haben, indem ich Zahnstein rausnehme.

SPRECHERIN:
In den Ablagerungen sind nämlich chemische Signaturen von den Speisen eingeschlossen, die die Menschen damals zu sich genommen haben. Der Zahnstein ist wie ein Tresor für die Forscher.

04 / OT Stockhammer
Und dann kam heraus, dass im Zahnstein noch viel mehr drinsteckt als nur, was die Menschen gegessen haben, nämlich auch, was sie so alles sonst noch eingeatmet haben.

MUSIK

SPRECHERIN:

Vor allem, wenn sie über lange Zeit am Feuer gesessen oder gearbeitet haben. Spuren von Holzkohle, sogar verschiedene Baumarten kann man chemisch identifizieren, Tier-Dung, der verfeuert wurde.
Aber mit einem hatte Philipp Stockhammer nicht gerechnet: In dem über 3.000 Jahre alten Zahnstein, den er untersucht hat, war eindeutig die chemische Signatur von Braunkohle zu finden. Genauer: von den Verbrennungsprodukten der Braunkohle.

05 / OT Stockhammer
Und ich dachte mir so: Wie? Braunkohle? Griechenland, zweites Jahrtausend vor Christus – Braunkohle? Häh?

SPRECHERIN:

Die Menschen aus der Bronzezeit, deren Zähne Philipp Stockhammer untersucht hat, müssen sich regelmäßig in der Nähe eines Feuers aufgehalten haben, das mit Braunkohle befeuert wurde – ein überraschender Befund. Bis vor Kurzem noch, bis ins Jahr 2021, nahmen Archäologen nämlich an, dass die Menschen erst rund 1.000 Jahre später die Braunkohle als Rohstoff entdeckt haben.

06 / OT Stockhammer
Blöd! Die Forschung ist jetzt hundert Jahre davon ausgegangen, dass es so war, nicht anders… (…) Wie erkläre ich jetzt die Vergangenheit neu?

MUSIK

SPRECHERIN:

Der Bergbau ist eine sehr alte Kulturtechnik. Die zurückreicht in Zeiten, zu denen noch der Neandertaler existiert hat und die Menschen noch nicht sesshaft waren.

07/OT Stöllner
Die frühe Rohstoffgewinnung, die Aneignung von mineralischen Ressourcen, beginnt eigentlich vor Ackerbau und Viehzucht. (…) In Südafrika haben wir Beispiele, die etwa 40- bis 60.000 Jahre vor heute zurückreichen.

SPRECHERIN:

Dort wurde beispielsweise roter Farbstoff abgebaut, in Form von Pigmenten, erzählt der Montan-Archäologe Professor Thomas Stöllner von der Ruhr-Universität Bochum. Er leitet das Deutsche Bergbau-Museum:

08/OT Stöllner
Es zeigt Ihnen, dass die Aneignung der Erde und damit eigentlich Bergbau zu einer Urproduktion des Menschen gehört. Das, finde ich, ist vielleicht nicht jedermann bewusst, ist aber ein ganz wesentlicher, sozusagen kultureller Faktor, der für die Menschen einfach wichtig ist.

SPRECHERIN:

 „Aneignung der Erde“ – damit meint Thomas Stöllner, dass die Menschen die Erde über tausende von Jahren immer besser kennen gelernt haben. In der menschlichen Umwelt gibt es eben nicht nur Pflanzen und Tiere, die als Nahrungsquelle dienen, sondern auch: Georessourcen. Also: Mineralien, Rohstoffe. Die haben die Menschen nach und nach entdeckt.

MUSIK

SPRECHERIN
In der Regel haben sie sie wohl erst einmal zufällig an der Erdoberfläche gefunden. Dort sind ihnen vielleicht besonders schön gefärbte oder glitzernde Steine aufgefallen. Und, einmal genutzt, haben sie dann systematisch nach ihnen gesucht – und auch irgendwann danach gegraben. Dass Bergbau so eine alte Kulturtechnik ist, wissen Archäologen übrigens deshalb, weil an denselben Stellen heute manchmal immer noch Bergbau betrieben wird. Und ab und an stoßen die Menschen, die im modernen Bergbau arbeiten, dann eben auf alte Stollen oder alte Werkzeuge. Wenn die Archäologen Glück haben, werden sie dann auf den Plan gerufen.

