Bundesanwaltschaft macht den Anfang Erste Plädoyers im NSU-Prozess

Die Endphase des NSU-Prozesses gegen die Hauptangeklagten Beate Zschäpe und Ralph Wohlleben ist eingeläutet - nach über vier Jahren und mehr als 370 Verhandlungstagen. Das Münchner Oberlandesgericht hat die Beweisaufnahme offiziell geschlossen, heute Vormittag beginnen die Plädoyers.

Von: Ina Krauß und Thies Marsen

Stand: 19.07.2017 | Archiv

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Die Bundesanwaltschaft stand schon länger in den Startlöchern, feilte an ihrem Schlussvortrag.

Bundesanwalt Herbert Diemer. Bild: picture-alliance/dpa

Denn das Ende der Beweisaufnahme war seit geraumer Zeit absehbar. Und so kann Bundesanwalt Herbert Diemer mit seinem Team sofort loslegen. Rund 22 Stunden wird das Plädoyer der Bundesanwaltschaft dauern. Die Anklage ist komplex, erläutert Bundesanwalt Herbert Diemer:

"Es ist ja ein reiner Indizienprozess, wir haben keinen einzigen Tatzeugen und da müssen eben die ganzen Indizien, die einzelnen Beweise müssen gewürdigt werden, müssen in miteinander in Beziehung gesetzt werden, zusammengesetzt werden wie ein Puzzle."

Herbert Diemer

Richter Manfred Götzl. Bild: picture-alliance/dpa

Einige Nebenkläger hatten noch versucht, den Senat dazu zu bringen, die Schlussvorträge auf nächste Woche zu vertagen – um ihren Mandanten die Teilnahme zu ermöglichen, doch darauf wollte sich der Vorsitzende Richter Manfred Götzl nicht einlassen. Als erstes wird die Bundesanwaltschaft plädieren. Sie hat bereits angekündigt, dass sie dafür rund 22 Stunden benötigen wird – also mindestens drei Verhandlungstage.

Vier Jahre Beweisaufnahme

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Aus Sicht der Bundesanwaltschaft ist die über vierjährige Beweisaufnahme gut gelaufen. Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk sagte Bundesanwalt Diemer vor wenigen Tagen, dass er die Ermittlungsergebnisse der Bundesanwaltschaft im Wesentlichen bestätigt sieht. Ins Detail ging er aber nicht. Die Anklage geht davon aus, dass die Hauptangeklagte Beate Zschäpe gleichberechtigtes Mitglied im Terror-Trio NSU gewesen ist.

10 Morde, mehr als 30 Verletzte

Richter Manfred Götzl (2.v.r.) neben seinen Beisitzern Michaela Odersky (l), Peter Lang (2.v.l.) und Konstantin Kuchenbauer. Bild: picture-alliance/dpa

Dem rechtsextremen NSU werden unter anderem zehn Morde und zwei Bombenanschläge mit über 30 Verletzten zugerechnet. Die Morde und Attentate wurden von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verübt. Doch die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe vor, den Rückzugsraum für Mundlos und Böhnhardt organisiert und die Taten auch gewollt zu haben. Somit gilt sie als Mittäterin. Zschäpe bestreitet dies. Sie will immer erst im Nachhinein von den Morden und Bombenanschlägen erfahren haben. Doch vielen Prozessbeteiligten erscheint diese Version wenig nachvollziehbar.

Wie glaubwürdig ist Zschäpe?

Beate Zschäpe vor Gericht. Bild: picture-alliance/dpa

Bis zuletzt wurde im NSU-Prozess um die Frage von Zschäpes Glaubwürdigkeit gerungen, schließlich stellte aber auch die Verteidigung keine Beweisanträge mehr. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hatte in den letzten Tagen und Wochen Druck gemacht.

"Es ist sicher richtig, dass ein Gericht darauf achten muss, dass mit zunehmender Dauer des Verfahrens der Beschleunigungsgrundsatz eingehalten wird und dass das Verfahren auch nach rechtstaatlichen Prinzipien zu Ende geführt wird und so ist es sicher ein wichtiger und notwendiger Schritt, dass das Verfahren jetzt in die nächste Phase kommt."

