Radiowissen

Kristall, Monokel, Gleitsicht - Die Geschichte der Brille

Von Kaiser Neros grünem Smaragd, den er sich bei Gladiatorenkämpfen vor die Augen hielt, über den Lesestein der mittelalterlichen Mönche bis hin zu computergeschliffenen Gleitsicht-Gläsern, von der Sehhilfe zum Mode-Accessoire: Die Geschichte der Brille erzählt über Jahrtausende hinweg vom Wandel der Gesellschaft. Von Florian Kummert

Kristall, Monokel, Gleitsicht - Die Geschichte der Brille | Bild: picture alliance / dpa | Ursula Düren
22 Min. | 17.2.2025

VON: Florian Kummert

Ausstrahlung am 17.2.2025

SHOWNOTES

Credits
Autor dieser Folge: Florian Kummert
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Susanne Schroeder, Sebastian Fischer
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Iska Schreglmann

Im Interview:
Dr. Florian Breitsameter, Kurator für Medizintechnik, Deutsches Museum München

Diese hörenswerten Folgen von Radiowissen könnten Sie auch interessieren:

Die unsichtbare Brille - Wie Glaubenssätze unser Leben lenken
JETZT ENTDECKEN

Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:

Literatur:
Herbert Schwind: Brillengeschichten – grandios und kurios: Eine Zeitreise (Wagner Verlag, 2015)

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
JETZT ENTDECKEN

Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

ERZÄHLERIN

Die Geschichte der Brille, sie beginnt mit einem Verrückten: dem römischen Kaiser Nero. 

Berühmt-berüchtigt dafür, dass er Rom anzünden ließ, und dazu die Leier spielte. Tolle Geschichte - aber eine, die eher ins Reich der Legenden gehört. 

SOUND Ende

ERZÄHLERIN

Genauso wie die Idee zu Neros Brille. 

evtl. MUSIK Hans Zimmer GLADIATOR

ERZÄHLERIN

Der Kaiser - so schreibt Plinius der Ältere - sah leidenschaftlich gerne Gladiatorenkämpfe (SOUND Schwerterkampf), auch an sommerlichen Tagen, wenn der Sand im Kolosseum hell erstrahlte. Und eben diese Kämpfe - verrät Plinius - habe Nero durch einen geschliffenen Smaragd betrachtet. Konnte er so das Spektakel schärfer sehen? Der grüne Edelstein als frühe antike Sehhilfe?

OTON Florian Breitsameter 1

Die Geschichte mit dem Smaragd, die mag stimmen. Das war allerdings gar kein Brilleneffekt, was man heute als Brille kennt, also zum Ausgleich einer Fehlsichtigkeit, sondern was er gemacht hat, war eigentlich sich zu schützen vor dem grellen Licht. Das war eher die Erfindung der Sonnenbrille, mit dem Smaragd. 

ERZÄHLERIN

Sagt Dr. Florian Breitsameter. Er ist im Deutschen Museum München Kurator für Medizintechnik, und hat in der Ausstellung auch der Geschichte der Brille viel Raum gewidmet. Passend zum Thema ist Breitsameter Brillenträger, seit seinem neunten Lebensjahr. 

OTON Florian Breitsameter 2

Wir sind jetzt in der Ausstellung Gesundheit im dritten Stock des Deutschen Museums. Und wir haben eine Vitrine, die hat ungefähr eine Höhe von 3,50 Meter und geht runter fast bis in Bodenhöhe und haben hier 25 Brillen, die wir hier präsentieren, die auch tatsächlich so einen Gang durch die Geschichte der Brille und die Entwicklung der Brille zeigt. Und das älteste Exponat, was den Ursprung zeigt, ist auf Augenhöhe hier die mittelalterliche Lederbrille.

ERZÄHLERIN

Denn die Brille als Sehhilfe ist eine Erfindung des Mittelalters. Kaiser Nero und andere antike Römer müssen sich ein paar Jahrhunderte vorher noch anders behelfen. So beklagt sich Cicero in einem Brief an seinen Freund Attikus, dass altersbedingt seine Sehkraft nachlasse und er nicht mehr lesen könne. Seine Lösung: er lässt sich alles von einem Sklaven vorlesen. 