09 / OT Stöllner
Zum Beispiel gibt es da drin Horn. Stellen Sie sich vor: ein eiszeitliches Tier, die Saiga-Antilope, die dort heimisch war. (…) Und diese Saiga-Antilope, deren Gehörn, wurde zum Ausgraben dieser Pigmente genutzt.

SPRECHERIN:

Immer wieder finden die Forscher Erstaunliches.

MUSIK

SPRECHERIN:

In der Nähe von Kelheim in Niederbayern entdeckte ein Hobby-Archäologe merkwürdige Verfärbungen im Boden eines großflächigen Sand- und Kiesabbaus. Das war in den 1980ern. Die Verfärbungen waren kreisrund. Eine neben der anderen. Wie ein Schweizer Käse sah das Areal aus. Nur, dass der Boden eben nicht durchlöchert, sondern merkwürdig befüllt war. So kam bei Abensberg-Arnhofen etwas an die Oberfläche, das lange Zeit verschüttet war. Das Archäologen aber schon wie eine Stecknadel im Heuhaufen gesucht hatten: eines der größten und qualitativ hochwertigsten Feuersteinbergwerke der Steinzeit, 5- bis 7000 Jahre zurück in der Menschheitsgeschichte. Hier wurde Feuerstein für Waffen und Arbeitsgeräte abgebaut und auch weithin in ferne Regionen gebracht. Es war nicht irgendein Feuerstein. Es war mit der beste Feuerstein seiner Zeit.

10 / OT Michael Rind
Man spricht von dem gebänderten Plattenhornstein. Der Hornstein ist charakteristisch und sieht im Grunde genommen aus wie ein aufgeschnittener Baumkuchen. Das heißt, es gibt ganz viele einzelne Schichten, dunkel- und hellgrau. Das hängt mit der Entstehung dieses Hornsteins vor etwa 160 Millionen Jahren zusammen. Das Material ist schon von besonderer Qualität und Güte, sodass es sich für die Menschen auch gelohnt hat, dieses Material vor Ort abzubauen. (…) Und zwar im ganz ganz großen Stil. (…) Das war schon eine kleine Sensation. Vor allen Dingen für den süddeutschen Raum. Man wusste ja aufgrund der Funde aus den Siedlungen nicht nur in Bayern, auch im angrenzenden Österreich, dass dieser Hornstein hier abgebaut worden sein muss. Man kannte nur die Stelle einfach noch nicht.

MUSIK

SPRECHERIN:

Im Landkreis Kelheim sind bislang drei solcher Feuersteinbergwerke gefunden worden, in Deutschland insgesamt sieben. Doch der Fund von Abensberg-Arnhofen bleibt für Professor Michael Rind, damals der Kreisarchäologe vor Ort, ein besonderer:

11 / OT Michael Rind
(…) weil das für den ganzen süddeutschen Raum das größte Bergwerk ist, das wir haben. Wir gehen im Moment davon aus, dass ungefähr 200- bis 300.000 Schächte damals dort abgeteuft worden sind. Das ist schon eine ganze Menge.

MUSIK

SPRECHERIN:

Hunderttausende Löcher, eines neben dem anderen. Manche sind so schmal, dass dort vermutlich Kinder gearbeitet haben. Wahrscheinlich sind sie an einem Seil nach unten gelassen worden, haben den Feuerstein, der lose in der Erde lag, aufgesammelt und sind wieder hochgezogen worden. Es gab keine unterirdischen Gänge oder Stollen.

MUSIK

12 / OT Michael Rind
Sie müssen sich vorstellen, Sie stehen in einer acht Meter tiefen Röhre, die Sie ausgegraben haben. Und Sie gucken nach oben. Das ist schon eine gewaltige Distanz. Diese Löcher, die man damals gegraben hat, die haben ja häufig nur einen Durchmesser, sodass man sich gerade darin bewegen konnte. (…) Da bekommt man schon Angst, wenn man nach oben schaut, vor allen Dingen, wenn man weiß, dass die ganzen Seitenwände nicht verstärkt worden sind. Das heißt also, dass der Erddruck jederzeit dazu führen kann, dass man dort verschüttet wird.

