Disco-Revival So funktioniert Dua Lipas "Future Nostalgia"
Dua Lipa belebt mit ihrem zweiten Album "Future Nostalgia" die Disco-Ära in ihren verschiedenen Facetten wieder. Dabei vergisst sie nicht, sie auch zu erweitern: um einen explizit weiblichen Blick auf Popmusik im Mainstream.
Es sind nicht nur drei Jahre, die zwischen Dua Lipas Debütalbum und ihrer zweiten Platte "Future Nostalgia" liegen - denn soundtechnisch bewegen sich beide in zwei ganz unterschiedlichen Welten. Ihr Club-tauglicher EDM bediente 2017 genau die Ansprüche des Mainstream-Publikums. Zum Durchbruch verhalf der Britin aber auch, dass sie eigentlich eher generischen, austauschbaren Sound mit emanzipierten und zeitgemäßen Texten ihren Stempel aufdrückte. Diese Haltung und ihr Gespür für aktuelle Trends nimmt sie mit auf ihr zweites Album. Mit "Future Nostalgia" setzt Dua Lipa zum Sprung auf ein ganz neues Level an. So viel vorneweg: Dua Lipas selbstbetitelte Zukunfts-Nostalgie animiert nicht nur zum Tanzen, sondern vor allem zum Entdecken.
Nostalgie: "Let’s Get Physical"
Man könnte vermuten, dass Dua Lipa sich einmal quer durch das Plattenregal ihrer Eltern gehört hat - vorausgesetzt diese waren früher Disco-Fans. Die Referenzen auf "Future Nostalgia" reichen von versteckt bis eindeutig platziert. Das Trompetensample zu Beginn von "Love Again" klingt nach dem 1997er UK-Hit "Your Woman" von White Town und ist damit das Sample vom Sample vom Sample, weil auch schon "Your Woman" auf ein Stück aus den Dreißiger Jahren zurückgegriffen hat. Noch intensiver haucht ihr Track "Break My Heart" dem INXS-Klassiker "Need You Tonight" von 1987 neues Leben ein. Außerdem erinnert die Bassline im Song auch an den Disco-Überhit "Good Times" von Chic (1979), das seinen zweiten großen Auftritt ja schon im legendären "Another One Bites the Dust" (1980) hatte. Das mit Chic ist bei einem Blick in die Credits eigentlich nicht verwunderlich. Nile Rodgers himself, Chic-Mitglied und Produzent von Madonna und David Bowie hat am Album mitgearbeitet.
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Dua Lipa - Break My Heart (Official Video)
Auf Albumlänge lassen sich immer wieder solche Referenzketten bilden. Nicht nur soundtechnisch, sondern auch textlich sind Verweise verwebt - zum Beispiel auf Whitney Houston ("Don’t Start Now") oder Olivia Newton-John ("Physical"). Dua Lipa arbeitet sich durch die gesamte Geschichte der Disco und Popmusik: Die Bezüge reichen von den Anfängen in den Siebzigern über Größen wie Kylie Minogue ("Hallucinate") bis hin zu Daft Punk ("Levitating"). Prägnante Basslines, kühle Keyboard-Melodien, ein hoch emotionales String-Orchester und teilweise sogar der Einsatz von Cowbells oder Latin Percussions: alles treibt nach vorne, Schweiß, Tränen und pure Emotionen auf die Tanzfläche. "Future Nostalgia" bleibt im Ohr und wird getragen von der Erinnerung an die - oder besser - einer Vorstellung von Disco.
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Dua Lipa - Let's Get Physical Work Out Video
Zukunft: "You Ain’t Used To A Female Alpha"
Der Zukunftsaspekt auf "Future Nostalgia" steckt vor allem in den Lyrics. Den Anfang machen im Titeltrack und Opener gleich Ansagen an die gesamte männerdominierte Musikindustrie. Dua Lipa tritt als "female alpha" auf den Plan, deren Sound nicht von jedem verstanden werden kann. Auf den ersten Blick verliert sich die explizit feministische Aussage dann in den darauffolgenden Songs. Die handeln nämlich ziemlich einheitlich von heteronormativer Liebe. Beim zweiten Hören wird aber klar, dass auch solche Texte wahnsinnig wichtig für Popmusik in 2020 sind: "If you don’t wanna see me dancing with somebody...Don’t show up. Don’t come out. Don’t start caring about me now." Das ist nicht nur ein unfreiwilliger Corona-Quarantäne-Song, sondern Selbstermächtigung über eine toxische Beziehung.
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Dua Lipa - Don't Start Now (Official Music Video)
Weiter reflektiert Dua Lipa mehrfach über sich, ihre Ansprüche an Beziehungen und ihr Verhalten: So ein gemeinsames Leben kann nämlich, wie in "Good in Bed" ganz unverblümt und besungen, auch nur von gutem Sex zusammengehalten werden. Und dann kommt plötzlich auch schon der Albumcloser "Boys Will Be Boys". Ein Song von dem man zunächst vom Titel her vielleicht erwarten könnte, er würde verniedlichen. Doch Dua Lipa erzählt in den Strophen von Alltagssexismus und der Angst vieler Frauen vor Übergriffen. "Boys Will Be Boys" ist eine Phrase, die gerade auch im Kontext von #metoo dazu verwendet wurde, männliches Fehlverhalten zu verharmlosen. "But Girls will be Women" ist Dua Lipas Weiterführung und gleichzeitig Spiegel einer gesamtgesellschaftlichen Ungleichbehandlung von Frauen.
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Boys Will Be Boys
Future <3 Nostalgia...
...und wir herzen Dua Lipa für ein Album, das vor allem durch seine Pop-Perfektion so eindrucksvoll ist. Jeder Drop sitzt, genauso wie jede Zeile ihren richtigen Platz hat. Dua Lipa feiert die Großartigkeit der Disco-Ära und findet gleichzeitig auch die Worte, die das Genre 2020 verträgt. Das Faszinierende an dieser Zeit nennt Dua Lipa selbst übrigens "crying dancefloor". Absolut treffend! Disco bedeutet nämlich auch, dass - egal ob im Club oder alleine daheim - Gefühle, Herzschmerz und einfach alles, was sich so angestaut hat, rausgetanzt werden kann. Dua Lipa hat die Platte dafür geliefert, jetzt müssen wir "Future Nostalgia" nur noch selbst auflegen.
Sendung: PULS am 02.04.2020 - ab 19.00 Uhr