MUSIK z.B. Der Name der Rose - Main Titles, darüber:

ERZÄHLERIN

Mit dem Niedergang des Römischen Reichs verschwinden nicht nur die Vorlesesklaven, sondern auch in weiten Teilen der Gesellschaft das Interesse und die Fähigkeit zu lesen, auch im Adel und bei den Regenten. Das Mittelalter: eine Zeit der Analphabeten. Die Kunst des Lesens und Schreibens wird vor allem hinter dicken Klostermauern gepflegt, bei den Mönchen. Die hüten in ihren Bibliotheken wahre Wissensschätze und schaffen mit ihren Handschriften Kunstwerke. 

Eine Arbeit, die die Augen anstrengt. Viele Mönche leiden mit zunehmendem Alter an Sehschwäche. Ihnen hilft ein so genannter Lesestein, aus einem besonderen Mineral.

OTON Florian Breitsameter 3

Das Wort Brille, das kommt eigentlich vom Mineral Beryll, schön klar, kann man gut verarbeiten auch, und daraus waren sogenannte Lesesteine gefertigt. Lesesteine sind eigentlich was relativ Einfaches: ovale Halbkugeln, die man auf etwas drauflegen kann und durch diesen optischen Effekt, wie beim Wassertropfen, vergrößert sich das, was drunter ist. Das kann man Zeile für Zeile abfahren, quasi ein Lupeneffekt. 

ERZÄHLERIN

Experimentierfreudige Mönche finden heraus, dass der Lesestein nichts von seiner vergrößernden Wirkung einbüßt, wenn man ihn flacher schleift. Zudem kann man ihn bequem vors Auge halten, am besten in einem Rahmen aus Holz, Knochen oder Horn, mit einem kurzen Haltegriff versehen. So wird aus dem Lesestein das Einglas. 

Es muss vor dem Jahr 1300 gewesen sein, vermutlich in Norditalien, als ein erfindungsreicher Geist auf die Idee kommt, zwei solcher Eingläser an den Enden der Haltegriffe zu vernieten. Daraus entsteht die erste Form der heutigen Brille, die Nietbrille. Allerdings kein Modell zum Aufsetzen, seitliche Bügel gibt es nicht.

OTON Florian Breitsameter 4

Sie war nicht dafür gedacht, dass man die auf die Nase klemmen konnte, sondern man musste die tatsächlich vor die Augen halten, wenn man was anschauen wollte. Man hat es selber so lange eingestellt, bis man einigermaßen wieder scharf sah. Natürlich mit allen Fehlern, die das Glas damals auch hatte, das heißt, es hatte Schlieren, es hatte im schlimmsten Fall Einschlüsse, war nicht sauber geschliffen, hat an dem Rand schon stark verzerrt, man hatte eigentlich bloß einen kleinen Ausschnitt, wo man wirklich einigermaßen scharf sehen konnte damit. Aber wie gesagt: besser als nichts.

MUSIK z.B. Der Name der Rose - End Titles, darüber:

ERZÄHLERIN

Die Nietbrille hilft vor allem Mönchen beim Lesen und Schreiben. So wird sie beim Volk und auch in der darstellenden Kunst zum Symbol für Bildung und Gelehrsamkeit. Bildhauer und Maler zeigen Propheten und Philosophen gern bebrillt, auch bei Petrus an der Himmelspforte darf die Nietbrille nicht fehlen. Die erste Darstellung einer Brille nördlich der Alpen findet sich 1403 auf dem Altar der Stadtkirche von Bad Wildungen. Der darauf abgebildete „Brillenapostel“ ziert heute noch das Siegel der Kirchengemeinde.

SOUND Knarzen, Buchdruck-Presse

ERZÄHLERIN

Weltliche Brillenträger außerhalb von Klostermauern finden sich erst mit dem Beginn der Neuzeit. Als Johannes Gutenberg 1450 den Buchdruck erfindet, revolutioniert er die abendländische Gesellschaft. Texte sind leicht und billig zu vervielfältigen, der Bildungsdurchschnitt steigt, immer mehr Menschen lernen lesen. 

Die Nebenwirkung: der Bedarf an Brillen wächst. 

Der Nürnberger Ratserlass für Brillenmacher von 1478 gibt erste schriftliche Hinweise auf die Herstellung von Brillen in der Stadt. 1535 wird in Nürnberg dann die erste Brillenmacher-Zunft gegründet, Regensburg, Augsburg und Fürth folgen. Die Technik wird immer weiter verfeinert: ab dem 16. Jahrhundert sind konkav geschliffene Gläser gegen Kurzsichtigkeit nachgewiesen. 