SPRECHERIN:

Die Menschen gruben in die Tiefe, von oben nach unten, immer dem Feuerstein nach, und wenn sie tief genug unten waren, hörten sie dort auf und gruben daneben ein neues Loch.

13 / OT Michael Rind
Das war ein riskantes Unterfangen. Natürlich, weil die Seitenwände nicht stabil waren. Und das Ganze wurde immer sofort wieder verfüllt, weil man auch Angst hatte, dass diese Schächte in sich zusammenstürzen könnten. Und man hat immer mit dem Aushub des gerade bearbeiteten Schachtes den letzten alten Schacht wieder verfüllt.

SPRECHERIN:

Das heißt: An der Oberfläche sind deshalb Kreise zu sehen, weil die gegrabenen Löcher gleich wieder zugeschüttet worden sind. Schicht für Schicht.

SPRECHERIN
Michael Rind hat zehn Jahre lang mit seinem Team hunderte der Schächte ausgegraben, untersucht und dokumentiert. Dabei haben die Archäologen viel Erde gesiebt und einige wichtige Funde gemacht: Arbeitsgeräte zum Beispiel, die die Menschen in der Steinzeit zum Graben verwendet haben.

14 / OT Michael Rind
Es gab bis zu diesem Zeitpunkt am Beginn der 2000er Jahre keinen einzigen Fund von so einer Geweih-Hacke und wir haben jetzt immerhin aus mehreren Schächten solche Geweih-Gezähe gefunden. Das ist schon ein ganz wichtiger Aspekt. Denn diese Dinge, die sich auch nur schwer im Boden halten, würden sonst überhaupt nicht entdeckt werden.

MUSIK

SPRECHERIN:

Zwischen 1998 und 2009 konnte Michael Rind insgesamt 650 dieser Schächte ausgraben. Das gibt eine Idee von der unglaublichen Dimension und Schaffenskraft, die die Menschen in der Steinzeit an den Tag gelegt haben müssen, die hunderttausende dieser Löcher gegraben haben.

MUSIK

SPRECHERIN:

Einen spezialisierten Beruf, den des Bergmannes, gibt es wohl ziemlich sicher in der Jungsteinzeit noch nicht. Die Menschen haben das Einsammeln der Feuersteine nebenbei betrieben.
Den Ertrag pro Schacht schätzt Michael Rind auf zirka 50 Kilogramm Feuerstein. Genug für eine Siedlung, um zwei bis drei Jahre damit auszukommen. Die Menschen der Steinzeit benötigten Feuerstein etwa, um hochwertiges Werkzeug herzustellen, so genannte Silex-Klingen, sehr scharfe Messer, die teilweise heute noch in der Chirurgie eingesetzt werden. Aber auch Waffen wurden damit hergestellt, Holz bearbeitet, Jagd-Bögen geschnitzt oder Tiere gehäutet. Guter Feuerstein sicherte
das Überleben. In Abensberg-Arnhofen ist viel, viel mehr Feuerstein abgebaut worden, als die umliegenden Siedlungen für sich selbst gebraucht hätten. Und es lässt sich mit Funden belegen: Der niederbayerische Feuerstein ist bis zu 600 Kilometer weit, bis nach Osteuropa, transportiert worden. Unklar ist für die Forschenden, wie genau diese Handelskette funktioniert hat:

17 / OT Michael Rind
Konnte da jeder an diese Stelle herangehen? War die Stelle frei zugänglich oder haben die Menschen ihre Monopolstellung erkannt? Das haben sie offensichtlich nicht, denn das Material wurde zwar vertauscht, und man kannte Qualität und Güte des Materials, war sich dessen bewusst. Aber man hat es nur vertauscht und nicht verhandelt, denn sonst hätte man mit viel mehr Profitgier aus dem Material etwas herausschlagen können.

MUSIK

SPRECHERIN:

Die steinzeitlichen Siedlungen rund um das Feuersteinbergwerk Abensberg-Arnhofen sind nicht besonders reich ausgestattet. Ohne besondere Prestige- oder Luxusobjekte. Die Menschen vor rund 5.000 Jahren tauschten also vermutlich den Feuerstein ein gegen das, was sie brauchten – aber auch nicht gegen mehr.

