Eine Frage des Geldes Ungarn verkauft Aufenthaltsrecht
Für 300.000 Euro bietet Ungarn Nicht-EU-Bürgern die Staatsbürgerschaft zum Kauf an. Für wohlhabende Ausländer ist sie die Eintrittskarte in den Schengen-Raum, bereits 16.000 profitieren von dem Programm. Arme Ausländer sollen draußen bleiben. Am Sonntag findet in Ungarn ein Referendum gegen die Flüchtlingsquoten statt.
Von: Clemens Verenkotte
Stand: 30.09.2016
Professor Miklós Losoncz vom unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstitut GKI Economic Research in Budapest nimmt kein Blatt vor den Mund:
"Das ist mit Abstand der großzügigste Trick, um die Staatsbürgerschaft in der Europäischen Union zu erlangen oder zu kaufen. Kein anderes europäisches Land kann mit der ungarischen Masche konkurrieren."
Miklós Losoncz
Konkurrenzloses Angebot
Zypern, Malta, Bulgarien und einige weitere EU-Staaten haben zwar ähnliche Programme, um wohlhabenden Ausländer den Eintritt in den Schengen-Raum der Europäischen Union zu ermöglichen. Doch das Angebot der ungarischen Regierung, die ihre massive PR-Kampagne gegen Ausländer wenige Tage vor der Volksabstimmung über ein Nein zur Aufnahme von Flüchtlingen nach der EU-Verteilungsquote nochmals erhöht hat, ist in der Tat konkurrenzlos. Der Wirtschaftsjournalist der Tageszeitung "Magyar Nemzet", Tamás Wiedemann:
"Die Ausländer müssen nicht nach Ungarn fahren. Sie können das im Ausland an einer ungarischen Botschaft alle Papiere erledigen. Sie kriegen die Aufenthaltsbewilligung in 30 Tagen. Sie müssen einfach 300.000 Euro zahlen. Von dieser Summe wird eine Staatsanleihe gekauft und nach fünf Jahren kriegen sie das Geld zurück."
Tamás Wiedemann
Das Angebot schließt Familienmitglieder ein
Tamás Wiedemann gehört zu den wenigen ungarischen Journalisten, die dem Anleiheprogramm der Regierung in allen Details nachgehen: Vor drei Jahren initiierte die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán mit ihrer Mehrheit im Parlament ein Gesetz, das Nicht-EU-Bürgern samt deren Familienmitgliedern das lebenslange Aufenthaltsrecht in Ungarn und somit im visafreien Schengen-Raum erlaubt, sofern sie 300.000 Euro zahlen.
Die Staatsanleihen werden allerdings nicht direkt an die Kunden verkauft, sondern – und das machte ungarische Journalisten wie Tamás Wiedemann misstrauisch – über fünf Firmen, von denen nur eine in Ungarn ihren Sitz hat, die übrigen auf den Cayman Islands, auf Zypern und in Liechtenstein. Wem diese Firmen gehören, die satte Vermittlungsgebühren von 15 bis 20 Prozent auf jeweils einen 300.000-Euro- Abschluss erhalten, wissen selbst die Oppositionspolitiker im ungarischen Parlament nicht.
Dubioser Verkauf von Staatsanleihen
Csaba Tóth ist stellvertretender Fraktionschef der Sozialisten und seit 2014 Vize-Präsident des zuständigen Wirtschaftsausschusses, der die Anleihe-gegen-Aufenthaltsrecht-Geschäfte eigentlich kontrollieren soll.
"Was Gerüchte sind und was die Wahrheit ist, es sind immer zwei verschieden Sachen. Aber wir merken das in Ungarn in der letzte Zeit nicht nur beim Anleiheverkauf, sondern es ist typisch für die anderen Gebiete der Wirtschaft. Es ist klar, dass manchmal die Gesetze den Interessen der regierungsnahen Akteure dienen. Das haben wir bei den Änderungen des Glücksspielgesetzes und der Tabakverkaufs-Konzessionen gesehen. Aber das sehen wir auch beim Zentraleinkauf, und, natürlich, im diesen Fall bei den Anleihepapieren."
Csaba Tóth
Chinesen, Russen, Iraner, Türken
Knapp 4.000 Ausländer haben bereits zugegriffen: Zu fast 90 Prozent handelt es sich um Chinesen, gefolgt von Russen, Iranern und Türken. Da auch Familienmitglieder von dem ungarischen Anleiheprogramm profitieren, das mit Rückzahlung der Anleihe an die Käufer in die Staatsbürgerschaft umgewandelt wird, können bereits insgesamt 16.000 Nicht-EU-Bürger visafrei im Schengen-Raum reisen.
Anfragen der ARD an den Vorsitzenden des zuständigen Wirtschaftsausschusses im Parlament von der Regierungsfraktion Fidesz, Erik Bánki, zu dem Anleihe-Programm Stellung zu nehmen, wurden unter Hinweis auf Terminschwierigkeiten abgelehnt. Die Sicherheitsüberprüfungen seien lasch, sagt Wirtschaftsjournalist Tamás Wiedemann, der – wie er hervorhebt - sein Heimatland Ungarn liebe und deshalb unverdrossen der Regierung auf die Finger schaue.
Referendum gegen die EU-Flüchtlingsquoten
Bild: picture-alliance/dpa
Am Sonntag ruft die Regierung Orbán zum Referendum auf, ob die EU zu den knapp 1.300 Flüchtlingen, die sich im Land befinden, das Recht haben dürfe, weitere Flüchtlinge nach dem EU-Quotenschlüssel auch nach Ungarn zu schicken. Tamás Wiedemann:
"Ich bin ein bisschen auch erstaunt, dass die eine so große Propaganda für diese Volksabstimmung machen und auf der anderen Seite verkaufen sie Staatsanleihen an Ausländer und 16.000 Leute sind in drei Jahren nach Ungarn eingewandert."
Tamás Wiedemann
Der Fraktionschef der Sozialisten im ungarischen Parlament, Csaba Tóth, will am Montag – einen Tag nach dem Antiflüchtlings-Referendum – im Wirtschaftsausschuss das Anleihe-Programm für reiche Ausländer kippen; allerdings weiß er auch, dass er dieses Ansinnen nicht gegen die Mehrheit der regierenden Partei von Ministerpräsident Orbán durchsetzen kann:
"Auf diesen Wiederspruch haben wir mehrmals aufmerksam gemacht. Wir befinden uns vor dem Referendum vom 2. Oktober. Die Regierung möchte eine Frage durchsetzen, die nur ihren parteipolitischen Interessen dient. Aber in der Praxis machen sie das Gegenteil: Migranten können reinkommen, wenn sie zahlen. Sie dürfen sogar so kommen, wenn sie dem Staat Verluste verursachen."
Csaba Tóth