Der im frühen 17. Jahrhundert lebende Philosoph und Naturwissenschaftler René Descartes schreibt über die Bedeutung der Brille: 

ZITATOR

„Unsere gesamte Lebensführung hängt ab von unseren Sinnen, und die Tatsache, dass das Sehen der umfassendste und prächtigste von ihnen ist, lässt keine Zweifel daran, dass alle Erfindungen, die der Erweiterung seiner Kraft dienen, zu den nützlichsten gehören, die es gibt.“

ERZÄHLERIN

Abergläubische Menschen wiederum sehen keinen Nutzen in der Brille, sondern halten sie für Teufelszeug. Die Wirkung des geschliffenen Glases können sie sich nicht erklären, also müssen hier dämonische Zauberkräfte mit im Spiel sein. Für dieses Klientel entwickeln findige Wunderheiler die absonderlichsten Arzneien und Augenwässerchen. 

Wie wäre es mit diesem Rezept aus dem 14. Jahrhundert? 

ZITATOR

Eselsmilch, Majoran, Augentrost, Schöllkraut, Fenchel und Rosskümmel mischen und alles trinken. 

ERZÄHLERIN

Und dann auf die heilende Wirkung warten. 300 Jahre später warnt der Dresdner Okulist Georg Bartisch:

ZITATOR

Lasst euch nicht auf eine „gefährliche“ Brille ein. Nehmet stattdessen meine Tropfen mit „gepülvert Gämsenleber“ und „gepülvert Rebhühnerherz“. 

ERZÄHLERIN

Andere Arzneibücher empfehlen zur Verbesserung der Sehkraft, sich eine gedörrte Fuchszunge um den Hals zu hängen.

MUSIK, evtl. Sarabande Händel (für Welt des reichen Adels)

ERZÄHLERIN

Wer sich dennoch für die Brille entscheidet, hat die Qual der Wahl. Vom Billigglas bis zur Luxusvariante. Am teuersten und begehrtesten: reines, weißes Glas aus Venedig, von der Glasbläser-Insel Murano. Glas, das standesgemäß in ein exquisites, aufwändig verziertes Gestell eingepasst wird. Vor allem der Adel entdeckt mit der neu erwachten Lust aufs Lesen auch die Brille als modisches Accessoire. Am Spanischen Hof kommt es im 17. Jahrhundert gar zu einem regelrechten Brillen-Hype. Selbst adelige Damen, die sich bester Sehkraft erfreuen, tragen - si claro - Brille, nur eben mit gerahmtem Fensterglas.

SOUND (Brillen-)Glas bricht oder knackst

ERZÄHLERIN

Kaputtes Fensterglas ist leicht auszutauschen. Kaputte geschliffene Gläser passend zu ersetzen hingegen ein Problem. Und wer noch dazu auf edles Murano-Glas beharrt, braucht viel Geduld. Der englische Kanzler, Thomas Morus, hatte wohl eine kaputte Murano-Brille. Doch das neue Glas kam und kam nicht. So musste er sich vom Maler Hans Holbein mit gesprungenem linken Brillenglas porträtieren lassen. 

OTON Florian Breitsameter 5

Eine ganz interessante Entwicklung ist beispielsweise hier die Glasbrille, das ist quasi so ein Vorläufer der randlosen Brille. Das heißt, Sie haben beide Gläser und der Mittelsteg ist ein Stück aus Glas und links und rechts sind bloß Ösen und damit haben Sie ein Band befestigt und das quasi um den Kopf gebunden und damit hatten Sie eine randlose Brille und konnten damit schön sehen, hatten beide Hände frei auch tatsächlich für Ihre Arbeit und ja, es sah jetzt nicht unbedingt schön aus, aber war relativ praktisch. Aber natürlich, da das Ganze aus einem Stück Glas gefertigt war: wenn die einmal runterfiel, war sie kaputt. Also in der Hinsicht dann doch eher unpraktisch. 