MUSIK

SPRECHERIN:

Ein Profi-Business rund um den Bergbau, mit hoch spezialisierten, komplexen Tätigkeiten, mit technologischen Innovationen und intellektuell ausgereiften Erfindungen, ein Bergwerk im heutigen Sinne mit unterirdischen Stollen, zum Teil auch mit hölzernen Stützkonstruktionen, mit Gangsystemen, Entwässerung und Belüftungsschächten, ein komplexes Unterfangen, das von mehreren Siedlungen als Gemeinschaftswerk betrieben wurde – das ist für die Bronzezeit, also gut 1.000 Jahre weiter in der Menschheitsgeschichte, gut dokumentiert. In unmittelbarer Nähe zu Bayern: am Mitterberg in der Nähe von Salzburg. Die mächtigste Kupfer-Erz-Lagerstätte der Ostalpen. Für Zentraleuropa die bedeutendste.

18 / OT Prof. Stöllner
Der Mitterberg ist so ein Paradebeispiel für diese frühe Kupfer-Erz-Gewinnung in den Zentral- und Ostalpen und durch seine gute Erhaltung der Quellen, der Schmelzplätze, der Bergwerke, der Siedlungen im Umfeld, der so genannten Aufbereitung, dieser technischen Anlagen eben auch zu Recht berühmt.

SPRECHERIN:
Schon seit Mitte des 19. Jahrhundert werden am Mitterberg archäologische Funde gesichert: Bronzezeitliche Werkzeugkästen, Pickel, Halterungen aus Holz für Hacken, aber auch oberirdische Schmelzplätze mit Öfen und so genannte Röstbetten, also Gruben, in denen das zerkleinerte Kupfererz erhitzt wurde, bevor es dann zum Schmelzen ging… ein wahres Füllhorn für Archäologen, Funde, die von einer Art früh-industrieller Produktion erzählen.

MUSIK

19 / OT Stöllner
Diese frühe Erschließung des Mitterbergs hat große Bedeutung. Weil man mit diesen frühen Funden praktisch überhaupt das erste Mal so ein Kupfererz-Bergbau-Revier der Urgeschichte mit Funden verstanden hat: Betriebsgeräte, Schäftungen, Pickel, Hölzer…Das hat damals große Furore gemacht. Viele Funde waren zum Beispiel bei der Weltausstellung in Paris.

SPRECHERIN:
Sie haben die Montan-Archäologie und die Archäo-Metallurgie als Spezial-Disziplinen mitbegründet, die sich noch heute an den Funden vom Mitterberg abarbeiten. Bis zu 200 Meter tief haben die bronzezeitlichen Bergleute gegraben.

MUSIK

20 / OT Stöllner
Das sind die weltweit größten und tiefsten Bergwerke der Zeit. Das ist wirklich auffällig. (…) 24.000 Tonnen Quarz-Kupfer ist schon eine Hausnummer. Wir glauben, dass halb Europa vom Mitterberg versorgt wurden. Und das ist schon sehr, sehr beeindruckend.

MUSIK

SPRECHERIN:
Und die Menschen der Bronzezeit hatten bereits sehr komplexes und spezialisiertes Wissen.

21 / OT Stöllner
Der Stein wurde in Teilen häufig noch mit Feuer geschwächt. Man nennt das Feuer setzen…

SPRECHERIN:
Unterirdisch haben die bronzezeitlichen Bergarbeiter also ein Feuer vor der Wand entfacht, in der das Kupfer-Erz eingeschlossen war, um das sehr feste Gestein aufzulockern. Durch die Hitze dehnt sich das Gestein und reißt. So kann das Kupfer-Erz dann einfacher aus der Felswand geschlagen werden. Doch wer unterirdisch Feuer setzt, muss für eine gute Belüftung sorgen. Sonst könnten die Bergleute ersticken. Den Menschen in der Bronzezeit war dieser Zusammenhang bewusst und sie setzten systematisch so genannte „Durchstiche“ nach oben, um die Frischluftzufuhr unter Tage sicher zu stellen. Ein technisch hoch aufwändiger Bergbau, meint Thomas Stöllner vom Deutschen Bergbau-Museum.