Gerichtssprecher Florian Gliwitzky

Ralf Wohlleben mit seiner Anwältin Nicole Schneiders. Bild: pa/dpa/Tobias Hase

Auch die Vorträge der Nebenkläger werden Tage, wenn nicht gar Wochen in Anspruch nehmen, schließlich vertreten sie insgesamt über 80 Opfer der Terrorgruppe NSU beziehungsweise Angehörige der Opfer. Als letztes werden die Verteidiger der fünf Angeklagten plädieren, doch Richter Götzl hat heute bereits durchblicken lassen, dass damit erst nach der Sommerpause zu rechnen ist – also erst Ende August bzw. Anfang September. Danach wird das Oberlandesgericht sein Urteil verkünden. Die Hauptangeklagten Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben müssen dem Prozessverlauf nach mit langjährigen Haftstrafen rechnen, weitgehend unklar ist, welches Strafmaß die drei anderen Angeklagten Carsten S., Holger G. und André E. zu erwarten haben.

Kurzfristige Anreise zu den Plädoyers

Seda Basay-Yildiz, Anwältin der Familie Simsek, bei einer NSU-Opfer-Gedenkveranstaltung in Nürnberg. Bild: picture-alliance/dpa

Obwohl schon lange erwartet, kam das Ende der Beweisaufnahme gestern für viele Prozessbeteiligte dann doch überraschend schnell. Im NSU-Prozess sind über 90 Opfer und Angehörige von Opfern als Nebenkläger zugelassen. Sie sind aber selten persönlich anwesend, sondern werden von über 60 Anwälten vertreten. Die Opfer-Familien müssen nun sehr kurzfristig anreisen, erklärt Seda Basay. Sie vertritt die Familie des ersten Mordopfers des NSU, des Blumenhändlers Enver Simsek.

"Unsere Mandanten sind ja berufstätig und können nicht sofort Urlaub nehmen und den Plädoyers beiwohnen. Das ist jetzt ein bisschen unglücklich, andererseits verstehe ich auch das Gericht, dass hier ein bisschen Druck gemacht wird, um endlich zum Ende zu kommen und mit den Plädoyers zu beginnen."

Seda Basay       

Ein Ende wird absehbar

Adile Simsek, Witwe des ermordeten Enver Simsek. Bild: picture-alliance/dpa

Adile Simsek, die Witwe des ermordeten Enver Simsek wird heute persönlich kommen, um den Schlussvortrag der Bundesanwaltschaft zu hören. Doch es ist klar, die Nebenkläger stehen der Rolle der Bundesanwaltschaft in diesem Verfahren kritisch gegenüber. Wichtige Fragen bleiben für die Opferfamilien offen, erklärt Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer.

"Die Bundesanwaltschaft geht, das ist aus den bisherigen Stellungnahmen klar hervorgegangen, davon aus, dass der NSU eine sehr kleine abgegrenzte Gruppe mit sehr wenigen Helfern und Unterstützern war, also der NSU ist aus unserer Sicht eine viel größere Terrororganisation gewesen, als es der Generalbundesanwalt ja recht bequem auch mit seiner These behauptet."

Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer

Bild: pa/dpa

Doch noch hat die Bundesanwaltschaft nicht gesprochen. Insgesamt vier Tage wird sie für ihr Plädoyer vermutlich brauchen. Es geht dabei nicht nur um Beate Zchäpe. Neben ihr sind vier mutmaßliche Unterstützer des NSU angeklagt. Allen voran Ralf Wohlleben und Carsten S.. Sie sollen die Haupt-Mordwaffe des NSU besorgt haben. Wohlleben, ein ehemaliger Spitzenfunktionär der NPD in Thüringen, bestreitet den Vorwurf. Carsten S. der sich bereits vor Jahren von der rechtsextremen Szene gelöst hat, legte ein umfangreiches Geständnis ab. Er befindet sich im Zeugenschutz. Sein Anwalt Jacob Hösl sagt, auch sein Mandant sei froh,  dass mit dem Beginn der Plädoyers nun ein Ende im NSU-Prozess absehbar ist.

Dossier Politik, 19.7.2017, 21:05 Uhr, Bayern 2

Tim Aßmann, BR-Reporter im NSU Prozess Bild: BR/Tim Aßmann

Thema: Ende in Sicht? Im NSU-Prozess haben die Plädoyers begonnen

Studiogäste: Tim Aßmann,
NSU-Prozessbeobachter für den BR von Anfang an, und Sebastian Scharmer, Rechtsanwalt, vertritt als Nebenkläger vor Gericht Gamze Kubasik, Tochter von Mordopfer Mehmet Kubasik

Moderation: Jörg Paas
Redaktion: Julio Segador