SOUND Glas zerbricht

MUSIK leicht ironisch, z.B. Kite Flying Society, Soundtrack Rushmore

ERZÄHLERIN

Die Brille mag zwar das Symbol für Bildung und Gelehrsamkeit sein, schnell werden ihre Trägerinnen und Träger aber auch Zielscheibe für Spott. Es gibt Karikaturen über die Büchernarren, die tief in ihre Werke versunken sind und jenseits des Brillenrahmens die Welt gar nicht mehr wahrnehmen. Und neue Wortschöpfungen: Brillenschlange, Blindschleiche. Die Sehkrücke oder das Spekulier-Eisen. Was vom lateinischen Wort „speculare“ für „beobachten“ abstammt. Daher sagt man in den USA zu den Brillen auch „specs“. Aber egal in welchem Jahrhundert - mit ihren „specs“ können sich viele gar nicht anfreunden, jenseits und diesseits des Atlantiks.

MUSIK kurz hoch (leicht ironisch, z.B. Kite Flying Society, Soundtrack Rushmore)

ERZÄHLERIN

Der prominenteste Brillen-Hasser hierzulande: Deutschlands Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe. Er ist kurzsichtig und kann bei Theaterbesuchen das Ensemble auf der Bühne nur unscharf sehen, was ihn nervt. Noch mehr nerven ihn aber seine Sehhilfen, wie er schreibt:

ZITATOR

„Sooft ich durch eine Brille sehe, bin ich ein anderer Mensch und gefalle mir selber nicht. Ich sehe mehr, als ich sehen sollte. Die schief gesehene Welt harmoniert nicht mit meinem Inneren, und ich lege die Gläser geschwind wieder weg, wenn meine Neugierde, wie dieses oder jenes in der Ferne beschaffen sein möchte, befriedigt ist.“ 

ERZÄHLERIN

Gesprächspartner, die Brille tragen, sind Goethe höchst suspekt. Mit ihnen könne man sich nicht unbefangen unterhalten. Außerdem – so wird es in Herbert Schwinds Buch über „Brillengeschichten“ zitiert - habe er stets das Gefühl, dass sein Gegenüber ihm bei der erstbesten Gelegenheit etwas Unverschämtes sagen wolle. Gefühle, die Goethe 1827 in dem Gedicht „Feindseliger Blick“ verewigt:

ZITATOR

Du kommst doch über so viele hinaus,

Warum bist du gleich außer‘m Haus,

Warum gleich aus dem Häuschen,

Wenn einer dir mit Brillen spricht?

Du machst ein ganz verflucht Gesicht

Und bist so still wie Mäuschen.

(…)

Was ist denn aber beim Gespräch,

Das Herz und Geist erfüllet,

Als dass ein echtes Wortgepräg

Von Aug zu Auge quillet!

Kommt jener nun mit Gläsern dort,

So bin ich stille, stille;

Ich rede kein vernünftig Wort

Mit einem durch die Brille. 

OTON Florian Breitsameter 6 

Es klingt paradox, wir verbinden Goethe mit Dichter und Denker als einen Intellektuellen und heute werden Intellektuelle sehr gern mit Brille gesehen, eigentlich auch dargestellt. Goethe sah das anders, der war sehr eitel, wollte eben als eitler Mensch nicht mit Brille dargestellt werden. Es gibt auch keine Darstellung von ihm mit Brille, man weiß nur, dass er eine Scherenbrille benutzt hat, tatsächlich, wenn es notwendig war.

ERZÄHLERIN

Eine Scherenbrille, wie sie auch in der Ausstellung im Deutschen Museum München zu sehen ist. Das Konzept der Scherenbrille ist ähnlich dem der Nietbrille, nur dass man sie sich nicht von oben vor das Gesicht hält. Stattdessen nimmt man die beiden längeren Griffe mit den eingefassten Gläsern, klappt das Gelenk wie eine Schere auf und hält sie von unten im passenden Abstand vor die Augen. Manche Modelle haben im Griff gleich ein Etui integriert, so dass die Brille schnell und unauffällig wieder verstaut werden kann. Scherenbrillen sind von 1750 bis ins 19. Jahrhundert hinein im Einsatz. Dann werden sie von der in Frankreich bei adeligen Damen populären Lorgnette abgelöst, der Stiel-Brille. Bei ihr können sich Frauen wie Männer die Brille am Ende eines langen Stiels vors Gesicht halten. Dank eines Kettchens am Stil hängen sich viele die Lorgnette wie ein Schmuckstück um den Hals, aufwändig verzierte, silbern oder golden gefasste Miniaturkunstwerke. Florian Breitsameter zeigt ein besonderes Exemplar, das zugleich als Sehhilfe und als Hörhilfe dienen kann: die Hör-Lorgnette. 