22 / OT Stöllner
Vielleicht ein Fund, der besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang, ist ein Zirkel, den wir 2004 in einer Grabungsstrecke entdeckt haben.

SPRECHERIN:

Zwei hölzerne Schenkel, die von einem Nagel zusammengehalten wurden.

23 / OT Stöllner
Wir wissen, dass mit diesem Zirkel Winkel abgenommen werden konnten. Und wir wissen an einer anderen Stelle, nicht weit von dieser Fundstelle entfernt, dass man in der Bronzezeit vermessen hat, also vielleicht so einen Zirkel eingesetzt hat. Warum wissen wir das? Dort sind zwei Strecken im so genannten Gegen-Ort-Betrieb aufeinander zugeführt worden – von zwei verschiedenen Grubenbauteilen eben aufeinander zugeführt…

SPRECHERIN:
Zwei Gänge sind also, so stellt Thomas Stöllner fest, systematisch aufeinander zu gegraben worden. Das geht nur, wenn es vorherberechnet wurde.

MUSIK

24 / OT Stöllner
Und man hat sich wirklich punktgenau an einer Stelle getroffen. Das ist ein ganz klarer Beleg für eine Vermessungsingenieursleistung. In der Zeit des 15. Jahrhunderts vor Christus. Was ein Eye-Opener war für die hohen technologischen Fertigkeiten mancher bronzezeitlicher Bergleute in dieser Zeit. Die beherrschen, wenn Sie so wollen, eine Urform des Pythagoras oder auch der Trigonometrie, anders wäre so etwas nicht möglich. Wir haben mittlerweile auch andere Belege für Längenmaße und sowas. Daran sehen Sie, dass der Bergbau, der ja hoch aufwändig ist, auch ein Innovationstreiber war.  (…) Und man kann füglich davon sprechen, dass der Bergbau Mitterberg einer der Hochtechnologiekomplexe der Zeit war, überregional weit über die alte Welt hinaus, ist es sicherlich DIE innovativste Bergbautechnik, die wir in der Bronzezeit kennen. Und das ist auch schon sehr erstaunlich, weil es unser Bild von den Hochkulturen des Alten Orients doch ein bisschen relativiert.

SPRECHERIN:
Hochtechnologie gab es eben auch im Alpenraum der Bronzezeit. Und manchmal brauchen auch die Forscher Heute ausgeklügelte Technologien, um dem Leben vor tausenden von Jahren auf die Spur zu kommen.

25/ OT Philipp Stockhammer
Das sind Methoden, die sind brandneu. Das ist nicht so, dass Sie da diesen Zahnstein in die Maschine stecken, ein Knopfdruck, dann kommt auf der anderen Seite die Analyse raus, sondern sie müssen es aufbereiten, Sie sind Monate dran, diese Daten auszuwerten, das ist wahnsinnig schwierig.

SPRECHERIN:
Professor Philipp Stockhammer aus München, der Zahnstein aus der Bronzezeit untersucht, hat sich zu diesem Zweck mit dem ehemaligen Lebensmittelchemiker Stephen Buckley zusammengetan.

26 / OT Stockhammer
Das ist einfach ein Crack, der in diesen so genannten Chromatogrammen, das ist das, was wir aus den Maschinen rauslesen, einfach all diese Biomoleküle identifizieren kann und sagen kann: Dieses Biomolekül steht für die Pflanze oder die und die Substanz.

SPRECHERIN:
Als Stephen Buckley – ein Pionier auf seinem Gebiet – also auf Philipp Stockhammer zukam mit dem Ergebnis, Verbrennungsstoffe von Braunkohle in den rund 4.000 Jahre alten Zähnen aus Griechenland gefunden zu haben, konnte es Philipp Stockhammer zunächst nicht fassen. Aber chemisch war das Ergebnis absolut eindeutig.

27 / OT Stockhammer
Wir konnten tatsächlich bei den verschiedenen Individuen auch sehen, wo die Braunkohle herkam, die sie eingeatmet haben, weil wir eben genau diese chemische Zusammensetzung feststellen konnten, die in Griechenland heute für eine bestimmte Lagerstätte bekannt ist. Es ist einfach fantastisch.

SPRECHERIN:
Und dennoch zunächst ein kleiner Schock für Philipp Stockhammer.

28 / OT Stockhammer
Warum haben wir von der Archäologie nie irgendetwas gewusst oder gesehen? Ich meine, da wird seit Schliemann seit 130 Jahren gegraben. Und wir hatten keine Ahnung, dass sie Braunkohle genutzt haben.

SPRECHERIN:
Mehr noch: Die Braunkohle wurde offenbar über 150 Kilometer aus einem anderen Teil Griechenlands importiert. Die Zähne, die Philipp Stockhammer und Stephen Buckley untersucht haben, stammen von Menschen, die um das 13. Jahrhundert vor Christus in Tiryns gelebt haben, einer antiken Stadt im Nordosten der Peloponnes. Sie atmeten über eine lange Zeit Verbrennungsstoffe von Braunkohle ein – von Braunkohle, die aus Olympia angeliefert wurde. Hatten sie vor Ort nichts Anderes zum Feuermachen?

MUSIK

SPRECHERIN
Und die Menschen in Tiryns brauchten viel Feuer. Denn in Tiryns fand eine Massenproduktion an Keramik statt.

29 / OT Stockhammer
Nur für den Export, zum Teil nach Zypern oder in die Levante. Es waren Manufakturen, antike Mega-Werkstätten, in denen man einfach mal 40.000 Gefäße pro Jahr nur für den Export hergestellt hat. Das sind Tonnen an Produkten, für die ich auch Tonnen an Brennmaterial brauche. Keramik brennt sich ja nicht von alleine.

SPRECHERIN:
Die Brenn-Öfen liefen auf Hochtouren. Offensichtlich mit Braunkohle. Ein bislang übersehener Aspekt in der Archäologie. Aber bei genauer Betrachtung nur allzu logisch, dass es so gewesen sein muss für Philipp Stockhammer:

30 / OT Stockhammer
Aber im Endeffekt passt es auch so gut, weil ich hab mir dann überlegt, naja, Griechenland war damals sehr dicht besiedelt. Wir hatten Paläste, wir hatten Wirtschaftssysteme, umfangreichen Schiffsbau. Da standen nicht allzu viele Bäume.

SPRECHERIN:
Weil schon alles abgeholzt war.

31 / OT Stockhammer
Und was für mich eben jetzt auf einmal klar wird, worüber ich mir nie Gedanken gemacht hatte: Welches Brennmaterial nehmen die denn? Auf einmal ist mir klar, dass in einer dicht besiedelt und zugleich völlig entwaldeten Gegend man trotzdem was braucht, mit dem man die Brennöfen auf Hochtouren laufen lassen kann und auf einmal macht die Braunkohle natürlich Sinn.

SPRECHERIN:
In einem Text von Theophrast rund 1.000 Jahre später ist beschrieben, wie in Olympia Braunkohle an der Erdoberfläche zu finden ist.

32 / OT Stockhammer
Wenn noch im 4. Jahrhundert vor Christus Theophrast die an der Oberfläche bei Olympia finden kann, dann konnte ich die tausend Jahre früher auch dort an der Oberfläche finden. (…)
Ich hatte ja ursprünglich gar nicht vor zur Braunkohle zu arbeiten und bin jetzt total fasziniert, auf einmal gibt es neue Denkmöglichkeiten und neue Antworten, es gibt viele Fragen. Und bin selber noch so ein bisschen überwältigt. Man muss das Ganze auch noch kulturell einordnen, was das eigentlich bedeutet. (…) Für mich öffnet so ein Projekt dann manchmal so eine Tür, einen Spalt in eine Denkwelt, die uns bislang einfach verloren war.

MUSIK

SPRECHERIN:
Braunkohle in der Bronzezeit. Kupfer-Erzabbau mit mathematischen Berechnungen und hoch komplexen Ingenieursleistungen. Und hunderttausende handgegrabene Schächte in Niederbayern, aus denen Feuerstein für halb Europa an die Oberfläche geholt worden ist. Nur drei Geschichten, die zeigen, wie innovativ, organisiert und erfindungsreich die Menschen vor tausenden von Jahren die Erde mit ihren Schätzen für sich nutzbar gemacht haben.

MUSIK

 


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