OTON Florian Breitsameter 7

Das ist ein sehr gutes Beispiel über die Wahrnehmung zwischen schlecht hören und schlecht sehen. Die Hörlorgnette einerseits sieht aus wie eine normale Lorgnette. Das heißt, Sie haben Gläser drin und man hält es sich elegant vor das Auge. Und jeder denkt, ah, die Person sieht schlecht. In Wirklichkeit aber ist es eigentlich ein verstecktes Hörrohr. Wir haben oben am Ende, kurz über den Gläsern, eine kleine Olive. Die können Sie sich ins Ohr stecken. Und unten am Griff ist eine Öffnung und der ganze Griff ist hohl. Und es ist eigentlich nichts anderes als ein langes Schallrohr, ein verstecktes Hörrohr. Denn das Schlechthören war noch peinlicher als das Schlechtsehen. Schlechthören hieß auch, dass man eben Gesprächen nicht gut folgen konnte. Man war schnell die Außenseite. Man ist getrennt von den Menschen. Es gibt zum Beispiel auch den Spruch: „Nicht sehen können, trennt von den Dingen, nicht hören können von den Menschen.“

ERZÄHLERIN

Die Brille als modisches Accessoire - etwa in Form einer verzierten Lorgnette. Mit Eleganz und Grazie wird die Sehschwäche kaschiert. Eine Eleganz, die den Hörhilfen fehlt. Das beschleunigt die gesellschaftliche Ausgrenzung und die verhängnisvolle Haltung: Wer schlecht hört, ist auf der Seite der Dummen. Deutlich zeigt dies das englische Wort für taub, deaf, eng verwandt mit dem deutschen Wort doof. 

OTON Florian Breitsameter 8 

Es war viel peinlicher, schlecht zu hören und ein Hörrohr benutzen zu müssen, als es peinlich war, eine Lorgnette oder eine Sehhilfe benutzen zu müssen. Und es hat sich auch heute nichts daran geändert. Im Grunde, ein Mensch, der quasi durch eine Brille sieht, kann man sagen, der wird vielleicht wahrgenommen als intellektuell, als schlau und sonst etwas. Während ein Mensch, der ein Hörgerät trägt, das sieht eher aus wie ein Makel, ehrlich gesagt. Das ist immer noch so in der Gesellschaft.

MUSIK preußisch streng, passend zu Monokel/Wiener Kongress

ERZÄHLERIN

Eine Gesellschaft, die lange Zeit das Tragen einer Brille vor allem den Männern zugesteht. Während die Damenwelt sich nur im Bedarfsfall die Lorgnette vors aparte Gesicht halten soll, wird die Brille zum festen Bestandteil des männlichen Erscheinungsbilds. Preußische Strenge und Autorität vermittelt dabei insbesondere das Monokel, das Einglas, das am Auge eingeklemmt wird. Auf dem Wiener Kongress 1814 bis 1815 zeigen sich die ersten Diplomaten mit Monokel, damals in Österreich als „Ringstecher“ bekannt. Bald wird das Monokel zum Symbol einer elitären Aristokratie und des höheren Militärdienstes. Als Ausdruck einer guten Erziehung zählt in diesen Kreisen eine regungslose Mimik, und die war dringend nötig, um das Einglas im Gesicht zu behalten. Auch das aufstrebende, wohlhabende Bürgertum idealisiert zunehmend eine bewusste, aufrechte Körperhaltung. Die nehmen nicht nur Monokel-Träger ein. Ende des 19. Jahrhunderts werden auch Klemmer oder Kneifer populär. Die hält eine elastische Federspange zwischen den Gläsern auf der Nase, aber da die Seitenbügel fehlen, sind allzu hastige Bewegungen nicht ratsam. So betont der bis zum 1. Weltkrieg beliebte Kneifer eine aufrechte, militärisch stramme Haltung.  

MUSIK Charleston, Roaring Twenties, kurz

ERZÄHLERIN

Mit den 1920er Jahren und den aufkommenden Roaring Twenties setzt sich dann die Bügelbrille endgültig durch. Deutsche Firmen wie Zeiss oder Rodenstock revolutionieren mit ihren Patenten den Weltmarkt für geschliffene Gläser. Carl Zeiss etwa patentiert 1936 das Verfahren zur Entspiegelung von Gläsern, allerdings dauert es weitere zwei Jahrzehnte bis Zeiss 1959 als erster Hersteller für den breiten Markt entspiegelte Gläser anbieten kann. In den 1950er Jahren werden auch die ersten Prototypen der Gleitsichtgläser entwickelt, denen dank aufwändiger Berechnungen der nahtlose Übergang von Fern- zu Nahsichtkorrekturen gelingt. 

SOUND Gläser schleifen

ERZÄHLERIN

Der Vorgänger der Gleitsichtgläser, die Bifokal-Brille, hat übrigens einen berühmten Erfinder: Benjamin Franklin. Der amerikanische Staatsmann und Verleger entwickelt unter anderem den Blitzableiter und eine frühe Form der Taucherflossen und wird einer der entscheidenden Autoren der Unabhängigkeitserklärung und der Verfassung der Vereinigten Staaten. Ein Mann, der viel liest und schreibt und seine Augen nicht schont. Gegen seine Kurzsichtigkeit trägt Benjamin Franklin eine Fernbrille, für die zunehmende Altersweitsicht braucht er aber eine Lesebrille. Das ständige Wechseln der beiden Brillen wird ihm lästig. Also schneidet er um 1770 die Gläser der beiden Brillen in der Mitte auseinander und setzt die beiden Teilstücke in einer einzigen Fassung übereinander. Mit diesem „Franklin-Glas“ bastelt er sich die erste Bifokal-Brille. Schaut Benjamin Franklin nach unten, kann er lesen. Sieht er nach oben, kann er den Blick in die Ferne schweifen lassen und die Aussicht in allen Details genießen. 

MUSIK Top Gun Anthem - Harold Faltermeyer

ERZÄHLERIN

Und heute? Hat die Brille durch die Kontaktlinsen und Laserchirurgie moderne Konkurrenz bekommen - und hat sich dennoch von den Augen dieser Welt einen festen Platz auf Millionen, ach was, auf Milliarden von Nasenflügeln gesichert. Als Sehhilfe und - ebenso wichtig - als Schutz für die Augen, als Sonnenbrille. 

Die hat sich zum Tausendsassa entwickelt. Schützt vor der Sonne - wie einst Neros grüner Smaragd. Und spielt mit der eigenen Persönlichkeit. Sie lässt einen elegant erscheinen - wie Audrey Hepburn auf Shopping-Tour in „Frühstück bei Tiffany“. Oder heldenhaft cool - wie Tom Cruise im Flieger-Abenteuer „Top Gun“. 

(Musik kurz frei bzw. hochziehen)

Er trägt eine Ray Ban Aviator, mit klassisch grün gefärbten Gläsern, gut gegen UV-Strahlung. Mit ihrem ikonenhaften Design darf sie auch im Deutschen Museum in Florian Breitsameters Sammlung zur Brillengeschichte nicht fehlen. 

OTON Florian Breitsameter 9

Die klassische Ray Ban Aviator, die man aus Top Gun kennt, ist die erste Art dieser Brille, die für die normalen Gebraucher, also für die normalen Menschen gedacht war. Denn entwickelt wurde diese Brille tatsächlich für Piloten. Und zwar für amerikanische Piloten, die im Krieg sozusagen gegen die Sonne fliegen mussten und deswegen einen guten Schutz für ihre Augen brauchten. Und deswegen hat man extra die Entwicklung einer Sonnenbrille in Auftrag gegeben. Die Besonderheit, was sozusagen immer charakteristisch war für diese Brille, ist oben ein sehr, sehr dicker Steg. Und dieser Steg war gedacht nicht nur für Stabilität, sondern dieser Steg sollte Schweißtropfen, die von der Stirn kommen, aufhalten.

Die Sonnenbrille hat sehr stark auch mitgeholfen, dass die Brille etwas Modisches wurde und dann wird es eben zur Normalität etwas auf der Nase zu tragen und wird auch nicht mehr unterschieden, ist es jetzt wegen Kurzsichtigkeit, Weitsichtigkeit oder weil ich einen Sonnenschutz will oder ich will einfach modisch eine Brille tragen.


Radiowissen | Bild: Getty Images / BR
BAYERN 2

Radiowissen

Neueste Episoden